log #177: slow motion | leader

Ich habe im vorigen Eintrag notiert: "Meine Freiheit als Künstler und meine bewußte Gebundenheit als politischer Mensch und Staatsbürger sind zwei verschiede Facetten meiner Existenz, die einander keineswegs behindern."

Die Kunst ist schon lange mit Repräsentationspflichten befrachtet, der Politik ausgesetzt, das hat sich mit der Renaissance keineswegs erledigt. (Siehe dazu diesen Lesetip!)

Ein Beispiel: Jackson Pollock galt als einer der bedeutendsten Künstler im Amerika des 20. Jahrhunderts. "Pollock sponsored by C.I.A"?

Es scheint eine sehr spaßige Vorstellung zu sein, daß der Geheimdienst eines Landes abstrakte Kunst finanziert, um anderen Nationen, vor allem jenen im Osten, damit eines auszuwischen.

So schrullig uns das vorkommen mag, es ist authentisch. Prompt gab es im Lande Polemiken, mit denen Menschen suggeriert wurde: "Für so einen Schmarren wird euer Geld rausgeschmissen." (“Your Money Bought These Paintings”)

Louis Menand hat diese Ereignisse in "The New Yorker" höchst amüsant und aufschlußreich zusammengefaßt: "Unpopular Front" (American art and the Cold War) [link]

Der "Kalte Krieg" hatte im vorigen Jahrhundert so prägende Kraft, hat so effizient alle Lebensbereiche durchdrungen, daß es sich als sehr anregend erweist, dieses Thema näher anzusehen.

Von Rolf Steininger ist ein preiswertes Paperback verfügbar, das eine vorzügliche Einstiegslektüre abgibt. Wie schon angedeutet, hat der Kalte Krieg sich sehr wesentlich als ein "kultureller Wettstreit" zwischen Ost und West abgespielt; neben dem faktischen Niederrüsten des damaligen "Ostblocks".

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Wer sich also mit Kunst und ihren Bedingungen befaßt, enthält aus solcher Lektüre wichtige Denkanstöße. Es mag daraus auch deutlich werden, daß die permanente und systematische Abwertung von allem, was "aus dem Osten" kommt, in unserer Wahrnehmung bis heute Spuren zeigt. (Die Nazi hatten mit ihren Ansichten über "slawische Untermenschen" solide vorgebaut.)

Und sei es bloß, daß viele unter uns kaum bis keine Ahnung haben, wie bedeutend etwa die Einflüsse der Russischen Avantgarde auf das gesamte westliche Kunstgeschehen waren.

Wir sind unsrerseits "Der Osten" für Amerika und die eingangs erwähnte Story im "New Yorker" handelt auch davon, daß man sich damals in der Kunst gegen die massiven Einflüsse aus Westeuropa stärker abschirmen wollte.

Wer diese Zusammenhänge genauer kennenlernen will, dürfte mit Bernd Stövers "Der Kalte Krieg 1947-1991: Geschichte eines radikalen Zeitalters" sehr gut bedient sein.

Es sind ja inzwischen viele Archive zugänglich, die lange Jahre unter Verschluß standen.

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Daraus ergibt sich natürlich einiges an neuen Bewertungen und Deutungen jener Ära, die meine Kindheit geprägt hat. Von Stöver heißt es, seine Arbeit stünde auf der Höhe dieser aktuellen Möglichkeiten.

Warum ich das so ausbreite, wo es doch hier vor allem um Kunst und Kultur geht?

Wie schon angedeutet, das Kunstfeld ist ein Tummelplatz der Politik. Dazu gibt es vielfältige Gründe und Motive.

So manche Kunstschaffende tragen selbst gerne und nach Kräfte zu Eindrücken bei, die suggerieren, hier seien vor allem Chorknaben und edle Jungfrauen damit befaßt, das Gute in der Welt zu hegen und pflegen. Das ist natürlich Blödsinn.

Peter Landerl hat das am Beispiel des Literaturbereiches exemplarisch untersucht. Wer also zu romantischen Vorstellungen neigt, wird diese Lektüre sehr ernüchternd finden. Das birgt aber auch Vorteile.

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Das Werk "Der Kampf um die Literatur. Literarisches Leben in Österreich seit 1980" regt eindeutig an, sich keine Illusionen zu machen, sondern den Betrieb als das zu betrachten, was er ist: Eine Branche. Ein Metier. Ein Berufsfeld. (Allfällige Heilsversprechen sind nur mit äußerster Vorsicht zu genießen.) Das knüpft also in diesem Sinne an einen früheren Lesetip an, das Buch von Klaus Zeyringer: [link]

[literatur] [slow motion: übersicht]


coreresethome
34•09