Der kurze Sommer des Automobils / Seite 42

Wissens- und Kulturarbeit

Dieses 2017er Jahr ist ein Jahr der runden Zahlen. Eben hab ich meine Darstellung des historischen Zeitfensters [link] um "90 Jahre Volvo" ergänzt. Derweil kommen mancherlei Plaudereien auf Facebook voran. Ein geliebter und gescholtener Kommunikationskanal im Web. Für mich eine wichtige Plattform für vielfältigen Meinungsaustausch.

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Manchmal sitzt Michael Hortig, ein Liebhaber von Vorkriegsfahrzeugen, besonders gut. Das bringt mir dann etwa so eine elektronische "Bildpostkarte" ein: "Armaturenbrett Mercedes 1904". Das Fachwissen um diese frühen Fahrzeuge ist nicht gar so sehr verbreitet. Bei einer kurzen Erörterung zum Thema Original/Fälschung schrieb mir Hortig kürzlich:

"In den 50er und 60er Jahren haben die beiden Clubs VCC (Veteran Car Club) und VSCC (Vintage Sports Car Club) eine "Drei Hauptbaugruppenregel" für die Anerkennung als echtes Fahrzeug herausgegeben. Drei Hauptteile müssen erhalten sein. Chassis, Motor, Achsen, Getriebe, Lenkung oder Karosserie. Dann gilt ein Fahrzeug als original. Und der erste, der das in großem Stil verwendet hat, war Ray Jones. Zuerst baute er aus drei, vier kompletten SSKs eine dreifache Menge, dann widmete er sich Bugatti."

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Ich bewege mich auf diesem Terrain in den Nischen mit den billigen Plätzen. Eben verhalf mir Valentin Eggbauer zu einer Rarität, nämlich zum Oldtimerhäferl mit der Puch Voiturette. Das ist für sich kein wertvoller Gegenstand, aber ein spezielles Motiv, allerdings in hinreißend schlechter Darstellung.

Hier das Original an der Hand von Franz Tantscher, vormals Werksmechaniker von Moto Cross-Weltmeister Harry Everts. Tantscher hat das Fahrzeug motorisch überholt und standfest gemacht. Eine Arbeit, für die altes Wissen teilweise durch Vergleichen und Nachdenken ergründet werden mußte, weil zum Fahrzeug von 1906 natürlich keine Dokumentation besteht. Durch Tantscher erfuhr ich außerdem, was einschlägige Literatur nicht offenbart. Statt dem überall erwähnten V2-Motor heizt in dieser Voiturette ein Reihen-Zweizylinder. Siehe dazu: [link]

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Ein kleiner Hinweis darauf, wie wichtig die Community der Sammler und Schrauber ist, wo viel Detailwissen noch mündlich weitergegeben wird, da es bisher nicht verschriftlicht wurde. Ein seh flüchtiges Wissen! Diese Verquickung von Wissensarchäologie, Oral History und gelebter Leidenschaft macht dann aus, was zum Teil als Volkskultur in der technischen Welt verstanden werden darf.

Ein Thema, welches wir kürzlich mit Kräften der steirischen Abteilung für Volkskultur debattiert haben. Andrea Menguser und Günther Ludwig hatten sich mit uns auf eine Konferenz zur Sache eingelassen, was übrigens derzeit noch nicht selbstverständlich ist; siehe: [link]

Das läßt noch einmal auf Valentin Eggbauer verweisen. Aktiver Schrauber und Sammler mit dem Schwerpunkt auf frühen Volkswagen. Altwarenhändler. Betreiber eines "Museum bäuerliches Handwerk aus vergangenen Zeiten" in Fischbach; und zwar eine "Öffentlich zugängliche Privatsammlung der Fam. Eggbauer": [Facebook]

Das muß im Zusammenhang betrachtet werden. Wissens- und Kulturarbeit in der Provinz ist auf solche privaten Initiativen sehr angewiesen, denn der Staat hat keine ausreichenden Ressourcen, um dafür vergleichbar zu sorgen. Ein Aspekt davon: Immer noch bleiben drei Viertel des steirischen Landeskulturbudgets in Graz, ein Viertel wird in die restliche Steiermark investiert.

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Hinzu kommt, daß wir untereinander Verständigung und Austausch pflegen. Der Jahreslauf ist von Treffen und allerhand Veranstaltungen durchzogen. Das hat stellenweise Aspekte von Brauchtum, weil Manches, wie diverse Korso-Arten, auf die Zeit vor der Erfindung des Automobils zurückgeht und daher heute im dritten Jahrhundert angekommen ist. Siehe dazu etwa den Absatz "Vom Blumen- zum Benzinblumencorso" im Prater-Essay "Blumen, Bier und Backhendl" [Austria Forum]

Andere Zusammenkünfte haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg herauskristalliert. Manches wurde aus den USA übernommen, wo die Volksmotorisierung schon früher eingesetzt hat, was sich etwa am 1932er Ford mit dem V8 Flathead-Motor festmachen läßt. Es war diese Konstruktion, mit der V8-Motoren damals aus dem Luxus-Segment herauskamen und sich plötzlich für die Massenproduktion eigneten.

Kurz, diese Mischung aus dem Erhalt von altem Wissen und handwerklichen Kompetenzen, den kulturellen Erscheinungsformen, welche Kontinuität haben, den Moden, Artefakten und begleitenden Literaturen, eben diese Mischung ergibt ein kompaktes kulturelles Feld, das hochkarätig belebt wird und alle sozialen Schichten repräsentiert. (Es ist keineswegs übertrieben, da treffen sich Hackler und Millionäre.)

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Dazu paßt übrigens, was gerade jetzt, während ich diesen Text schreibe, Profi-Fotograph Gerhard Szamuhely, "Garagen Liebling" genannt, auf Facebook publiziert hat. Es ist eine Puch MC 50, für sich schon ein Klassiker. Hier aber speziell dieser private Umbau nach einem amerikanischen Original. Das war in meinen Teenager-Tagen sehr populär.

Das Vorbild ist die modifizierte Harley Davidson, ein Chopper aus dem Film "Easy Rider", die "Captain America". Sie sehen schon, Sozialgeschichte, Kulturgeschichte, Triviales und Technisches, in diesen Motiven ist viel gebündelt. Wir sagten damals "Easy Rider-Maschin", denn die Bilder hatten uns in den 1970ern erreicht, aber die Begriffe, was Bobber, Chopper und Cruiser sind, noch nicht. Siehe zu diesem Thema den vorigen Eintrag: "Chopper oder Cruiser?" [link]

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Captain America (Foto: Joachim Köhler, GNU-Lizenz)

-- [Volkskultur] --


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