log #175: slow motion | leader

Diesmal habe ich drei Bände aus meiner Bibliothek gewuchtet, von denen die ersten zwei auch physisch recht schwer daher kommen; vor allem aber inhaltlich sind die Bücher sehr kräftig bepackt.

Gombrich macht mit Sicherheit jedem Menschen Freude, der sich in aller Ruhe durch die Jahrhunderte treiben lassen möchte. Luhmann legt fordernde Stoffe vor und gilt bezüglich Kunsttheorie zur Zeit als "state of the art". Zeyringer ist amüsant und aufschlußreich, falls jemand ohnehin schon geahnt hat, daß der Kunstbetrieb nicht hauptsächlich von Heiligen geschupft wird.

Bei der Vorstellung des kleinen Bändchens von Gombrich [link] habe ich sein Hauptwerk, "Die Geschichte der Kunst", schon erwähnt. Es ist ein beeindruckender Wegweiser, natürlich auch ein satter Brocken Kunsttheorie, dabei aber immer mühelos zu lesen und vor allem einem sehr feinen Prinzip verpflichtet.

Gombrich bemühte sich (und betonte das auch), stets zu ZEIGEN, worüber er schreibt. So kann der Schaulust vergnügt nachgegangen werden, es entsteht auch ein höchst anschaulicher Eindruck davon, was unter dem (westlichen!) Kunstkanon verstanden wird.

Im zweiten Kapitel schrieb Gombrich: "Wir werden sehen, dass die griechischen Künstler bei den Ägyptern in die Lehre gingen und dass wir alle Schüler der Griechen sind."

log175a.jpg (10407 Byte)

Ich hab schon erwähnt, daß mindestens Marcel Duchamp [link] im vorigen Jahrhundert quasi alle vertrauten Regeln der Kunst gebrochen, verworfen, aufgehoben hat. Dieses 20. Jahrhundert erscheint recht verwirrend, wenn die Frage ansteht: "Was ist Kunst?"

Eine Reihe von Antworten dazu befinden sich in diesem Werk des Soziologen Niklas Luhmann. In seinem Vorwort von 1995 betonte er, diesen Teil seiner großen Gesellschaftstheorie verfaßt zu haben, "liegt nicht an besonderen Neigungen des Verfassers für diesen Gegenstand, sondern an der Annahme, daß eine auf Universalität abzielende Gesellschaftstheorie nicht ignorieren kann, daß es Kunst gibt".

So lapidare Positionen liebe ich. Der Band bezieht seinen stattlichen Umfang auch daraus, daß Luhmann seine Überlegungen laufend mit Zitaten und Quellenangaben belegt. Je nachdem, wie genau es jemand wissen möchte, läßt sich über diesen Text also sehr tief in das vordringen, was kognitiv und intellektuell wohl im letzten Jahrhundert geschehen ist, um die Auffassung von Kunst auf ihren momentan Stand zu bringen.

log175b.jpg (10788 Byte)

Ich hab kürzlich im Eintrag #173 angedeutet, wie ich bei einer Debatte mit dem Philosophen Erwin Fiala über Luhmanns Kunsttheorie ins Schwitzen gekommen bin. Solche Bücher sind eine respektable Herausforderung an die eigene Position, an mögliche Klarheiten, auf die man sich verlassen möchte.

Dann wäre da noch der Kunstbetrieb selbst, den Sprachwissenschafter Klaus Zeyringer sich in einem Essay vorgeknöpft hat, dem ihm dafür allerhand Kollegen aus der schreibenden Zunft als Polemik zurückgewiesen oder wenigstens zurechtgestutzt haben.

Freilich wissen diese Leute alle um jene ganz banalen Wechselwirkungen unter Seilschaften, die ihre Erzbischöfe und Päpste haben. Um auf diesem Feld etwas zu werden, muß jemand durchaus mit dem zurechtkommen, was Zeyringer eine "Mischung aus Salon, Tafelrunde und Funktionärsbüro“ beschreibt.

Falls jemand im Kunstbereich zu Illusionen und romantischen Vorstellungen neigt, erweist sich dieses Büchlein als hilfreich.

log175c.jpg (14724 Byte)

Nach seiner Lektüre wird man außerdem jenen gegenüber besser gewappnet sein, die im Kunstzusammenhang zur schwülstigen Selbstüberhöhung neigen oder zu teils sektenhaften Verklärungen. Das sind sehr störende Blödheiten, von denen sich niemand blenden lassen sollte. Um es polemisch verkürzt zu sagen: Kunstschaffende sind a priori selbstverständlich keine besseren Menschen als der Rest der Meute.

[literatur] [slow motion: übersicht]


coreresethome
33•09