kunst.rasen: wovon handelt kulturpolitik?

Weitere Zahlen, Fakten und Überlegungen

Ich bin im vorigen Eintrag davon ausgegangen, daß ich aufgrund von Praxis, Erfahrung und Alter eine Einkommenssituation wie ein Mittelschullehrer gleichen Alters haben sollte. Fotograf Walter Hillbrand hat mir dazu noch Post aus seinem Bekanntenkreis übermittelt:

>>für einen Lehrer gilt das Gehaltsgesetz als Grundlage für Bundesbeamte. Dieses ist in der jeweils neuesten Fassung im Jahrbuch der Gewerkschaft abgedruckt. Ein 55 jähriger L1 pragmatisierter Lehrer wird in der Gehaltsstufe 17 bzw. 18 sein und bei voller Lehrverpflichtung ca. E 4500.- brutto verdienen.<<

Das korrespondiert in der Einschätzung des Bedarfs und des Anspruches mit Forderungen, wie sie von der IG Kultur Steiermark in der Kampagne "Fair Pay für Kulturarbeit" vertreten werden.

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Wer, wie ich, schon mehr als 20 Jahre im Geschäft tätig ist und im höchsten Kompetenzbereich des vorliegenden Schemas arbeitet, sollte demnach 4.242,23 Euro brutto verdienen. Berechnungsbasis ist hierfür eine 35 Stunden-Woche:

>>qualifizierte, selbstständige Tätigkeiten wie Konzepterstellung und inhaltliche / künstlerische Programmierung eines Kulturprojektes, Festivals oder Jahresprogramms, Geschäftsführung, KuratorInnentätigkeit, wissenschaftliche Angestellte, Projektentwicklung, Organisationsentwicklung, leitende Tätigkeiten wie Projektleitung und Finanzverantwortung, Verantwortung und Durchführung der Personalentwicklung, Personalführung, Entwicklung der Unternehmensstrategie, Budgeterstellung und Budgetkontrolle, Abrechnungskontrolle, Erstellen der Subventionsansuchen<< (Quelle: PDF-Dokument)

Die Hintergründe und Zusammenhänge dieser Skizze sind auf der Website der IG Kultur Österreich ausführlich dargestellt: [link]

Unternehmer Jürgen Kapeller sandte mir noch eine interessante Überlegung: "man sollte auch mit betrachten, dass verdienste von selbständig erwerbstätigen (dein sog. milieu gehört mehrheitlich dazu) und unselbständigen nicht gut vergleichbar sind. Weder netto noch brutto, zumal ein selbständiger kein brutto-gehalt bekommt. Die am ehesten vergleichbare größe wäre die persönliche kaufkraft aber auch da gibt es erhebliche unterschiede."

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Jürgen Kapeller in einer Deutung von Jörg Vogeltanz

Kapeller nennt ein Beispiel struktureller Natur: "Wenn ich als selbständiger z.b. ein auto aus der firma mit vorsteuerabzugsberechtigung fahre, erhöht das meine persönliche kaufkraft deutlich gegenüber einem unselbständigen, der pendlerpauschalen bezieht."

Was an- und abschwellende Klage-Chöre angeht, ist Kapellers bevorzugte Theser unmißverständlich: "Das suderen in deinen kreisen hat ja mmn. auch einen völlig anderen zweck. Zum einen soll es die umwelt konditionieren, besonders rücksicht etc. zu nehmen und nur ja nichts dem gegenüber abzuverlangen - schon gar nicht einsatz oder sowas uncharmantes. Zum anderen sollen darüber hinaus sozialreflexe ("krankenschwester-reflex") getriggert werden, die anderen dazu bewegen, geld oder unterstützung zu leisten, welche(s) sonst nicht verfügbar wäre."

Freilich bleibt unbestritten, daß Kunstschaffende in Österreich extrem ungünstige Arbeitsbedingungen haben. Die zuständige Ministerin zeigt keine Anzeichen, dem förderliche Maßnahmen zu widmen, also werden wir uns wohl selbst darum kümmern müssen.

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Von links: Mirjana Peitler-Selakov, Eva Ursprung, Günther Marchner,
Franz Maunz und Gerhard Flekatsch

Als wir, eine Runde erfahrener Leute aus dem Kulturbetrieb, eben im Gesäuse zur Gründugskonferenz einer breiteren Kooperation zusammentrafen, waren wir uns einig, daß es unverzichtbar ist, an unseren Berufsbildern zu arbeiten und klare Darstellungen nach außen zu tragen.

Wir stellen uns dabei bewußt in Kontrast zu antiquierten Motiven wie etwa: Die Kunstschaffenden als Bohemiens. Das sind teils Bilder, die aus dem 18. und 19. Jahrhundert überliefert und in den 1960er-Jahren paraphrasiert wurden.

So ist ja etwa eine antibürgerliche Attitüde und eine ostentative Absage an "bürgerliche Tugenden" heute keine wie auch immer relevante Stellungnahme gegen einen weltwit räuberischen Kapitalismus.

Künstlerin Eva Urspung meint dazu ironisch: "Wir kommunizieren heute anders und das Saufen sagt nichts aus." Der abgelutschte Stehsatz von den Kulturschaffenden als Avantgarde der Selbstausbeutung gibt auch wenig her, zumal wir in prekären Situationen ja Schulter an Schulter mit etlichen anderen Berufstätigen stehen.

So ist etwa die soziale Situation einer alleinerziehenden Mutter mit Teilzeit-Job in einem Supermarkt nicht gerade etwas, worüber wir uns im eigenen Existenzkampf erhaben zu fühlen bräuchten.

Gerade die aktuellen Finanzkrisen haben ganz speziell im ländlichen Raum gezeigt, daß wir Kunst- und Kulturschaffende ein paar massive Imageprobleme haben, weil es nämlich keinerlei klare Vorstellungen gibt, wovon unsere Berufe handeln, was es folglich enorm schwer macht, adäquat eingeschätzt zu werden.

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Vor diesem Hintergrund ist es fast unmöglich, kultur- und gesellschaftspolitisch Boden zu gewinnen. Daraus folgt geradezu zwingend, daß wir weit verbreiteter Unkenntnis und auch Abschätzigkeit, wie wir sie oft bei Politik, Verwaltung und Medien vorfinden, ja sogar im Bildungswesen, nur sehr schwer etwas entgegenhalten können.

Wir werden also in unserer Zusammenarbeit eine Reihe von Klarheiten zu produzieren haben, was Kunst, Kulturschaffen und Kulturpolitik betrifft. Es geht um Klarheiten über Wesen und Ausdruck von Professionalität, über Arbeitsbedingungen und Einkommenslagen, es geht aber vor allem auch darum, deutlich zu machen, daß die Kunst und ihre Bedingungen ständigem Wandel unterliegen.

Offenbar kann selbst eine bloß kursorischen Kenntnis des Status quo nicht einmal in gebildeten Kreisen als grundsätzlich vorhanden angenommen werden. Ich vermute, wenn wir das nicht zu ändern vermögen, wird es auch sonst niemandem ein Anliegen sein.

[Wovon lebt der Krusche?] [Die Kulturspange]


resethome
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