9. Mai 2018

Die Schriftsteller Josef Winkler und Michael Köhlmeier haben sich zum Zustand des Landes öffentlich geäußert und heftige Reaktionen ausgelöst. Das steht in jener Tradition, die ich mit Emile Zola eröffnet sehe, da sich Personen, die man seither Intellektuelle nennt, in öffentliche Diskurse einbringen, ohne dazu institutionell legitimiert zu sein. Sie erheben ihre Stimmen, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Das war im 19. Jahrhundert noch keine Selbstverständlichkeit. Untertanen wußten gewöhnlich, wo ihr Platz sei, und konnten in der Ständegesellschaft nicht einfach nach oben laut werden.

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Als wir 2014 über ein brisantes Zeitfenster nachdachten, hatten wir diese Markierungen im Blick: 1814-1914-2013. Jedes Mal befand sich Europa im Umbruch. 1814 war das Jahr des Wiener Kongresses, als Fürst Metternich den Lauf der Dinge orchestrierte. Er ließ kritische Geister, die sich ungefragt öffentlich äußerten, abholen und einsperren.

Nun also 2018. Der Dissens feiert ein Fest. Das ist einer Demokratie würdig! Das paßt auch gut zum heurigen Jahr, da man über die ersten hundert Jahre der Republik Österreich nachdenken könnte: 1918 bis 2018. Ein Ständestaat, ein Teil der Tyrannei, ein um seine Inhalte ringender Staat, der Demokratie gewidmet.

Köhlmeier brauchte fünf Minuten, um nötigen Debatten neuen Schwung zu verschaffen. Ich hab im vorigen Eintrag staunend dargelegt, welche Kontraste ich zwischen Köhlmeiers Worten im Parlament und einem daraufhin erschienenen Kommentar von Chefredakteur Hubert Patterer sehe. Da kann man nun Argument für Argument nach Laune untersuchen.

Dabei ist auf einem Nebenschauplatz der exemplarische Auftritt des Fotografen Karl G. bemerkenswert. Er begann auf Facebook, sich mit "Liebe Uschi,..." in die Debatte einzubringen, beschränkte sich aber in der Folge darauf, andere zu befragen und zu maßregeln. Kein Dialog, dafür ein Abfeuern von Vorhaltungen. Das Erstaunliche an seinem Ausritt: Karl G. suspendierte sich dabei selbst von den Forderungen, die er anderen auferlegte.

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Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen, Karl G. forderte zu meiner Kritik an Chefredakteur Hubert Patterer erst: "Gacker, gacker. Ich warte noch immer auf ein Zitat. Artikuliere ich mich so undeutlich oder kannst du meinen Worten nicht folgen?" Ich folgte, zitierte, kommentierte. Siehe dazu den gestrigen Eintrag. Nun wäre K. an der Reihe gewesen, seine Argumente vorzulegen. Dabei hätten wir beruhigt im Dissens verbleiben können, das ist ja kein Problem. Statt dessen erklärte er mich zum Kopiermeister:

"So, jetzt sag ich dir mal was Mister Copy and Paste. Das mit Strg+c und Strg+v kannst du wirklich sehr gut. Gratulation! Ist eh besser so, kommt wenigstens was gscheit´s dabei raus, denn diesen pseudointellektuellen Sch... (Sch... steht natürlich für Schriftverkehr) den du sonst so von dir gibst verstehst du sicherlich manchmal selbst nicht, geschweige denn der Rest der Leser."

Ich denke, das nennt man eine Doppelbotschaft, von der man in eine Doppelbindung geschupft werden kann, was bedeutet: Nun ist kein richtiges Handeln mehr möglich. Jede Reaktion ist falsch. Wikiped erläutert: "Die Doppelbindungstheorie beschreibt die lähmende, weil doppelte Bindung eines Menschen an paradoxe Botschaften oder Signale (sog. Doppelbotschaften) und deren Auswirkungen."

Warum macht er das? Weil er offenbar sein Interesse an der Debatte nur vorgeschoben hat, um sich in der (Online-) Gemeinschaft hervorzutun und so auf preiswerte Art Aufmerksamkeit zu kassieren. Was er anderen abverlangt, ihre Gründe zu nennen, unterschlägt er selbst hartnäckig. Und wo er in der weiteren Debatte unter die Gürtellinie zu hauen versucht ("diesen pseudointellektuellen Sch..."), erkennt man einen Dreh, der uns aus der Antike überliefert wurde: Willst du in einer Diskussion obsiegen, dann wechsle von Argumenten zur Sache über zu Argumenten zur Person.

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Quelle: Kronen Zeitung, 7.5.2018
[Volltext]

Anders ausgedrückt: Gelingt es dir nicht, die Argumente deines Opponenten erfolgreich anzugreifen, dann greife den Opponenten selbst an. Aus der Netzkultur kommt dazu seit Jahren die Empfehlung: Don't feed the Troll! Man darf den Troll nicht füttern. Er wird jede weitere Reaktion dafür nutzen, Unruhe zu stiften, wahlweise einen zu beleidigen, sich weiter in der Gemeinschaft zu produzieren und so billig Zuwendung abzuholen, indem er eine Scheindebatte vorantreibt.

Es ist die Art, der sich einst schon Metternich zu bedienen wußte, denn er brauchte einen großen Stab und reichlich Personal, das bereit war, kritische Geister zu denunzieren. Sich selbst bedeckt halten, seine eigenen Ansichten verbergen, während man andere zu Bekenntnissen auffordert. Das hat auch im Zeitfenster 1918-2018 seine Konjunkturen, worunter die von 1938 den Rang neuer Standards gewannen. Wenn man also auch den Troll nicht füttern sollte, so wäre Karl G. doch zuzurufen: Nennen Sie ihre Gründe, mein Herr!

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