next code: divan / note #1 Ich hab mit der kleinen Skizze "idem na divan (Ich gehe nach Divan)"
schon eine Richtung gewiesen, in der sich unser Tun hier vorerst entfalten wird. Eine
soziokulturelle Orientierung ... Die Notizen zu einem Gespräch mit dem bosnischen Autor
Dzevad Karahasan ("Die Kunst schützt
uns vor Gleichgültigkeit") betonen einen anderen Aspekt, der mir hier wichtig
ist ... diese klare Verknüpfung mit Kategorien der Kunst.
Soziale Situationen, künstlerische Praxis,
unterschiedliche Referenzrahmen aus den Kontrasten der verschiedenen Lebensbereiche ... um
doch einen gemeinsamen Lebensraum zu beschreiben, in dem vor allem die energischen
Wechselwirkungen genau das hervorgebracht haben, was wie heute unter EUROPA verstehen
möchten. Nicht die Abschottung, die Offenheit hat Europa geprägt.
Bei allen praktischen Erfahrungen mit auffindbaren Differenzen möchte ich letztlich
sogar bezweifeln, daß die bipolare Idee "Orient/Okzident" wirklich Aussagekraft
hat. Welcher Art wäre denn genau die Trennlinie (außer ideologischer Art)?
Ich erlaube mir, hier folgende Behauptung aufzustellen:
Der Terminus "Mulikulturalität" ist die Konsequenz des Tuns jener
Nationalisten, die ihre liebe Not haben, das historisch so junge Konstrukt
"Nation" als ethnisch eher homogenes "Kulturkonzept" zu begründen und
zu legitimieren.
Als "Österreicher" komme ich damit zeitlich nur
wenige Jahrzehnte in die Vergangenheit voran/zurück.
Vor dem Ende des 19. Jahrhunderts ist das kulturelle Werden Europas nichts anderes als
eben jene Vielfalt der Situationen und Kräfte, die mit dem Begriff
"Multikulturalität" nicht einmal skizzierbar, schon gar nicht faßbar ist. Mir
fällt dazu bloß dieser Begriff ein: reich!
Jahrhunderte lang waren wir keineswegs eine "monokulturelle" Gesellschaft,
weshalb ich es für Unfug halte, "Multikulturalität" als Kampfbegriff
einzuführen. Die verfügbaren Kräfte sind vielmehr zur VERSTÄNDIGUNG nötig, um das
zurückzugewinnen, was der Nationalismus in bloß einem knappen Jahrhundert beschnitten
hat: Die Offenheit Europas.
Um ein anschauliches Beispiel zu geben: Der Kalemegdan ist für mich nicht jene
"Festung Belgerad", bei der Prinz Eugen das Haus Habsburg gegen die Osmanen
abzuriegeln versuchte. Es ist eher die Markierung einer "Relaisstation", an der
Verläufe geregelt wurden.
Nehmen wir das Kriegsmotiv aus den Betrachtungen heraus, weil es in der Feudalzeit ja
keiner "Weltanschauung" geschuldet, sondern vor allem dem Erringen von Grund und
Boden gewidmet war, der Verfügung über Untertanen, ergibt das kulturell gefärbte
Kampfmotiv keinen Sinn mehr.
Die Feudalzeit ist längst vorbei, Grund und Boden sind nicht mehr die primäre Basis
von Herrschaft und Reichtum. Wir können uns auf die kulturellen Momente konzentrieren.
Sollten für diese erneut die Ideen des "ethnisch Homogenen" promotet werden,
dann gehen wir eben wieder nach Auschwitz und Srebrenica.
Divan.
Eine vor allem soziale und kulturelle Kategorie.
Wörterbücher, die zwischen Serbisch und deutsch vermitteln, sind bei uns schwer zu
bekommen. Ein kleines Lehrbuch aus Zürich, "Die Wortbrücke/Most rijeèi",
verbindet Deutsch mit Kroatisch/Serbisch/Bosnisch. Darin findet man neben
"divan" folgende Übersetzung: wunderbar, wundervoll, herrlich, prächtig,
wunderschön.
Die aus Serbien stammende Kunsthistorikerin Mirjana Selakov verwendete in einem
Gespräch für unsere Video-Dokumentation das Wort "divaniti". Es wird auf dem a
betont und müßte wohl am ehesten mit "divanisieren" übersetzt werden.
Ich hab in einem Wörterbuch aus Serbien nachgeschlagen. (Biblioteka Reènik, Jaceh,
Nikišiè 2002) Auch da kommt das "Divanisieren" nicht vor.
Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Persischen. Die bei uns gängigsten Deutungen
sind gewiß einerseits das Liegesofa, andrerseits die Gedichtsammlung.
Schlägt man in einem Türkisch-Wörterbuch
nach, wird schnell klar, wie vieldeutig das Wort "Divan" eigentlich ist, wobei
ein markanter Schwerpunkt der Bedeutungen soziale Situationen betrifft:
>>... A chief officer of state. | A saloon
or hall where a council is held, in Oriental countries, the state reception room in
places, and in the houses of the richer citizens. | Cushions on the floor or on benches
are ranged round the room. | A coffee and smoking saloon. A long backless sofa a Muslim
council chamber or law court a collection of Persian or Arabic poems a Muslim council of
state. ...<<
Ich blicke aus verschiedenen Gründen schon einige Jahre sehr konzentriert nach
Südosteuropa. Der Kalte Krieg war eine Ära der Diffusion, ich bin demnach mit trüben
Augen aufgewachsen. Außerdem sind ja meine Leute seinerzeit mit schweren Waffen
losgezogen, um sich Herrschaft über die "slawischen Untermenschen" zu sichern.
Diese Motive waren während meiner Kindertage zwar aus den öffentlichen Diskursen
weitgehend verschwunden, sie waren aber nicht aus den Menschen verschwunden, die mich
großgezogen haben.
Da liegt also einige Arbeit an, die unlängst durch den Sezessionskrieg Jugoslawiens
nicht gerade einfacher geworden ist. Deshalb meint "next code: divan" gerade
einmal ORIENTIERUNGSFRAGEN ... es wird sich zeigen, was dabei Greifbarkeit und Relevanz
erlangt.
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