kunst.rasen: wovon handelt kulturpolitik?

Wie ich im Vergleich zu anderen Leuten dastehe
(Einige Zahlen und Fakten)

Der Kanadier Simon Brault betont in seiner kulturpolitischen Streitschrift "No Culture, No Future" an einer Stelle: "Culture does not escape economics." In einem Interview vom Mai 2010 brachte Brault unser großes Tabu auf folgenden Punkt:

"Everybody has the right to be an artist, but nobody
has the right to live from his art."
[Quelle]

Wir reden nicht gerne darüber, daß uns allen im Grunde klar ist: Es gibt auf der Welt keine Profession mit Abnahmegarantien. (Naja, vielleicht: Totengräber?) Eines scheint ebenfalls international zu sein, Brault stellt es auch jenseits des großen Teichs fest:

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Mir gefällt übrigens die Genre-Bezeichnung "arts and letters" sehr. Brault betont an anderer Stelle einen wichtigen Aspekt, der bei uns zwar implizit in den kulturpolitischen Auseinandersetzungen auftaucht, aber -- in zeitgenmäßer Deutung -- zumindest in der Steiermark etwas schwächelt:

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Wo stehen also wir Kunstschaffende in all disen Zusammenhängen ökonomisch und sozial? Ich hab nach einem kleinen Referenzsystem gesucht, um ein redlich vertretbares Argument zu finden, was bei meinem Alter und meinen Kompetenzen ein angemessenes Einkommen wäre. In der Folge kann ich über die Frage nach der Marktlage und nach meinen persönlichen Prioritäten feststellen, was sich lukrieren läßt, was gesichert werden könnte.

Die Tatsache, daß ich heute sehr viel mehr Arbeitseinsatz liefern muß, um einen Standard zu halten, wie ich ihn schon vor Jahren hatte, ist kein berufstypisches Phänomen unter Kunstschaffenden, es betrifft große Teile der Bevölkerung.

Wo also würde ich mich selbst in den Ansprüchen einstufen? Es erschiene mir angemessen, das Einkommen eines Mittelschullehrers zu beanspruchen, wahlweise das eines Akademikers im Universitätsdienst. Was verdienen diese Leute brutto? (Brutto = VOR Abzug der diversen Steuern und Abgaben.)

Robert Prettenhofer nannte mir für einen Mittelschullehrer zirka 4.200,- Euro brutto. Adelheid Berger meinte, im Universitätsdienst seien es etwa 500 Euro mehr. Sie ergänzte, bei Pragmatisierung seien es in beiden Fällen rund 200,- Euro pro Monat weniger.

Berger ist an einer Mittelschule tätig und präzisiert: "zur zeit verdiene ich 3200 brutto. in 10 jahren werdens nach gegenwärtigem stand dann ca. 4200 sein. den wesentlichen unterschied zu freien kunstschaffenden sehe ich darin, dass ich das geld regelmäßig und verlässlich erhalte."

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Das ist in Mittelschule wie Universität freilich deutlich mehr, als ich in freier Wildbahn schaffe. Man muß allerdings einrechnen, daß ich erstens mich weigere, als Künstler gezielt für den Markt zu produzieren und zweitens mein Brot vorzugsweise in kunstnahen Bereichen verdiene, da aber wiederum auf einem spröden Feld.

Dabei gibt es einträglichere Gebiete, die zu beackern ich keine Zeit finde. Das heißt also, ich beanspruche ein enormes Maß an Selbstbestimmung, von dem viele Leute in besser bezahlten Positionen nicht einmal träumen können.

Unternehmer Jürgen Kapeller schrieb mir: "der durchschnittliche selbständige verdient in der stmk etwa 2100 netto im monat - allerdings nur 12 mal". Das ist natürlich ein brisanter Punkt. Ich habe in einem früheren Blatt aufgelistet, was Angestellte gegenüber Freelancers zur Verfügung haben:

+) 25 Urlaubstage
+) 11 Tage durchschnittlicher Krankenstand
+) 22 Feiertage (ohne Sonntage, am Beispiel des Jahres 2011)
+) 3 Tage Pflegefreistellung (Anspruch auf Pflegefreistellung besteht innerhalb eines Arbeitsjahres höchstens im Ausmaß der Wochenarbeitszeit.)

Kapeller hat noch ein paar Beispiele angeführt:
"ein guter Schweißer bei Binder & Co verdient 3500 bis 4000 brutto wenn er auch auf externe montagen geht. Ein guter architekt in einem top-büro bis zu 7000 brutto, in einem durchschnittsbüro 4000. Pharmareferenten nach 15 jahren etwa 5000 bei sehr flexiblen arbeitszeiten aber viel herumfahren"

Ich muß erneut betonen, daß Österreich sich einige fatale kulturpolitische Defizite leistet und die Rahmenbedingungen für Kunstschaffende mehr als revisonsbedürftig sind. Damit meine ich primär die Modalitäten von Finanzamt und Sozialversicherung, aber letztlich ließe sich zu diesem Thema ein ganzer Katalog erstellen. Doch um genau dafür brauchbare Diskussionsgrundlagen zu haben, halte ich Klartext zu unseren beruflichen Möglichkeiten und sozialen Fakten für unerläßlich.

Bin ich gut bei Kräften, genieße ich die enorm hohe Ergiebigkeit meines Tuns in den Bereichen Selbstbestimmung und Sinn. Wenns aber ökonomisch kracht, ist es eine üble Geschichte, schwer zu ertragen. Und die soziale "Absturzgefahr" als ständige Begleiterin ist eine zuweilen schmerzliche Bürde.

Ich würde es in meinem Fall etwas verkürzt so zusammenfassen: Je nach Konjunktur schwanke ich im Einkommen zwischen Working Poor und Mittelschullehrer. Die Zuversicht, daß ich aus finanziellen Talfahrten auch wieder herauskomme, darf mir ebenso wenig ausgehen wie meinem Sachbearbeiter bei der Bank.

Aufgrund meine letzten Bescheides vom Finanzamt entstand folgendes Bild: "Daraus ergibt sich rechnerisch ein Monatsgehalt in der Höhe von 1.125,- Euro, das mir verbleibt." [Quelle] Das war kein schlechtes, aber auch kein starkes Jahr.

Ich teile dieses Einkommens-Level mit abertausenden Menschen. Aber da darf nix schiefgehen, ich darf nicht krank werden, meine Waschmaschine sollte ein weiteres Jahrzehnt halten und mein Sohn muß sich sein erstes Auto mit selbst erworbenem Geld kaufen.

Ich lege diese Fakten vor, weil mir einerseits die starke Neigung zur Larmoyanz in meinem Milieu unsäglich auf die Nerven geht. Ich kann die Jammertöne nicht mehr hören und möchte statt dessen, andrerseits, daß wir sehr konkret über den Status quo und unsere Modalitäten reden, um auch adäquate kulturpolitische Verhandlungen führen zu können.

Zusätzlich ist es schon obszön, wie manche regionalpolitischen Kräfte mit Kunstschaffenden verfahren und wie gelegentlich von einzelnen Funktionären mit Kunstschaffenden und deren Existenz umgesprungen wird.

Das läßt sich wohl nur zurückdrängen, wenn wir als Professionals verstanden werden, deren berufliche Situation von Funktionstragenden in Politik, Verwaltung und Wirtschaft verstanden wird und, gestützt auf Sachkenntnis, von ihnen realistisch eingeschätzt, in das gesamte gesellschaftliche Geschehen eingeordnet werden kann.

[Wovon lebt der Krusche?]


resethome
33•11