Der kurze Sommer des Automobils / Seite 41

Chopper oder Cruiser?

Volkskultur in der technischen Welt. Ja, da wollte mir schon mancher nicht zuhören. Das sind so interessante Felder, denen sich unser heimisches Bildungsbürgertum weitgehend verschließt. Aber vielleicht ist das die gute Nachricht, denn es hat der Volkskultur oft eher geschadet, wenn sich Hüter aller Arten ihrer annahmen.

Die Wissenschaft hat sich damit über Jahrzehnte befaßt. Allerdings gibt es kaum aufschlußreiche (deutschsprachige) Literatur über einige sehr interessante Subkulturen, in denen das heute praktiziert, ja gelebt wird. Bobber und Chopper. Hot Rods und Custom Cars. Die Begriffe offenbaren Amerika als Ursprungsland solcher Genres, doch das hat längst auch seine umfassende Verbreitung in Europa.

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Ich hab eben erst Roman Hold besucht, der mich in seine Garage blicken ließ. "Was ist das für ein Lampentopf?" fragte er mich grinsend. Der Clip läßt mich richtig raten, denn dieses Detail ist sehr markant. "Citroen 2 CV?" "Richtig."

Was Sie hier sehen, gibt Hinweise auf unser Thema. Die Metal Flake-Lackierung würde heute kaum noch jemand in Betracht ziehen. In meiner Kindheit war dieses Glitzern mit zwei Dingen verknüpft. Musicbox (Wir sagten damals nicht Jukebox.) und Motorradsturzhelme. Ab und zu sah man ein ganzes Fahrzeug in solchem Gewand, soweit ich mich erinnere aber nur Dune Buggies auf VW-Käfer-Basis.

Hier sieht man eine Sektion von blankem Blech des Lampentopfes ausgespart, mit rauchigen Rändern. So ein Stück kann allemal mehrere Duzend Lackschichten erhalten. Das Flammendekor (Flame Job) ist in klassischer Linienführung umgesetzt, womit ich sagen will, daß es eine erhebliche Bandbreite von bewährten und überlieferten Formen gibt. Das ganze Fahrzeug darf ich noch nicht zeigen, denn Roman Hold arbeitet an einem Showstopper, mit dem er in Amerika punkten möchte. Das Projekt soll Staunen auslösen.

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Aber ich bin so frei, die Verteilerkappe hervorzuheben und auf die zwei LED-Leisten an den Innenseiten der Rahmenrohre hinzuweisen. Das werden interessante Lichteffekte. Zählt man die Zündkabel, dämmert einem, daß sich hier ein Motorrad entwickelt, welches rund um ein V8-Triebwerk aufgebaut wird.

Das ist ziemlich beunruhigend. Hold sagt, die Boss Hoss sei ihm zu, ähem, räusper, unelegant. Also wird es bei ihm ein Lowrider, wie er vielleicht in Mexiko gemacht würde, der wesetlich besser aussehen soll, als die wuchtige Kleinserie aus den USA. Nun merken Sie vielleicht, hier ist also von einem Unikat die Rede.

Das macht kein Ingenieur, kein Maschinenwissenschafter, sondern ein Handwerker mit viel Praxis und eigentümlichem Gestaltungswillen. Übrigens, der Tank ist ein handgefertigtes Einzelstück aus Aluminium, mit unzähligen Lackschichten dekoriert, auch hier der klassische Flame Job an den Flanken.

Das Fahrzeug zeigt jetzt schon Gestaltungselemente eines Choppers, doch seine schiere Wucht und massive Bauweise läßt mich eher an einen Cruiser denken. Dieses muskulöse Auftreten wurzelt im riesigen Automotor, der die Fuhre antreiben wird.

Aber was wollte ich Ihnen damit verdeutlichen? Da ist ein avancierter Jargon, mit dem über so ein Fahrzeug gesprochen werden kann. Da ist ein tradiertes Formenspiel, das sich aus einem reichen Fundus ästhetischer  Konzepte ableiten läßt.

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Das korrespondiert mit einem bestimmten Lebensstil, der seine bewährten Dresscodes hat, seine bevorzugten Musiken und verschiedene Tattoo-Stile. Das handelt von ausdauernden Arbeiten in Garagen und von üppigen Auftritten bei Festen, bei großen Conventions. Und nie ist man untermotorisiert.

Vor allem ist dieses Geschehen aber nicht von der Metaebene her bestimmt und geleitet, von Deutungseliten reglementiert, von Traditionswächtern zwischen Handbücher gezwängt. Das ist alles Ausdruck einer lebendigen Szene, die sich bei diversen Treffen mißt, die sich über Fanzines verständigt und heute natürlich auch im Internet sehr stark präsent ist.

Was nun wesentliche Stilelemente betrifft, möchte ich Sie nicht ganz im Unklaren lassen. Ein Chopper hat seine Stilwurzeln im "abgehackten" und flach eingesetzten Lenkkopf-Lager, damit eine möglichst lange Gabel ein schlankes Vorderrad schieben kann. Dagegen fällt das Hinterrad vorzugsweise sehr fett aus, was ästhetische Gründe hat, aber auch praktischen Nutzen, denn der   Motor soll möglichst viel Kraft bieten.

Damit man das Triebwerk gut sehen kann, wird ein verkleinerter Tank möglichst hoch darüber verziert, während der Sattel oder die Sitzbank möglichst tief liegen sollen. Je nach Geschmack und Körpergröße der jeweiligen Person kommt auf die Gabel ein niederer T Bar-Lenker oder ein hoher "Apehanger".

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Chopper oder Cruiser? Das ist also bei manchen Projekten nicht so genau zu klären. Ganz egal, denn was zählt, ist der Wow-Effekt, dem jederzeit auch der Fahrkomfort geopfert wird. Einfallsreichtum und handwerkliches Können, Erfahrung und lebendiger Austausch mit anderen Enthusiasten, Momente der Stilsicherheit und die Bereitschaft zum gezielten Stilbruch, Kenntnis der Codes, um sie bei Bedarf umzuschreiben, das sind eben Ausdrucksweisen einer lebendigen (Volks-) Kultur.

Vor der Hütte übrigens eine Corvette, erste Generation, zweites Baumuster, Baujahr 1959. Ein kleiner Hinweis darauf, daß die Ästhetik der 1950er Jahre in diesem Milieu hohen Stellenwert hat. Aber die Leitikonen der Hot Rod-Szene gehen sehr wesentlich auf die Designs der 1930er Jahre zurück; wie das Coupé auf dem nächsten Foto belegt.

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-- [Volkskultur] --


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