25. Jänner 2021
Kontext und Variationen
Meine Kindertage waren bezüglich der Kunst von
Ambivalenz geprägt. Da gab es viel Abschätzigkeit gegenüber
komplexen visuellen Codes. „Moderne Kunst“ war laufend als
eine Art von Kulturschande denunziert, ohne daß die Erregten
und Empörten von der Moderne eine erkennbare Ahnung hatten.
Die
Nachtschwärmer [Größere
Ansicht]
Dazu kam ständige Empörung über
Exponate der Popkultur und der Musik dieses Genres. Ein
mäßig gebildetes Spießertum verschanzte sich hinter dem
Begriff „Hochkultur“, dem das ideologisch etwas unsaubere
Konstrukt „Volkskultur“ als Referenzpunkt dienen mußte. Die
Popularkultur wurde als „Schmutz und Schund“ abgewertet und
als „Unkultur“ markiert.
Variante aus dem ersten Lockdown.
Unter solchen Bedingungen wurde gerne hergebetet, daß
Leonardo ein „Universalgenie“ gewesen sei. Leute, die
Malerei ihrer Gegenwart für Mist hielten und gerne
behaupteten, ihre Kinder könnten sowas auch produzieren,
hielten sich zugute, Werke von Leonardo zu schätzen und zu
verstehen.
Tatsächlich konnte davon keine Rede sein,
denn diese arroganten Schnösel hatten natürlich keine Ahnung
von den Codes jener Bilder, was dieser Faltenwurf eines
Stoffes und jene Pflanze in den Händen der dargestellten
Person bedeutet etc.
Das sind Zusammenhänge, in denen ich jene amerikanische
Literatur genoß, von der im
gestrigen Eintrag die Rede war. Stoffe, die unter meinen
Leuten kaum wer kannte, eigentlich niemand, und die mir
Menschen, Situationen, Stimmungen anboten, wie sie vor meine
Haustür nicht stattfanden.
Das hatte für mich als Kind
mit Büchern vom Ambrose Bierce, Jack London oder Edgar Allan Poe
begonnen. Die Musik, die Malerei, die bildende Kunst, aber auch
das Industriedesign, die Architektur; ob Frank Lloyd Wright und
Richard Buckminster Fuller mich mit ihrer Arbeit erstaunten, ob
ich an Autos, Eisenbahngarnituren, Gebrauchsgegenständen die
Handschrift von Norman Bel Geddes, von Raymond Loewy finden
konnte…
Das sind Zusammenhänge, in denen dann einerseits die
„Nighthawks“ von Edward Hopper für mich so eine weitreichende
Bedeutung erlangt haben, in denen ich andrerseits heute meinen
Spaß daran habe, wenn nun Bernie Sanders mit seinen Fäustlingen
in diesem Motiv auftaucht.
Daß der herumhockende Bernie
auch mit Banksy verknüpft wurde, wie im
Eintrag vom 23.1.21
gezeigt, ist vollkommen schlüssig. Maler Markus Lüpertz hat
betont: Kunst ist immer mit sich selbst beschäftigt, ist immer
Renaissance.
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