11. Jänner 2021
Teilhabe an der Macht IV
Es ist ihre linke Hand, die in einer irritierende Geste
blieb, nachdem Ashli Babbitt tödlich getroffen wurde. Das
hat sich mir eingeprägt. Die Finger auf einer Ebene
gespreizt, der Daumen leicht abgewinkelt. Schließlich rann
Blut aus ihre Nase und ihrem Mund. Die Handhaltung
veränderte sich dabei kaum, blieb so, während das Leben aus
ich wich.
Sie war dabei von einem Tumult
umgeben, in dem sich während ihrer letzten Atemzüge
wenigstens vier Männer in taktischer Ausrüstung und mit
automatischen Gewehren bei ihr eingefunden hatten. Daneben
kniete ein Zivilist, der beide Hände erhoben hielt. Ab
Minute 36:12 des Videos hörte ich einen Mann mehrfach sagen:
„She’s dead!“ (Dieses „She’s dead“ war dann
noch einige Male zu hören.)
Ich bekomme ihre linke
Hand nicht aus dem Kopf. Die erstarrte Geste einer Wütenden.
Eben war sie noch gesprungen, hatte geschrieen. Nun diese
völlig weiche Körperhaltung im Liegen einer Ermüdeten. Aber
die Hand…
Eine Leben zu nehmen ist die Ultima Ratio der Machtausübung. Ich
habe keinerlei Sympathie für diese Frau und finde es doch so
unerträglich, daß sie ums Leben kam. Sie hat politisch viel von
dem verkörpert, was ich verabscheue. Anmaßung und Angriffslust
als Rüstzeug der Verachtung für Andersdenkende, aufgeladen mit
Gewaltphantasien.
Es gibt ältere Videos, die Ashli
Babbitt zornig und fluchend zeigen, wobei sie jenen droht, die
ihren politischen Vorstellungen widersprechen. Sie wollte der
aktuellen Wahl nicht trauen, in welcher Donald Trump geschlagen
wurde. Obwohl wir keinen einzigen Beweis für Wahlbetrug kennen,
zählte sie zu jenen, die Trumps Behauptungen folgten, man habe
ihnen die Wahl gestohlen. Sie redete sich ihre politische
Anmaßung schön und stand zweifellos für einen Umsturz (Coup).
Was immer Babbitt und ihresgleichen in letzter Zeit laut werden
ließen, war unmißverständlich der Tyrannei und einer Führerfigur
gewidmet, ließ sie demonstrativ mißachten, was eine Demokratie
an Instanzen aufbringt: politische Kräfte, Gerichte, ordentliche
Verfahren, solide arbeitende journalistische Fomationen… Das
alles vom Capitol-Mob, Qanon-Leuten und anderen
Interessensgruppen einfach weggewischt.
Ashli Babbitt war
Air Force-Veteranin. Ein Military Police Officer, wie ihr Onkel
erzählte. Also muß sie einen Eid auf ihr Land geschworen haben.
Also mußten ihr die Regeln klar sein, denen sich die
Streitkräfte einer Demokratie verpflichtet haben. Dennoch schloß
sie sich dem Capitol-Mob an, hatte vorab etwa „Nothing will
stop us“ getweetet. „They can try and try, but the
storm is here… dark to light!“
Via T-Shirt illustrierte sie ihre Qanon-Anhängerschaft. Mit
welchem Ziel? Das Wort lautet Umsturz. Was ich in letzter Zeit
an Berichten gesehen habe, erscheint mir als Einübung in einen
möglichen Putsch. Was von Donald Trump nun seit Dezember via
Medien geäußert wurde, ist mehr als einmal die kodifizierte
Ermutigung zu solchen Aktivitäten gewesen.
Dazu braucht
es keinen Klartext. Seit den 1980er Jahren übt sich eine Neue
Rechte in unzähligen Staaten darin, Codes zu entwickeln, die
klare Botschaft sind, ohne einem vor Gericht schaden zu können.
Donald Trump ist darin ein erfahrener Virtuose. [Seite II: der
Ablauf] [Fortsetung]