24. August 2022

Spießer-Kultur und kulturelle Aneignung II

[Vorlauf] Mir sind aus dem Kulturbereich einige Debatten vertraut, die sich kritisch verschiedenen Praktiken widmeten, mit denen weiße Menschen kulturelle Äußerungen Schwarzer geplündert haben und überdies den Eindruck erweckten: „Was immer ihr Schwarzen zu bieten habt, das können wir Weiße alles selbst leisten, dazu brauchen wir euch nicht.“

Beispiele dazu finden sich unter Stichworten wie Blackfacing, Blaxploitation etc. Wenn nun im Gegenzug Menschen beispielsweise behaupten, eine weiße Übersetzerin sei weder fähig, noch befugt, die Gedichte einer schwarzen Autorin zu übersetzen, nehme ich das als Anregung für eine nötige Debatte.


Was genau wäre denn das „genuin Schwarze“, das sich an einen Text übergeben ließe, von wo es nur von Schwarzen treffend und legitim wiedergewonnen werden könnte? Und was genau wäre der spezielle Schatz, um den Schwarze beraubt würden, wenn Weiße die Texte oder Musiken von Schwarzen aufgreifen?

Ich kenne bisher noch keine überzeugenden Argumente, die mir den Raub und den Verlust nachvollziehbar machen. Ich kenne aber sehr gut die Anmaßungen und Attitüden von „Kulturschützern“. Das hat in meiner Biographie einerseits historische Dimension, andrerseits einen konkreten Erfahrungshintergrund.

Einerseits bin ich das Kind eines Clans, in dem während der Nazi-Ära etliche Leute keine Mitläufer, sondern Täter waren. Ich kenne Rassismus, Farbschwäche und Auffassungen bezüglich „Entarteter Kunst“ nicht von den inhaltlich langweiligen Neonazi, sondern von den historischen Originalen und sehe mich dabei als Insider.


Andrerseits war ich Teil des Prozesses, in dem während der 1980er aus den „Folkfriends“ die Musikgruppe „Aniada a Noar“ wurde. Ich erinnere mich sehr gut an Kräftespiele, in denen „Traditionsbewahrer“ die „echte Volksmusik“ gegen solche Entwicklungen abschirmen wollten.

Wenn heute künstlerische Praxis aus ethnischen Gründen mit Restriktionen belegt werden soll, dann will ich dafür gute Gründe hören, die ich nachvollziehen kann. Ginge es dabei bloß um „Gebietsschutz“ und das Sichern einer Unique Selling Proposition im Kulturbetrieb, müssen solche Einwände weggeräumt werden.

Ich möchte davon ausgehen, daß in dieser nötigen Debatte zwischen Bios, Ethnos und Demos unterschieden wird. Ich will voraussetzen, daß wir semantische Probleme vermeiden können, denn das Bezeichnende und das Bezeichnete sind unvereinbar getrennt. Intentionen, Subtext und Kontext helfen uns dabei diese Zusammenhänge nützlich zu deuten. [Fortsetzung]

+) Aneignung


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