Der kurze Sommer des Automobils / Seite 31 Der Kentaurische Pakt
Ich hab im vorigen
Eintrag von meinem Besuch im Heeresgeschichtlichen Museum Wien erzählt. Dort
hat mich kein Gemälde so sehr gefesselt wie jenes, auf dem der in Graz geborenen
Ulanen-Oberst Rodakowski eine Attacke reitet.
Das Gemälde (1908) von Ludwig Koch
bezieht sich auf die Schlacht
Österreichs gegen Italien, im Juni 1866 bei Custozza [GROSSE ANSICHT]
Man sieht ihn auf seinem Pferd mit erhobenem
Kavalleriesäbel anstürmen. Ich hatte das Motiv schon aus einigen Zusammenhängen
gekannt, stand nun gebannt davor. Das Gemälde mißt etwa 3,5 mal 2,5 Meter und zeigt
exemplarisch, was der Kulturwissenschafter Ulrich Raulff ausführlich als den Kentaurischen
Pakt beschrieben hat, dessen Ende wir Kinder der Nachkriegszeit miterlebt haben.
Einige Jahrtausende war das Pferd die Tempomaschine par
excellence und schnell sein hieß beritten sein, so Raulff: "Verglichen mit
dieser historischen Allianz waren alle anderen Bündnisse, die der Mensch in seiner
Geschichte einging, fragil und ephemer; nicht einmal die Beziehungen zu seinen Göttern
wiesen ein vergleichbares Maß an Stabilität auf."
Diese Jahrtausendgeschichte der exponierten Symbiose von Fluchttier
Pferd und Beutetier Mensch hatte ihren Abgesang zwischen den Napoleonischen
Kriegen und dem Ersten Weltkrieg, fand in der Motorisierung der
Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ihre vorläufige Schlußszene.
(Vorläufig deshalb, weil das Thema Pferdekraft eventuell
eine neue Konjunktur erleben könnte.)
Fordson
Model F aus der Vorkriegszeit
Eines der Hauptereignisse dieser jüngeren Entwicklung ist
der Fordson Model F. Ein kompakter Traktor, der ab 1917 in Irland gebaut wurde.
Er macht gegenüber den riesigen Dampf- und Diesel-Geräten früherer Abschnitte die
handliche Dimension anschaulich, mit der dann zum Beispiel ab 1947 etwa die ersten Steyr-Traktoren
produziert wurden. Siehe dazu: [link]
Aber ich greife vor. Es ist rund 200 Jahre her, da
präsentierte der Forstbeamte Karl von Drais seine Laufmaschine der
Öffentlichkeit von Mannheim. Ulrich Raulff ist mit Historiker Hans-Erhard Lessing einig,
daß diese Erfindung unter dem massiven Eindruck eines außergewöhnlich weitreichenden
Pferdesterbens entstanden sei. (Drais soll seinen Apparat selbst "Fahrmaschine
ohne Pferd" genannt haben.)
Das erwähnte Pferdesterben folgte einer
Futtermittelknappheit quer durch das westliche Europa, da es enorme Mißernten gegeben
hatte, denen auch unzählige hungernde Menschen zum Opfer fielen. Pferd und Mensch waren
also in direkte Nahrungskonkurrenz geraten.
Krater des Mount Tambora (Foto:
Public Domain, NASA Earth Observatory)
Die Mißernten und Hungersnöte zeigten sich als
Konsequenzen eines Vulkanausbruchs auf einer indonesischen Insel. Der 1815er Ausbruch des Tambora
gilt als weit größer denn jene von Krakatau und Vesuv. Kälteeinbrüche und Regenfälle
machten 1816 auch in Europa zum "Jahr ohne Sommer". Die Ernteausfälle
sorgten für desaströse Preissteiergungen.
Die überlieferten Schilderungen über die Reaktionen der
hungernden Menschen, etwa Berichte aus der Schweiz, lassen einen heute noch schaudern. Vor
diesem Hintergrund bahnte sich also das Fahrrad an, dem die Automobilgeschichte einige
wichtige technische Entwicklungen und auch menschliche Erfahrungen in der Raumüberwindung
verdankt.
Zugleich kam die Erste Industrielle Revolution
wirksam in Fahrt. Ich hab in meinem Logbuch notiert, wie Erzherzog Johann Johann
in den Jahren 1815/16 England bereiste und dabei in Birmingham von James Watt empfangen
wurde, dessen Verbesserungen der Dampfmaschine so enorme Konsequenzen zeigten: [link]
Peter Rosegger gab uns später Eindrücke, welche Effekte
die Adaptionsphasen der Menschen im Umgang mit neuen Technologien zeigten. In seinem Buch
"Als ich noch der Waldbauernbub war" ist das Kapitel 20 mit "Als
ich das erstemal auf dem Dampfwagen saß" überschrieben.
Darin heißt es: »Behüt uns der Herr«, rief der
Pate, »daß wir das Teufelswerk anschaun! 's ist alles Blendwerk, 's ist alles nicht
wahr.« [Quelle] Angst, Scheu, Dämonisierung, stellenweise auch
Maschinenstürmerei, das sind eventuell soziale und kulturelle Erfahrungen, die uns in
aktuellen Technologieschüben erneut blühen. Publizist Martin Kugler berichtet:
"Als die Lok 'Adler' 1835 erstmals zwischen
Nürnberg und Fürth verkehren sollte mit 30km/h , soll ein Gutachter des
Bayrischen Medizinalkollegiums gemeint haben, dass die Geschwindigkeit bei den
Passagieren die geistige Unruhe, ,Delirium furiosum genannt, hervorrufe."
[Quelle]
Ausschnitt aus dem Originalplan des
Franzdorfer Viadukts, Carl Ritter von Ghega,
(Graphik: Public Domain, scanned and "assembled" by @elezocestni)
Fußnötchen: Die honorigen Herren hätten sich davor auch
mit einigen Kavalleristen unterhalten können, was der menschlichen Natur an Tempo
zuträglich sei. All das hat einen Hintergrund, den Literaturprofessor Jeremy Adler in
"Europa lebt vom Handel der Ideen" so skizziert:
"Nicht weniger bedeutsam ist, dass Europa zur
Heimat der Wissenschaft wird, indem sich hier die naturwissenschaftliche Revolution von
Galilei, Kopernikus und Tycho de Brahe bis hin zu Kepler und Newton vollzieht."
[Quelle]
Das korrespondiert besonders an einer Stelle mit den
Ausführungen von Raulff: "Diese Mischung aus Eros und Gewalt, diese kühne
Begegnung zwischen Mensch und Gott, die hier zum Ausdruck kommt, kennzeichnet Europa bis
zum heutigen Tag."
Unnötig zu erwähnen, daß sich so freilich auch ein Faustischer
Pakt offenbart, zu dem der Kentaurische Pakt wurde. Und nun, da wir auf eine
Vierte Industrielle Revolution zugehen, werden die sozialen Auswirkungn wohl
vergleichvar radikal sein. Aber wir können uns dabei auf schon gemachte gesellchaftliche
Erfahrungen stützen.
-- [Mensch und Maschine] [Dorf 4.0] --
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