12. Juni 2024

Ich hatte die Wahl II


[Vorlauf] Es scheint mir unübersehbar: Politik findet ganz wesentlich auf dem Boulevard statt. Ich nehme das zur Kenntnis, denn es wäre töricht, über den Status quo dieser repräsentativen Demokratie zu lamentieren.

Ich mag den Wortlaut des Artikel 1. unseres Bundes-Verfassungsgesetzes: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Das bedeutet ja nicht, wir könnten auf dem Sofa hocken und der Funktionärswelt zurufen, wie man sich dort verhalten solle.

Es fehlt bei uns nie an irgendeinem Deppen, der dann ruft: „Wir sind das Volk!“ Selbst mit gebildeten Menschen in meine nächsten Umgebung gelingt mir meist keine Erörterung, was genau das bedeuten könnte: „Ihr Recht geht vom Volk aus.“.



Zugpferd sind wir uns selbst: Zeit.Raum Gleisdorf.

Was immer von uns ausgehen mag, würde ja einer Klärung bedürfen: Wofür fühle ich mich selbst nicht nur zuständig, sondern auch verantwortlich? Was fällt mir ein, um den überlieferten Untertan in mir zur Bürgerin, zum Bürger zu machen? Was verlangt das konkret?

Ich beschränke meinen Befund auf das Kulturvölkchen, denn da kenne ich mich aus. Steiermarkweit sehe ich zahlreiche Kulturinitiativen, die sich als „autonom“, wahlweise „frei“ hervortun, strukturell aber staatsnahe Betriebe sind, wo gut gelauscht wird, was Politik und Verwaltung vorschlagen.

Steiermarkweit sehe ich, daß inhaltliche Arbeit bezüglich der Kulturpolitik auffallend oft Verwaltungskräften überlassen wird. Und zwar von beiden Seiten her, von politisch Funktionstragenden und von primären Kräften.

Was meint „primären Kräfte“? All jene, von denen Werke bereitet werden, von denen der Content kommt, auf den sich Markt, Politik und Verwaltung beziehen. Dieses Metier wird teilweise gerne als „Szene“ dargestellt. Dazu erschien vor einer Weile das Schlußpapier einer Reihe von Konferenzen, wobei „Heidrun Primas & Werner Schrempf“ als externe Berater:innen der Kulturabteilung des Landes genannt werden: „Kulturstrategie 2030“.



Erleuchtung kommt durch kohärente Arbeit in Kontinuität.
(Der Rest ist Esoterik.)

Da heißt es (Zitat): „Der Unterschied zu anderen, früheren Prozessen ist, dass in Summe rund 600 Akteur:innen aus 'Volkskultur', 'Hochkultur' und 'freier Szene' miteinander diskutiert und ihr Wissen zur Verfügung gestellt haben. Quantitativ ein Meilenstein. Qualitativ erst recht.“

Das Begriffs-Trio „Volkskultur, Hochkultur und freie Szene“ kommt dann mehrfach vor, was mich zum Schluß bringt, daß in meinem Milieu über 40 Jahre Fachdiskurs fehlen, denn mit diesem malerischen Wort-Triptychon kann der Status quo nicht treffend beschrieben werden, die nahe Zukunft schon gar nicht.

Aber wir sind ja das Volk. Politik und Verwaltung werden das schon angemessen beachten. Oder auch nicht. Fußnötchen: In Gleisdorf wird ein Pakt Kulturschaffender vom Büro für Kultur und Marketing verwaltet. Das ist auch nicht gerade ein Signal politischer Reife.



Die "Kulturstrategie 2030" läßt mich ratlos.

Gleisdorfs Bürgermeister Christoph Stark, der auch dem Nationalrat angehört, postete gestern auf Facebook: „Nun sind alle Stimmen der Europawahl ausgezählt. Es ist unbestritten, dass wir einen beachtlichen Rechtsruck erlebt haben, der keineswegs überraschend war.“ Ergo? Stark: „Wir liegen mit einem Abstand von 0,85% hinter der FPÖ auf Platz 2 und sind nahe unserem Ergebnis der EU-Wahl von 2014.“ Gab es je eine Wahl, nach der die ÖVP in der Steiermark hinter der FPÖ gelegen hat? Ich denke, das ist eine neue Erfahrung. [Fortsetzung]

+) Eurasien
+) Rechtsruck
+) Zeit.Raum Gleisdorf

Postskriptum

Hier meine Facebook-Notiz von gestern: es ist verlockend, heute herumzujammern. gefällt mir nicht! ich bin "team toni morrison". zitat: „No! This is precisely the time when artists go to work. There is no time for despair, no place for self-pity, no need for silence, no room for fear. We speak, we write, we do language. That is how civilizations heal. I know the world is bruised and bleeding, and though it is important not to ignore its pain, it is also critical to refuse to succumb to its malevolence. Like failure, chaos contains information that can lead to knowledge—even wisdom. Like art.“

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