12. Jänner 2021

Teilhabe an der Macht V

Die Unruhen in Amerika waren der Auslöser, daß ich hier am 7. Jänner 2020 eine erste Glosse unter den Titel „Teilhabe an der Macht“ gestellt hab. Tags zuvor, am 6.1.21, war dieser Sturm auf das Capitol erfolgt, bei dem Ashli Babbitt, vormals Military Police Officer, alle Warnungen ignorierte, im Capitol über eine Barrikade zu steigen versuchte und dabei von einem Wachmann erschossen wurde.

Ich hab dieses Detail gestern aufgegriffen, weil mir bis dahin noch eine Weile durch den Kopf gegangen war: was steht im Fokus all diesen Ereignisse? Ein Ringen um Deutungshoheit. Ein Kämpfen um Terrains. Ein Wettrennen um Ressourcen. Ein Zurichten von menschlichem Verhalten.

In den ersten Reflexionsschritten war mir schnell klar: was hier eine weltpolitische Dimension hat, findet seine Entsprechung auch in jeder privaten Beziehung, in ganz persönlichen Angelegenheiten. Außerdem erlebt Österreich eine prekäre politische Situation, seit wir einen Wahl-Marathon absolviert haben.

Das erfuhr durch die Pandemie eine erhebliche Verschärfung. Unsere Bundespolitik ist nun seit etlichen Jahren der Bezugsrahmen für stellenweise verblüffende Machtdemonstrationen. Dabei haben das Gezänk und Gerangel um den Zugriff auf Ressourcen obszöne Momente, was ganz offensichtlich durch immer höhere PR-Budgets der politischen Kräfte kompensiert werden soll.

Es läßt sich sehr anschaulich an jenen Personen verdeutlichen, die jüngst Machtkämpfe verloren haben; wie etwa Herbert Kickl, der sich gerne als „Bester Innenminister aller Zeiten“ promoten ließ. Gestern fand ich auf Youtube im „Anjobi Videoarchiv“ die Aufzeichnung einer Gesprächsrunde. Die ORF-Sendung „Im Zentrum“ vom 10.1.21: „Von Lockdown zu Lockdown“.


In diesem Mitschnitt zeigt FPÖ-Politiker Herbert Kickl eine Mischung aus Sendungsbewußtsein und Angriffslust, durch die es ihm streckenweise nicht mehr gelingt, den Ausführungen anderer zuzuhören, ohne ihnen ins Wort zu fallen. Sein ganzer Habitus und sein wiederholter Redeschwall sagen deutlich: „Ich mach euch platt!“

Dieses unwürdige Verhalten ist eine exemplarische Machtdemonstration. Kickl sieht sich offenbar berechtigt, auf das Verhalten seiner Gegenüber mit einer Wucht einzuwirken, die sich kaum bremsen läßt. Das Mantra zur Sache: Macht = der Zugriff auf Ressourcen und auf das Verhalten anderer Menschen.

Beachte ich die Reaktionen der Kickl-Anhängerschaft im Web, habe ich keinen Zweifel, daß sehr viele Menschen bereit wären, ihm ein Durchgriffsrecht einzuräumen, dessen Wesen in etlichen Kickl-Momenten geoffenbart wurde.

Dieses Durchgriffsrecht und Kickls Verhalten im Umgang mit Andersdenkenden werden zwar mit Berufung auf die Demokratie gerechtfertigt, aber das ist bloß ein kostümiertes Kind der Tyrannei; auch ein kindliches Verhalten mit der Ratio und der Wut eines erwachsenen Mannes.

Derlei österreichische Verhältnisse korrespondieren in einem Punkt auf jeden Fall mit denen in Amerika. Wo Positionen nicht mehr mit Zähigkeit ausgehandelt werden können, Frontstellungen nicht mehr ertragen werden, wo Dissens nicht als unausweichlicher Bestandteil jeder Demokratie begriffen werden kann, gehen Machtanspruch und Gewalttätigkeit Allianzen ein.

Ein Bonmot besagt, Intelligenz sei die Fähigkeit, über zwei einander widersprechenden Meinungen nicht den Verstand zu verlieren. [Vorlauf] [Fortsetzung]


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