Log #90Autorin
Evelyn Schalk neigt zur
Auffassung, wo man im Denken und Handeln an alten Mustern festhalte, trage man dazu bei,
daß aus dem öffentlichen Raum ein scheinbar öffentlicher Raum werde. Eine Art der
Abwertung des Raumgefüges, wobei es unter anderem um machtpolitische Kontrolle gehe.
Dabei fallen ihr quasifamiliäre Verhältnisse auf. Seilschaften. Klüngel. Das drückt
nicht gerade aus, was man sich unter "res publica" vorstellen möchte.
Schalk (rechts), angesichts flambierter Früchte in asiatischer Machart
hier in einer eher banalen Ost-West-Situation, wird Ende August an unserer zweiten "Ost-West-Passage"
mitwirken.
Was wir erörtert haben, korrespondiert mit einigen Punkten, die
Kunsthistoriker Werner Fenz unlängst in Gleisdorf vorgebracht hat. (Siehe Eintrag #88!) Ich bin sehr angetan, daß wir solche
Debatten inzwischen auch als ÖFFENTLICHE Debatten hier in der Oststeiermark erleben. Es
ist eben längst nicht mehr bloß Sache der Zentren, mit diesen Themenstellungen befaßt
zu sein.
Kunsthistorikerin Mirjana Selakov hat zu unseren Überlegungen gemeint, nach ihren
Erfahrungen mit dem Leben in Ex-Jugoslawien habe dort ein merklich anderes Verhältnis
zwischen "öffentlich" und "privat" geherrscht; was offenbar besagt,
man habe dort leichter über die Zäune gesehen. Selakov meint das nicht als einen
Ausdruck der Tyrannis, den wir im "Westen" gerne darin sehen, wenn wir nach
Südosten blicken. Es sind andere soziale Konzepte, andere kulturgeschichtliche
Hintergründe.
Das verbinde ich bei uns mit etwas wie dem Begriff
"Dorfgemeinschaft". Eine Kategorie, mit der ich selbst keine praktische
Erfahrung habe. Aber ich erinnere mich, daß wir als junge Leute dieses Wort für eine
abschreckende Vorstellung von bedrückender sozialer Nähe und Kontrolle verwendet haben.
Das Leben in der Stadt empfanden wir dagegen als wohltuend privates Ereignis einer urbanen
Existenz.
Das ist zugleich ein Echo der alten Redensart "Stadtluft macht
frei". Aber es nützt uns wenig, Bilder aus dem Leben in der mittelalterlichen Stadt
oder aus den neuen Zentren der frühen Industrialisierung zu benutzen, um unsere
Situationen zu beschreiben, zu diskutieren.
Dazu wird bei unserer Session auch Dieter Spath ins Spiel kommen (oben
links neben Landeskulturreferent Kurt Flecker), der sich unter anderem mit den
Veränderungsprozessen im Verhältnis "Stadt/Land" befaßt. Mutmaßlich sind
manche Überlegungen in diesen Zusammenhängen auch sehr gut auf größere Dimensionen
anwendbar ... also letztlich ebenso auf das Verhältnis zwischen "Westen" und
"Osten", auf jene Positionen, die uns in latenter Arroganz dazu bringen, andere
Länder als "Reformstaaten" zu bezeichnen etc.
Das werden wir uns bei der August-Session genauer ansehen. Doch den
Ausgangspunkt dazu setze ich in einem freundlich-polemischen Bereich. Der Künstler Christian Eisenberger stammt
von einem Bauernhof in Semmriach, hat also von einem etwas entlegenen Platz aus Wege in
Zentren und in die Kunst gesucht. Er wird im Fokus einer Video-Miniatur stehen, mit der
ich den Abend eröffnen will.
Das korrespondiert in einem Punkt auch mit der Lebensgeschichte von
Kulturwissenschafter Günther Marchner. Er stammt von einem Bauernhof in der
Obersteiermark, ging beizeiten in die Welt. Seit einigen Jahrzehnten ist die Stadt
Salzburg sein wichtigster Bezugspunkt.
Marchner ist auch an einigen der genannten Entwicklungen sehr
interessiert. Er hat nun zwei unserer aktuellen Stationen aus der Nähe mit erlebt. [Session #1] [Session #2] Wenn alles gut
geht, wird er mit den Werkzeugen eines Wissenschafters für einige Beiträge und
Anregungen sorgen. Marchners "Reise durch die Welt hinter den Zentren"
würde dann diese Region einbeziehen. [Fortsetzung]