2. Juni 2024

Ostasiatisches Denken II


[Vorlauf] In laufenden politischen Diskursen wird mir viel zu schlampig über angebliche „Abendländische Werte“ schwadroniert. Frage ich nach, kommen meist recht unterschiedliche Aufzählungen zustande, die eher unscharf diversen Quellen zugeschrieben werden.

Mir wäre es weit angenehmer, stattdessen über menschliche Tugenden zu sprechen. Das hätte ferner den Vorteil, uns mit Menschen aus anderen Weltgegenden besser vergleichen zu können. Vor allem, um leichter herauszufinden, worin wir uns ähnlich sind, beziehungsweise was wir teilen. (Was uns allenfalls trennt, ist ja schnell und mühelos abgehandelt.)



Weisheits-Simulation: Wozu braucht man hierfür einen alten Asiaten?

Dann fiele es womöglich auch leichter, an und zu anzuerkennen, was dieses westliche Europa aus anderen Kulturen alles bezogen, übernommen hat, um aus dem Mittelalter heraus zu werden, was es ist. Das wäre ein gleichermaßen kultureller wie politischer Fortschritt in einer Zeit, die von großspurigen Zwergen geprägt wird, deren politische Verkündigungen mit ihrer Tragfähigkeit über keinen Tellerrand hinauskommen.

Ich halte mich für jemanden, der dieser Welt mit ständigem Interesse zugewandt ist. Dennoch merke ich bei genauerem Hinsehen, daß ich über große Gebiete und Länder ganz wesentlich klischeehafte Vorstellungen hab. Klischees sind vermutlich eine praktische Option, diese Vielfalt und Menge zu ertragen,wie sie uns durch unsere Mediensituation erreichen kann.

In meinem Metier, der Wissens- und Kulturarbeit, gilt zumindest die Einladung, hinter die Vorhänge, die Schleier der Klischees zu treten, um herauszufinden, was da erfahren werden kann. Das bedeutet unausweichlich, jenen überschaubaren Horizont zu akzeptieren, der einem in den Betrachtungen möglich ist, also mit einer Art von Teilwissen zurechtzukommen.



Deppen-Akademie: Was genau soll Karma mit Glauben zu tun haben?

Was ostasiatisches Denken angeht, gilt offenbar das als grundlegend: Ein Bestreben „Vom Sein zum Werden“. Etwas sehr Dynamisches. Im Abendland dürfte das umgekehrte Prinzip vorherrschen: „Was wir sind und haben, lassen wir nicht mehr los.“

Bei meinem Nachdenken über China und Asien fällt mir auf, daß uns da wie dort klassische Texte nützen können, um im philosophischen Denken voranzukommen. Dem steht in meiner Gegend eine Art Asien-Simulakrum gegenüber, für das vor allem buddhistische Symbole verbraten werden.

In den letzten wenigstens fünf bis zehn Jahren ist mir ein Boom der Buddha-Figuren in allen nur denkbaren Themen- und Lebenszusammenhängen aufgefallen, stellenweise mit Klangschalen und mit Hexagrammen des I Ging garniert. (Räucherstäbchen optional.)



Wozu Deppen-Readers Digest, wenn die Quellen selbst verfügbar sind?

Ich kann mich bloß wundern, wer da alles zu welchen Themen und Aufgaben ein solches Framing benutzt. Das bedeutet, man assoziiert sich mit Symbolen, die vermutlich für Weisheit und Ruhe stehen sollen, Eigenschaften, die jemand für sich reklamiert, indem man sich mit solchen Requisiten umgibt. Mummenschanz.

Ich deute sowas als eine Art von Guerilla Marketing, für das fremde Kulturen geplündert werden. Überdies kursieren zu all dem häufig gefälschte Zitate „fernöstlicher Weisheit“. So wie es in westlicher Prägung zum Beispiel mit Voltaire, Goethe und Kafka gespielt wird, müssen angeblich buddhistische, wahlweise indianische Fake-Zitate herhalten, um irgendeinen besonderen „Bewußtseinszustand“ zu dokumentieren.

In meinen Augen ist das bloß schlampiger Kolonialstil. Was ich da so alles in den Social Media finde, korrespondiert praktisch nie mit dem, was ich aus den Quellen, den einschlägigen Büchern kenne. (Momentan schaue ich mir grade das Tao de King wieder einmal genauer an.) [Fortsetzung]

+) Eurasien

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