14. Juni 2024

Ich hatte die Wahl IV


[Vorlauf] Ist nach der Europawahl in Österreich eigentlich schon jemand zurückgetreten? Irgendjemand? Kleiner Scherz! Bei uns tritt doch niemand zurück, weil eine Wahl übel ausgegangen ist.

Vielleicht räumt man seinen Sitz, wenn einem von der Universität das Doktorat aberkannt wurde. Oder man ist mit einer gröberen Straftat aufgeflogen. Aber ansonsten? Rücktritt? Das läßt sich doch alles kleinreden, schönreden, aussitzen.



Nach der Wahl ist heuer vor der Wahl. (Quelle:ORF)

Ich hab durch eine amerikanische Talk Show eben einen Erwachsenenbildungsmoment erlebt. Vielleicht kennen Sie diesen Sager: „Fake it till you make it!“ Nun weiß ich die Fortsetzung für den Fall, daß es schiefgeht: „Denie, denie, denie till you die!“

Ich lerne auch so langsam, diverse Schimpfarien nicht als Ausdruck miserabler Manieren zu deuten, sondern als eine verhaltensoriginelle Variante der österreichischen Mentalität. Ich wollte einst, eigentlich sicherheitshalber, dem eloquenten Psychiater Erwin Ringel nicht trauen, als er in den 1980er Jahren „Die österreichische Seele“ als eine speziellen Fall referierte.



Das komplette Blatt: Anklicken! (Quelle: APA & ORF)

Aber es läßt sich nicht dran rütteln, wir haben diese Mischung aus Schmäh und Niedertracht verfeinert, kultiviert, offenbar zu einem identitätsstiftenden Merkmal entwickelt. Über jüngste verbale Ausritte von hochrangigen Politikern des Landes will ich mich nicht mehr äußern. Von Vilimsky bis Kogler hat man sich selbst offenbar schon alles verziehen.

Den Nehammer'schen Kommentar zur Wahlniederlage können wir auch getrost ins Archiv schicken, denn wir gehen auf herbstliche Landtagswahlen zu. Da regieren Korpsgeist und Zweckoptimismus, egal, wie sehr dieses oder jenes Seelchen knirschen dabei mag.



Wenn die Contenance flöten geht... (Quelle: Kleine Zeitung)

Eine lokale Episode scheint mir erwähnenswert, weil sie illustriert: dieser Groove reicht durch allerhand Schichten, durch viele Etagen der Politik. Wolfgang Weber, ein Gleisdorfer Stadtpolitiker aus den Reihen der ÖVP, schaffte es mit seinen Emotionen in die Regionalpresse.

Ich zitiere: „Die Nationalisten mit Lügenbaron Vilimsky an der Spitze haben in Österreich gewonnen.“ Weber weiter: „Die beste Immunisierung gegen diese blauen Lügner und Flegel ist gute Arbeit.“



Das komplette Blatt: Anklicken! (Quelle: Europäisches Parlament)

Das kommt übrigens von einem Politiker, der in jüngerer Vergangenheit anläßlich kommunistischer Wahlsiege (in Graz und Salzburg) zweimal mit Anlauf bemüht war, Karl Marx den Stalinismus in die Schuhe zu schieben. Das ist zwar zeitgeschichtlich und politikwissenschaftlich ebenso Mumpitz, wie philosophisch betrachtet, aber es schafft einen Eindruck, was Weber mit „guter Arbeit“ meint.

Weber beklagt unter anderem „inhaltsleeren Pöbeleien“. Wollen wir also festhalten, die gelte es zu vermeiden, egal, ob in privaten Beziehungen oder ganz generell im Gemeinwesen. Bliebe noch zu klären, wie ein Wahlkampf ohne Propaganda-Strategien angelegt sein könnte, von denen sehr viele naturgemäß eher auf Wohlklang, als auf inhaltliche Fülle ausgelegt sind. Aber das können wir uns schon demnächst genauer ansehen. Bei den Landtagswahlen... [Fortsetzung]

+) Eurasien


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