8. Mai 2018 Skandal?
Welcher Skandal? Daß sich Regierende im Parlament für fünf, sechs Minuten einem
Intellektuellen stellen mußten? Daß wir sehen und hören durften: Da besteht in einigen
wichtigen Fragen grundlegender Dissens quer durchs Land? Das ist der Skandal? Was habe ich
am Begriff Demokratie falsch verstanden?
Ich habe das
Statement von Michael Köhlmeier als wichtige Anregung erlebt, daß wir in der Res
publica auf kritische öffentliche Diskurse angewiesen sind. Sonst würde ja Message
Control völlig reichen und wir könnten Politik als Public Relations-Agenda
abhaken. Und wozu haben wir das Parlament? Na, um Meinungsverschiedenheiten zu erleben.
Heute die Erinnerung: Am 8. Mai 1945 galt mit 23:01 Uhr das
Naziregime als beendet. Die von sich selbst ergriffene Buberl-Partie hatte ungezählte
Scharen zur Menschenverachtung und zu abscheulichen Verbrechen inspiriert, hatte einen
erheblichen Teil dieser Scharen unter Waffen gestellt, um diese Verkommenheit in die Welt
tragen zu können.
Die Menschenverachtung ist bis heute nicht aus der Mode
gekommen. Die Traditionslinien sind evident, auch wenn das Bodenpersonal solcher Art der
"Vaterlandsliebe" nicht müde wird, das Gegenteil zu behaupten. Die Verlockung,
solche Konzepte auf neue Art zu verfolgen, scheint groß zu sein. Weshalb? Wo der Lauf der
Welt die Menschen tief verunsichert, schlägt die Stunde der Propheten einfacher
Lösungen, die in ihrem Geschäft leicht dechiffrierbare Bilder vor sich hertragen.
In diesem Geschäft stört Köhlmeier. Er stört nicht nur
jene, die etwa Regierungsämtern innehaben, nachdem sie über Jahre und Jahrzehnte in
Bierzelten und an Stammtischen das Erbe der Menschenverachtung pflegten. Er stört auch
jene, die Ideen ganz allgemein und den Status quo Österreichs auf Köhlmeiers Niveau zu
verhandeln fähig sind.
So etwa Hubert Patterer, Grazer Chefredakteur der Kleinen
Zeitung. Ich hab gestern schon notiert, wie er sich Köhlmeier in seinem Kommentar
zurechtgestellt hat. "Um sich dem Sog des Rhetors zu entziehen" hatte
Patterer einige Empfehlungen vorrätig und damit vor allem klargestellt, daß er dem "Poeta
doctus" hier keine persönliche Stellungnahme zugesteht oder abnimmt, sondern
Strategie und Kalkül unterstellt. Köhlmeier, ein Maschinist von Interessenslagen? (Hier Patterers Kommentar in vollem Wortlaut.)
Er schrieb über Köhlmeier: "Es sitzt zu Gericht
über die FPÖ und benötigt für das Urteil keine zwei Waagschalen, nur eine."
Damit war deutlich gemacht, daß er dem Autor unterstellt, was unter unseren Leuten
zuletzt Roland Freisler mit seinem Modus im Volksgerichtshof verfeinern durfte:
Ein Richter spricht nicht Recht, sondern verurteilt nach eigenem Ermessen.
Köhlmeier, ein anmaßender Richter, mehr noch: ein
Großinquisitor? Deutungsfragen. Gerade Köhlmeier könnte man zutrauen, daß er
Prinzipien der Griechischen Tragödie kennt und womöglich anwendet. Kein
Tribunal. Niemand spricht ein Urteil. Betroffene erzählen, was sie erlebt haben. Im
Nachspielen der Ereignisse bieten sich Schrecken und Mitgefühl als
Mittel an, den Weg zur Katharsis zu bewältigen; so die Poetik des Aristoteles. Patterer
verzichtet darauf, diese Option für möglich zu halten. Weshalb? Er hat offenbar etwas zu
erledigen.
Patterer: "Der Redner lässt der FPÖ keinen Weg
offen. Er möchte sie nachhaltig unmöglich machen. Was das mit ihr macht, kümmert ihn
nicht. Wichtig ist, dass das moralische Ich den Toten 'ins Auge blicken' kann - und das
Ich sich selbst." Das wäre vielleicht ein interessanter Befund, hätten wir
einer Gerichtsverhandlung oder einem Tribunal zugesehen.
