log #157: slow motion

Das "1. LEADER Kultur – Vernetzungstreffen" [link] war für mich unter anderem Anlaß, hier einige Büchlein vorzustellen, die eine Orientierung zum tieferen Verständnis dessen bieten, was wir mit "Gegenwartskunst" meinen.

Sagt jemand "Moderne Kunst", ist freilich vom Beginn des 20. Jahrhunderts die Rede, was auch für den Begriff "Avantgarde" gilt. Das ist also Vergangenheit, die vor allem im "Expressionismus" einen unglaublich weit reichenden Auftakt hatte. Von da führt ein vielfältiger Weg zu dem, was etwa in der Mitte des 20. Jahrhundert zur allgemeinen Gewißheit wurde.

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Jochen Poetter skizziert das in der Einleitung zu seinem Buch "Kunst im 20. Jahrhundert" (Siehe Blatt #155!) so:

"... und alle bisher gültigen Vereinbarungen werden spätestens ab den 1960er-Jahren obsolet: Geschmack, Sitte, Ethik, Moral, Ästhetik, Glaube und Hoffnung werden ironisch, wenn nicht gar zynisch gebrochen."

Bedenken Sie bitte, die Menschen hatten eben die Erfahrungen von Auschwitz und Hiroschima hinter sich gebracht.

In der westlichen Entwicklung zum Verwerfen aller vertrauten Regeln bei der Kunst spielte Marcel Duchamp eine alles überragende Rolle.

Doch am Beginn dieser Entwicklung, somit also in den ersten Jahren des 20. Jahrhundert, stand ein ganz anders Ereignis wegweisend. Poetter schreibt:

"Das 'Schwarze Quadrat auf weißem Grund' von 1915 markiert den Anfang vom Ende der gegenständlichen Welt ..."

Es sind solche Werke, vor denen sich Schnösel gerne zur Behauptung hinreißen lassen: "Das kann mein Kind auch."

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Unüberprüfte Behauptungen, abwertendes Geschwätz, zu dem solche Leute ja stets jeden Beweis schuldig bleiben. (Natürlich können weder Kinder, noch die Schnösel, was da vorliegt.) Es lohnt sich, die Arbeit von Malewitsch etwas näher zu betrachten.

Er verstand sich als Künstler und Forscher, ging einerseits von einem exzellenten Niveau als Maler aus, griff anderseits Impulse aus der Volkskunst auf, macht in Summe sehr anschaulich, wie ein Weg von konkreten Motiven in die Abstraktion aussehen kann. Das zeigt etwa eines der preiswerten Bändchen aus dem, Taschen-Verlag, mit dem sich Gilles Nerét dem Maler Kasimir Malewitsch (1878-1935) gewidmet hat.

Wer sich dafür interessiert, welche gesellschaftliche Entwicklung in solchen Erscheinungen der Kunst ihren Niederschlag fand, kann sich mit einem weiteren Reclam-Bändchen einen mühelos lesbaren Eindruck davon verschaffen.

Es ist dies eine der radikalsten Epoche der (westlichen) Menschheitsgeschichte. Durch die Industrialisierung kommt ein erfolgreiches Bürgertum in die Lage, sich gegenüber den "alten Eliten" (Adel und Klerus) durchzusetzen.

Die Konsequenzen genau dieser Umbrüche beuteln uns heute noch und durchdrangen definitiv alle Lebensbereiche. Der Text von Bauer unterlegt sehr aufschlußreich jenes Büchlein von Nipperdey, das ich im Eintrag #155 empfohlen habe:

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"Wie das Bürgertum die Moderne fand". Wer nun noch staunt, welche radikalen Erfahrungen die Menschen in diesen Verläufen des 19. und 20. Jahrhunderts machten, was sich eben auch in den Phänomenen der Kunst genauso irritierend wie erstaunlich zeigt, könnte weiters Interesse an einer ähnlich radikalen Ära haben.

Ich schätze diese Reihe aus dem C.H.Beck- Verlag sehr, weil sie einen kompakten, knappen, sehr fundierten Überblick zu vielen Themen bietet.

Findet man daraus Geschmack an eine Thema, ist weiterführend Literatur ja leicht zu entdecken.

Die Renaissance ist eine verblüffende Ära, aus der unser Denken und unsere Art zu sehen, also unser gesamtes Menschen- und Weltbild, neu geformt wurden.

Was die großen Meister wie Leonardo, Raffael oder Tizian ausgemacht hat, aber auch wie unerbittlich die Kunst von der Politik mit Repräsentationspflichten belegt wurde, wird aus der Lektüre dieses Büchleins recht erahnbar.

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Wer sich zur Anschaffung und zum Lesen der bisher vorgeschlagenen Texte aufraffen kann, bezieht daraus mit Sicherheit eine sehr klare Vorstellung, daß im Anstaunen "großer Meister", wahlweise Abqualifizieren per "Das kann mein Kind auch", sich eigentlich nur ein weitreichendes Desinteresse an der Kunst ausdrückt.

Dem gegenüber erscheint es mir sehr spannend, diesen Wechselwirkungen etwas auf die Spur zu kommen, wie etwa große Veränderunbgsschübe in einer Gesellschaft und in der Kunst mit einander zu tun haben.

[literatur] [slow motion: übersicht]


coreresethome
28•09