next code: divan / note  #9

War der vorige Eintrag noch einmal stark den Liedern gewidmet, mache ich hier ein wenig mit dem Themenbereich "Legendenbildung" weiter. In „westlicher Wahrnehmung“ hat das Motiv des Balkans als einer Region besonders blutrünstiger und zur Gewalttätigkeit neigender Völker einige Geschichte. Das ist natürlich, um es salopp zu formulieren, blühender Unfug. Solche Phantasmen, wie eine ethnisch begründete Disposition zur Blutrünstigkeit, sind nichts weiter als rassistische Konzepte.

(Unser überheblicher Anspruch an Definitionsmacht zeigt sich etwa in der Zuschreibung "Schwellenländer" etc., womit stets neu signalisiert wird, daß "wir" uns als normative Größe sehen.)

Romantische Inszenierungen werden gerne in den Rang von „Realitäten“ gehoben, das findet sich auch auf dem Kunstfeld, wo etwa Rollen wie die des Rebellen oder Briganten einige Popularität haben. Volkstümlicher: Der Bürgerschreck, der Nonkonformist etc. Ich begegne solchen Attitüden gelegentlich und halte dem gerne eine Kottan-Paraphrase entgegen: „Rebellen gibt’s kane!“

Nämlich nicht hier, in Österreich. Rebellen mag es in Tschetschenien geben oder in Afghanistan. Es gibt sie offenbar auch in Kurdengebieten. Rebellen, was immer sie sein mögen, sind nach meiner Vorstellungen auf jeden Fall Leute, die NICHT mit dem Establishment dealen. Dazu später noch einige Anmerkungen.

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In Österreich, in der Oststeiermark, halte ich zur Zeit ganz andere Positionen, Haltungen und Verfahrensweisen für interessant, für relevant. Über Abenteuer in den „Schluchten des Balkan“ zu schwadronieren möge weiterhin Leuten wir Karl May vorbehalten bleiben, deren markantestes Merkmal ist, daß sie Stubenhocker sind, sich nicht recht hinter ihren Öfen hervortrauen, sich also eine Welt „da draußen“ imaginieren, welche so bunt bevölkert ist ... vor allem „Das Böse“ ist dann „Den Anderen“ zugeschrieben. (Im Griechenland der Antike gab es ein Wort für solche Art Stubenhocker: „Idiotes“.)

Das Rausgehen, das Suchen, das Sammeln von Irritationen und Erfahrungen handelt von ganz anderen Orientierungen. Genau diese Zusammenhänge scheinen die Sache des Kollektivs „collabor.at“ zu sein. Ich habe nun ein Quartett dieser Crew in Feldbach getroffen. Maria C., Bernhard Faiss, Nana Pötsch und Johanna Rainer sind nun unterwegs, um „cultural points“ in der Region zu erheben und zu markieren.

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Von Links: Nana Pötsch, Bernhard Faiss, Johanna Rainer ...

Ich habe nach jenen Aspekten im Kunstbetrieb gefragt, die eingangs angeklungen sind. Denn in meiner Generation haben sich viele darin hervor getan, ein ostentativ bohemehaftes Leben zu führen, in dem möglichst kraftvoll angedeutet wird, man sei mutmaßlich ein Genie, zur Einsamkeit verdammt, unter Garantie an der Welt leidend, mitunter völlig verkannt etc. etc.

Solche Skizzen lösen bei dieser jungen Crew bestenfalls ein müdes Lächeln aus. Arbeiten im Kollektiv ist selbstverständlich, Professionalität offenbar eine notwendige Basis. Da wird keine Energie auf Selbstdarstellung in Rebellenposen verschwendet, sondern auf die bestehenden Fragen angewandt. Das ist natürlich sehr nach meinem Geschmack. Denn die Boheme-Nummer wird in der Region ohnehin von Leuten abgedeckt, denen mindestens die Kunst scheißegal ist, Hauptsache die Inszenierung wird einem abgekauft.

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Ich sehe so eine Pausennummer gerade täglich im Foyer meiner Bank, wo ein Kerl, der sich explizit zur Profiliga zählt, den Kunstkontext für sich reklamiert, ohne ein einziges Bild vorweisen zu können, das auch nur eine der möglichen Anforderungen an ein Kunstwerk erfüllt.

Das sind im Grunde soziale Ereignisse, gegen die man nicht öffentlich zu polemisieren braucht, weil die bewußte Unschärfe in den Kategorien nicht ausgeräumt werden kann, die Einwände dagegen demnach unverständlich blieben. Da geht’s nämlich nicht um die Kunst, sondern um Dignität und Positionen innerhalb eines lokalen sozialen Rangsystems.

Zurück zur Crew von „collabor.at“; diese Leute stehen eben im klaren Kontrast zu derlei Diffusions-Kampagnen. Indem sie künstlerische Ambitionen und soziale Relevanz in Wechselwirkung bringen. Also künstlerische Möglichkeitsräume und Räume des alltäglichen Lebens in einander verschränken.

Darin liegt meines Erachtens insofern ein radikaler Ansatz, als der Stümper im Bankfoyer nichts weiter tut, denn auf dem Lande mit geringsten nur denkbaren Mitteln ein Stück städtisch-bürgerlicher Salonkultur zu imitieren. Diesen Kontrast finde ich sehr interessant und wichtig.

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Dagegen zielt nämlich die Arbeit von „collabor.at“ offenkundig darauf, Kunst und Kunstgeschehen in einen ganz anderen Zusammenhang und in andere Raumsituationen zu bringen. Eben gerade NICHT, indem eine urbane Situation aus dem 19. Jahrhundert imitiert und in die „Provinz“ übertragen wird, sondern indem die Lebenssituation in dieser Region ernst genommen wird. Dort gilt es ja mit dem eigenen Tun anzudocken. Genau dort gilt es, der Gegenwartskunst Stellenwert zu erarbeiten.

Wie sollte das gelingen, wenn man versucht, einer ländlichen Bevölkerung der Gegewart die städtische Kunstinszenierung der Vergangenheit anzudienen? Das ist Blödsinn! In beide Richtungen. In die Richtung er eigenen Kunstpraxis und in jene des Publikums.

Ich hab in einem aktuellen Eintrag im Logbuch von „next code“ gerade ein Koordinatensystem skizziert, das ich hier auf das Projekt „next code: divan“ angewandt sehen möchte:

Relationen, Bezugspunkte, Bedeutungen und das Unsagbare.

Ich bin entsprechend neugierig, was aus dieser Position heraus beobachtbar wird ... wenn etwa die Crew von „colabor.at“ ihr eigenes Projekt ein weiteres Stück vorangebracht hat.

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Was uns da in Feldbach sonst noch beschäftigt hat, wird später zu erzählen sein. Es hat auch mit der verblüffend schnellen Präsenz von Polizei vor Ort zu tun. Und wie wir an jenem Abend gleich eine interessante Anregung beziehen konnten. Daß nämlich der Beamte, der es sich strikt verbat, während unserer Erörterung fotografiert zu werden, vorerst keinen essenziellen Unterschied zwischen dem „Herumschmieren“ und dem Schreiben sehen wollte.

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13•08