16. September 2020
Mein Kontinent X
Es gab verschiedene Gründe dafür, daß ich heuer zu
einigen Menschen gesagt hab: dann beginnen wir eben von
vorn. Ich bin nicht gelaunt, solch Momente zu beklagen. Die
bisherige Covid-19-Situation hat viel an die Oberfläche
gebracht, hat Verdecktes sichtbar gemacht.
Ich denke,
es war einst meine Lektüre von Texten des Philosophen Karl
Popper, woraus ich dieses Motiv bezogen hab: eine Falsifizierung
meiner Annahmen nützt zuallererst mir. Gut, ich mag das Gefühl
nicht, wenn einem dämmert: das war’s, da geht es jetzt nicht
mehr weiter.
Der Volksmund sagt, Enttäuschung sei das
Ende von Täuschung. Genau das dürfte auch Popper gemeint haben.
In meiner Betrachtung des Zeitfensters 2010-2015-2020
vertieft sich der Eindruck, daß eine Ära geendet hat. Siehe die
Zusammenfassung: [Link]
Ich nehme an, Klarheit über so einen Status quo klärt den
Boden, auf dem neue Schritte gesetzt werden können. Der Vorteil:
dieser Boden gleicht nicht dem der 1970er Jahre, als wir
beginnen haben, das zu entwickeln und zu erproben, was heute „Inititiativenszene“
genannt wird.
Es war eine soziokulturelle Innovation, es
scheint sich gründlich erschöpft zu haben. So beruhigt sich mein
Eindruck, denn ich hatte tatsächlich einige Zeit das
schmerzliche Gefühl, ich sei von meinem vertrauten Kontinent
heruntergefallen, ich hätte mich diesem Terrain entfremdet.
Dabei hat sich ganz wesentlich und in weiten Bereichen eine
Trübung der Kommunikationssituation eingestellt, um Zustände zu
bemänteln. Euphemismen breiteten sich aus. Wenn aber
Kommunikation gelingt, ist es dort, wo sie abbricht, eben wie
ein Sturz in Bodenloses.
Die Korruption der
Sprache ist immer ein verläßlicher Hinweis darauf,
daß im Denken etwas schiefgelaufen ist. Damit meine
ich: wenn unsere Debatten sich nicht mehr eignen,
Realität abzubilden, stecken wir in Schwierigkeiten.
Das hat seine regionalen Entsprechungen, das finde
ich derzeit im Lokalen, das grassiert wie blöd.
Ich hielt gerade Nachschau bei der IG Kultur
Steiermark. Deren aktuelle Kampagne, die ich
als Reaktion auf die Pandemie deuten möchte, trägt
den Titel „Fair Pay für Kulturarbeit“.
Meine erste Notiz zu dieser Kampagne stamm aus der
Mitte des Jahres 2011: [Link]
Am 27 Februar 2019 erschein ein Input von
Patrick Kwasi: „Lebensplanung Kunst und Kultur?“
Darin hieß es: „Doch Kulturarbeit ist Arbeit und
sollte auch entsprechend entlohnt werden. Dafür hat
die IG Kultur die Fair Pay Kampagne gestartet.“
[Quelle]
Das ist also alles nicht gerade taufrisch.
Sprung in die unmittelbare Gegenwart. Am 15.9.2020
postetet jemand auf Facebook in der Leiste der IG
Kultur Steiermark: „Corona hat das Kulturleben
weiterhin fest im Griff. Niemand macht sich
Illusionen, dass ab 1. Oktober wieder ein regulärer
Kulturbetrieb möglich ist. Mit Ende September enden
jedoch die Unterstützungsleistungen für sämtliche
gemeinnützig arbeitenden Kultureinrichtungen und
-vereine. Danach kommt das Nichts.“
Das Nichts? Okay! So viel Mangel an
Visionen, Konzepten und kulturpolitischer Kompetenz
macht mich sprachlos. Aber das sagt zum Glück nichts
über den Zustand der Kultur, sondern bloß über den
Zustand eines Milieus.
--
[Kulturpolitik]
[Ab
August 2020] --
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