30. August 2022
Rollenklarheit
[Vorlauf] Ich hab
gestern in „Persönlicher Handlungsspielraum?“ angedeutet,
daß ich einen Unterschied zwischen Diskurs, persönlicher
Verantwortung und konkretem Handeln erkennen können möchte.
Gezänk ist kein Diskurs. Wenn mich die Ukraine beunruhigt,
kann ich mindestens zu einem gesamteuropäischen
Stabilisierungsprozeß beitragen, indem ich der Politik vor
Ort Redlichkeit abverlange.
Der nächst stärkere
Wirkungsgrad fordert, daß ich Verbündete finde, verlangt ein
höheres Organisationsniveau. Eine Initiative, eine
Interessensgemeinschaft, wird sich vermutlich andere Ziele
setzen, andere Strategien anwenden, als ein Individuum.
Stichwort: Mehrheiten bilden.
Ob ich bei bestehenden Formationen andocken will, ob ich
eine neue aufbauen möchte, ob ich NGO-Status bevorzuge oder
mir von einer etablierten Partei mehr erwarte, vielleicht
will ich für mich bleiben, mich aber mit anderen
austauschen; unsere Republik ist für alle diese Varianten
eingerichtet.
Wo ich mit anderen Leuten Dissens
erlebe, interessieren mich einerseits die Argumente,
andrerseits die Intentionen. Mein genereller Angelpunkt in
allen politischen Belangen ist die Frage: „Haben Sie gute
Absichten?“
Da ich ein Leben in der Kunst führe,
nutze ich bei all dem auch Mittel der Kunst, was aber aus
politischen Schritten a priori keine Kunstwerke macht. (Da
stehe ich im Kontrast zu Beuys.) Ich neige zur Überzeugung,
eine „Kunst um zu…“ sei überhaupt keine. Ich habe wenig
Vertrauen zu „engagierter Kunst“. Der Grund ist einfach. Ich
bin auf etliche Arten zugehörig. Ein Künstler, ein
Staatsbürger, ein Oststeirer, ein alter weißer Mann, ein
Büchernarr, ein Mensch mit antiquiertem Musikgeschmack, ein
Automobilpaparazzo…
Ich denke, in den meisten
Lebenssituationen (wenn auch nicht zwingend in allen) ist
Rollenklarheit unverzichtbar. Wenn ich mich politisch
exponiere, tue ich das als politisch anwesender
Staatsbürger. Dabei bin ich auch Künstler, wie ebenso all
die anderen vorhin genannten Rollenteile ihre Wirkungen
einbringen. Aber ein Kunstwerk entsteht dabei nicht.
Sie ahnen nun sicher, ich hab auch kaum Interesse am Begriff
„Intervention“, der jetzt wenigstens 30 Jahre zu Tode
geritten wurde. Kunst und Politik finden bei mir an einem
sehr konkreten Punkt zusammen. Aus meiner seit Jahrzehnten
währenden Kunstpraxis beziehe ich Kompetenzen, die ich in
meinem politischen Engagement einsetze.
Aber!
Die Ukraine! Wir können heute voller
Selbstergriffenheit auf ein Zeitfenster zurückblicken, in
dem es mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich gewesen wäre,
der Ukraine einen Status zu verschaffen, welcher diesem Land
ein passables Einvernehmen mit dem Westen ermöglicht hätte,
jedoch einen NATO-Beitritt zugleich ausschloß.
Das
wurde nicht bloß versäumt, sondern einem autoritären
Charakter wie Putin in eher paternalistischen Posen
hingerotzt. (Wer war so doof anzunehmen, das werde bei
diesem Mann keine Konsequenzen haben?) Nun gibt es ja kein
Leben im Konjunktiv und keine Geschichtsbetrachtung, in der
„Was-wäre-gewesen-wenn-Gedanken“ auch nur den geringsten
Wert hätten.
Ich kennen Stimmen, die behaupten: „Wäre
die Ukraine längst in der NATO, Putin hätte diesen Überfall
nicht gewagt.“ Man könnte sich daran erinnern, daß es unter
NATO-Mitgliedern keine einhellige Zustimmung gab und gibt,
die Ukraine in dieses Bündnis aufzunehmen. Also: nebbich!
[Fortsetzung]
+) Der Brief | Eine Momentaufnahme
+) Asien (und der Rest)
[Kalender]
[Reset]
|
|