17. Juni 2022

Beuys 101

[Vorlauf] Die gestrige Notiz endete mit: „Geschichtsbetrachtung, Kunstpraxis, diese aktuellen Zusammenhänge, all das wirft für mich Fragen auf, welche Arten der persönlichen Verstrickung sich daraus ergeben und was das für mein Leben, für meine Arbeit und für unsere Projekte bedeutet.“

Der Titel „Verdun 2.0“ ist natürlich recht plakativ. Im Jahr 1914 entfaltete sich ein umfassend Mechanisierter Krieg, der den Menschen völlig neue Erfahrungen bescherte und bei Kommandeuren unter anderem Weinkrämpfe, Nervenzusammenbrüche, mentale Ausfälle verursachte. Was es an den Mannschaften bewirkte, mag man sich ausmalen. (Verdun ist für mich dazu das Schlüsselwort.)


In meiner Episode XIII: „Mai acht“ im Gleisdorfer „Zeit.Raum“ kam unter anderem Manfried Rauchensteiners „Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie“ vor. Eine opulente Beschreibung dieses Kräftespiels, wobei Rauchensteiner auch auf jene enorme Überforderung eingeht, die neue Waffensysteme damals ins Geschehen brachten.

Wir sind als Spezies inzwischen keinesfalls netter geworden. Was sich mir symbolisch aufdrängt: Holocaust, Vietnam, Kalter Krieg, das Revival des Faschismus, bei dem sich Enkel der Nazi-Horden und Enkel der Roten Armee ideologisch treffen, während Putin mit seiner Räuberbande nicht bloß das eigene Volks ausplündert, sondern an ganz Europa zerrt.

Mein Thema? Um kurz auf den serbischen Künstler Selman Trtovac einzugehen, der hier noch eine Rolle spielen wird. Er war immer sehr deutlich, wenn es um einen speziellen Punkt ging. Trtovac meint, der Künstler solle seine Aufgaben mit künstlerischen Mitteln bearbeiten.


Im Booklet „Gleisdorf. Überlagerungen II“ finden Sie überdies auf Seite 11 dieses Thema „Das kann ich auch“, den Titel in Selmans Handschrift ausgeführt. Was es damit auf sich hat? Fragen zur Kunst. Debatten. Alle reden mit, auch jene, denen das eigentlich egal ist.

Das ergibt für mich derzeit auch wieder Bezüge zu Josef Beuys. Ich hab es verschiedentlich schon beton, als Patron meiner künstlerischen Existenz kommt er nicht in Frage. Beuys ist mir zu esoterisch und politisch zu dubios. Daß er heute von Spießern gerne als Referenzpunkt genannt wird, überrascht mich nicht. Aber er hat als Künstler Weltrang und daran ist nicht zu rütteln.

Wenn ich Selmans Forderung beachte, bleibt mir als Autor Text an der Hand, mein bevorzugtes künstlerisches Mittel, um an Themen zu arbeiten. Außerdem bevorzuge ich prozeßhaftes Arbeiten, das sich abschnittweise als kollektive Kunstpraxis ereignet.

Ich halte für möglich, daß diese Neigung einige Wurzeln in meine frühen Jahren als Freelancer hat, in denen ich ausnehmend viel mit Musikern zusammengearbeitet hab.

Dabei sind Kommunikation und Resonanz innerhalb der Formation grundlegend, auch falls einzelne Kräfte andere qualitativ überragen mögen. Wenn man daher nicht grade einen Weg als Solopianist anstrebt, ist das kollektiv Prozeßhafte eine ganz naheliegende Option; na, für mich auf jeden Fall. [Fortsetzung]


-- [Asien und der Rest] [Beyus 101] --

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