Dann fiele es womöglich auch leichter, an
und zu anzuerkennen, was dieses westliche
Europa aus anderen Kulturen alles bezogen,
übernommen hat, um aus dem Mittelalter
heraus zu werden, was es ist. Das wäre ein
gleichermaßen kultureller wie politischer
Fortschritt in einer Zeit, die von
großspurigen Zwergen geprägt wird, deren
politische Verkündigungen mit ihrer
Tragfähigkeit über keinen Tellerrand
hinauskommen.
Ich halte mich für
jemanden, der dieser Welt mit ständigem
Interesse zugewandt ist. Dennoch merke ich
bei genauerem Hinsehen, daß ich über große
Gebiete und Länder ganz wesentlich
klischeehafte Vorstellungen hab. Klischees
sind vermutlich eine praktische Option,
diese Vielfalt und Menge zu ertragen,wie sie
uns durch unsere Mediensituation erreichen
kann.
In meinem Metier, der Wissens-
und Kulturarbeit, gilt zumindest die
Einladung, hinter die Vorhänge, die Schleier
der Klischees zu treten, um herauszufinden,
was da erfahren werden kann. Das bedeutet
unausweichlich, jenen überschaubaren
Horizont zu akzeptieren, der einem in den
Betrachtungen möglich ist, also mit einer
Art von Teilwissen zurechtzukommen.
Deppen-Akademie: Was genau soll
Karma mit Glauben zu tun haben?
Was ostasiatisches Denken angeht, gilt
offenbar das als grundlegend: Ein
Bestreben
„Vom Sein zum Werden“.
Etwas sehr Dynamisches. Im Abendland
dürfte das umgekehrte Prinzip
vorherrschen:
„Was wir sind und
haben, lassen wir nicht mehr los.“
Bei meinem Nachdenken über
China und Asien fällt mir auf, daß uns
da wie dort klassische Texte nützen
können, um im philosophischen Denken
voranzukommen. Dem steht in meiner
Gegend eine Art Asien-Simulakrum
gegenüber, für das vor allem
buddhistische Symbole verbraten werden.
In den letzten wenigstens fünf bis
zehn Jahren ist mir ein Boom der
Buddha-Figuren in allen nur denkbaren
Themen- und Lebenszusammenhängen
aufgefallen, stellenweise mit
Klangschalen und mit Hexagrammen des I
Ging garniert. (Räucherstäbchen
optional.)
Wozu Deppen-Readers Digest, wenn
die Quellen selbst verfügbar
sind?
Ich kann mich bloß wundern, wer da
alles zu welchen Themen und Aufgaben ein
solches Framing benutzt. Das bedeutet,
man assoziiert sich mit Symbolen, die
vermutlich für Weisheit und Ruhe stehen
sollen, Eigenschaften, die jemand für
sich reklamiert, indem man sich mit
solchen Requisiten umgibt. Mummenschanz.
Ich deute sowas als eine Art von
Guerilla Marketing, für das fremde
Kulturen geplündert werden. Überdies
kursieren zu all dem häufig gefälschte
Zitate „fernöstlicher Weisheit“. So wie
es in westlicher Prägung zum Beispiel
mit Voltaire, Goethe und Kafka gespielt
wird, müssen angeblich buddhistische,
wahlweise indianische Fake-Zitate
herhalten, um irgendeinen besonderen
„Bewußtseinszustand“ zu dokumentieren.
In meinen Augen ist das bloß
schlampiger Kolonialstil. Was ich da so
alles in den Social Media finde,
korrespondiert praktisch nie mit dem,
was ich aus den Quellen, den
einschlägigen Büchern kenne. (Momentan
schaue ich mir grade das Tao de King
wieder einmal genauer an.)