log #381: kunst.rasen: kulturpolitik

Ich hab mir als Teenager in den Kopf gesetzt, ein Künstlerdasein anderen Lebenskonzepten vorzuziehen. Mit einer großen Geste und romantischem Pathos habe ich 1977 meine damalige Stellung als Buchhändler quittiert und dem Chef des Ladens, einem sichtlich irritierten Herrn Klement, Ansprüche auf Aliquotes aller Art hingeworfen, weil ich keine Frist einhalten wollte, sondern darauf bestand, gleich anderntags nicht wieder zu kommen.

Das war ein bißl kindisch, aber ich mag die Erinnerung daran bis heute. In den Jahrzehnten seit damals habe ich alle Konjunkturen eines Freelancers kennengelernt, von sehr guten Zeiten bis zum wirtschaftlichen Totalschaden.

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MARTIN KRUSCHE (FOTO: SABINE ZETTL)

Ich weiß aus unzähligen Gesprächen mit Wirtschaftstreibenden höchst unterschiedlicher Branchen, genau dieses Auf und Ab ist Standard, ist völlig banal. Zwischendurch schrammen viele am Ausgleich entlang oder fahren auch voll gegen die Konkurswand.

In all den Jahrzehnten ist auf meiner Baustelle eine Angelegenheit immer gleich diffus geblieben und die Mühe um klare Sicht scheint bis heute ziemlich vergebens. Welche greifbaren sozialen und ökonomischen Erscheinungsformen zeigt das Berufsfeld heimischer Kunstschaffender? Wie ist es konkret zu handhaben, zu bewältigen, zu verbessern?

Werden die Fragen dringend und drängend, erfolgen allerweil Verweise auf diverse Studien, die vorzugsweise in irgendwelchen Schubladen verstauben. (Siehe dazu: "Relevante Links"!) Aber in realer sozialer Begegnung erfahre ich so gut wie nie, wer mir mit welchem Modus gegenüber steht und vor welchem Erfahrungshintergrund sich welche Ansichten geformt haben. (Siehe zu dieser Diffusion auch: "Niemand hat mich gerufen"!)

Ich kennen mehr und detailliertere Interna meines Bürgermeisters oder meines Hausherrn, denn meiner Kolleginnen und Kollegen auf dem Kunstfeld. Derlei Geheimniskrämerei muß einem zwar freistehen, aber im Verhandeln sozial- und kulturpolitischer Fragestellungen wird das zum Albtraum, weil sehr oft die Dinge nicht sind was sie zu sein scheinen und weil allerhand Doppelbödigkeiten den Diskurs belasten.

Wenn ich in den letzten Jahren mit Professionals anderer Branchen übers Leben und die Arbeit geplaudert hab, war folgender Satz zunehmend mein "Hauptmantra" der Darstellungen: "Mit dem Finanzamt komme ich noch klar, aber die Sozialversicherung killt mich langsam."

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Das ist zwar polemisch überzogen, aber in allen Gesprächen nickten meine Gegenüber wissend, egal ob EPU oder KMU. Das ist also keineswegs harmlos. Ich hab meine Augen und Ohren nicht überall, war also ordentlich überrascht, plötzlich von einer Interessensgruppe zu hören, die schon seit dem Vorjahr besteht und die sich um folgende Erfahrung herum gebildet hat:

Das prominente Konkursrisiko Sozialversicherung

Die "Amici delle SVA" [link] haben in der Sache vor allem einmal viel an sehr brauchbaren Informationen zusammengetragen und haben überdies begonnen, verschiedene Aktivitäten zu setzen.

Für mich ist es auf Anhieb schon eine große Erleichterung zu sehen, daß ich es nicht alleine bin, der diese Probleme hat. Und ich darf annehmen, derlei Sorgen sind nicht meinen betriebswirtschaftlichen Kompetenzen geschuldet, sondern hier spießt sich ein konkretes System mit der Arbeitspraxis und unternehmerischen Realität Tausender Leute.

Ich zerbreche mir öfter den Kopf, wie und warum ich die Mühen dieses Weges weiter tragen soll, wenn ein durchaus bescheidener Verzicht an Lebensstandard, ein Verzicht auf zirka ein Drittel meines Profits, dazu führen würde, mit Notstandsgeld fast ebenso gut, mittelfristig sogar besser zu leben.

Es ist sehr provokant, die jahrelangen Belastungen hinzunehmen, um gerade einmal ein paar hunderter pro Monat mehr zu lukrieren, als sie Arbeitslose meiner Kompetenzklasse haben. Das schafft Klärungsbedarf.

Ich müßte eigentlich bloß mein Auto aufgeben, mein Archiv, Büro und mein Lager, also eine kleinere Wohnung in billigerer Lage hinnehmen, und schon könnte ich mich darauf zurückziehen, den Staat bloß noch Geld zu kosten, statt ihm eines zu erwirtschaften.

Verstehen Sie mich recht, das ist nicht meine Intention! Aber ich würde mich gerne für den anspruchsvolleren Weg etwas mehr ermutigt fühlen. Und ich möchte dabei nicht von Teilen des politischen Personals, der Wirtschaftstreibenden und der Verwaltung verhöhnt werden, indem sie mir Hinterziehungen, Diebstahl, überzogenen Aufwand und anderen Merkwürdigkeiten vorhupfen.

Ich wüßte gerne Politik und Verwaltung für meinen unternehmerischen Weg auf meiner Seite, quasi hinter mir stehend. Vor allem aber einen Gutteil meiner Kolleginnen und Kollegen; indem sie zum Beispiel aufhören, aus den Grundlagen ihrer Profession solche Geheimnisse zu machen und indem sie auf den Tisch legen, was Sache ist, damit wir diese Sache möglichst breit und effizient verhandeln können.

Ich hab hier kürzlich notiert:

Ich bin ein Professional, ein freischaffender Künstler. Das kombiniert ZWEI verschiedene Kategorien. "Künstler" ist eine Kategorie der Kunst, "freischaffend" nicht; das ist eine soziale Kategorie.

[Blatt #1] [Blatt #2]

In diesem Sinne möchte ich einige soziale und betriebswirtschaftliche Fragestellungen in aller Ruhe mit Profis aus anderen Metiers erörtern, denn in meinem Metier, dem Kunstfeld, weist vorerst nichts darauf hin, daß Kolleginnen und Kollegen in nennenswerter Anzahl zu so einer Debatte bereit wären.

Mich interessiert die Summe an Erfahrungen und die Schlüsse, welche aus diversen Befunden gezogen werden, welche Strategien sich folglich davon ableiten ließen. Das wären auch interessante Inpouts für unseren Arneitsbereich KWW: "Kunst Wirtschaft Wissenschaft"; und zwar ganz speziell hier in der Provinz, also jenseits des Landeszentrums: [link]

[Wovon lebt der Krusche?]


coreresethome
9•12