Hat Köhlmeier aber einfach nur von sich und seinem
Empfinden gesprochen, wie es in der Tragödie vorgekommen wäre, dann ergibt dieser
Hinweis keinen Sinn. Vor allem, weil die Behauptung verschleiert, was weit mehr Gewicht
hätte und wozu Patterer auffallend schweigt. "Er möchte sie nachhaltig
unmöglich machen." unterstellt Köhlmeier mindestens den Bruchteil einer
Wirkmächtigkeit, die er, Patterer, als Chefredakteur eine sehr auflagenstarken
Tageszeitung, jederzeit aktivieren kann.
Patterer in der Kleinen Zeitung (Ist
das so? Belegen Straches Reden das,
wenn er zur FP-Anhängerschaft und zum Wahlvolk spricht?)
Ein österreichischer Romancier könnte eine
vaterländische Partei verunmöglichen? Woher nimmt Patterer diese verwegene Idee? Wer
müßte der FPÖ einen Weg offenhalten? Welcher Weg könnte das sein, jenseits der Wege,
die das Personal der FPÖ über Jahrzehnte noch nicht mit gut dokumentierten Aussagen und
Handlungen kontaminiert hätte? Was hat Köhlmeier mit dieser Tradition zu tun, die sich
durch die ganze Zweite Republik zieht?
Nur weil Sebastian Kurz mit seiner Gefolgschaft so eine
Koalition einging, um mit der FPÖ eine Regierung zu bilden, sind all diese Ereignisse ja
nicht getilgt. Warum meint Patterer, er müsse Köhlmeiers Ausdruck von Betroffenheit
verwerfen und ihn in ein Geschäft einspannen, das primär die FPÖ betrifft und sekundär
die ÖVP? Nämlich das zu entkräften, was Köhlmeier den Vaterländischen bezüglich der
letzten Jahrzehnte vorgehalten hat. Die FPÖ muß sich schon selbst möglich machen, das
kann und soll ihr niemand abnehmen.
Was Patterer zur Balkanroute im Kontext Shoa geltend
gemacht hat, darf ich übergehen, weil es von jüdischen Intellektuellen entkräftet
wurde, denen ich in der Sache höhere Kompetenz zuschreibe. Davon war in meiner gestrigen Notiz schon die Rede. Dabei kann dann
ruhig Auffassung gegen Auffassung stehen. Dissens ist ja kein Makel, sondern der Ausdruck
von Diversität.
Dissens. Das scheint manchen Menschen unerträglich, wie
ich es beispielsweise mit Karl G. auf Facbook erlebt habe. Er schrieb einer
Freundin: "Liebe Uschi, statt irgendwelche Reden zu zitieren (die ich Inhaltlich
voll und ganz teile) hätte ich lieber gewusst was deiner Meinung nach an diesem Artikel
falsch ist?" Ab da verschwimmt aber die Nachvollziehbarkeit seiner Ansichten,
zumal er eine ganze Serie von seinen teils unfreundlichen Kommentaren inzwischen gelöscht
hat.
Quelle: Facebook
Immerhin schwurbelte er noch ein Weilchen daher: "Ich
behaupte von mir, selbst leicht links der Mitte zu stehen. Und ich bin froh darüber,
nicht so weit von der Mitte abgerückt zu sein um mir anzumaßen selbst keine Fehler zu
machen und diese als Privileg der jeweils anderen Seite zu sehen." Doch Karl G.
verzichtet lieber darauf, seine eigene Position deutlich zu machen und jene Kriterien auf
sich anzuwenden, die er anderen vorschlägt:
"Es ist schon sehr unterhaltsam zuzusehen, wie das
hysterische und planlose gegackere losgeht, wenn man im Hühnerstall das Wort Fuchs
erwähnt. Bis jetzt konnte ich leider kein einziges besonnenes Huhn ausmachen, dass auch
nur eine einzige der Aussagen aus der Kolumne zitiert und dieser klar, deutlich und
beweisbar widersprochen hätte. Gacker, gacker "
Das changiert irgendwo zwischen Heinrich Manns "Untertan"
und dem "Herr Karl" von Qualtinger und Merz. Als er kommentierte Zitate
vorgelegt bekommt, antwortet er: "Gacker, gacker. Ich warte noch immer auf ein
Zitat. Artikuliere ich mich so undeutlich oder kannst du meinen Worten nicht folgen?"
So weit also derzeit populäre Diskursqualität, wo jemand
auf eine unliebsame Meinung stößt und sich via Massenmedium an den Andersdenkenden
abarbeiten muß. Man hätte auch aussteigen können, indem man etwa deponiert: "Mir
mißfällt deine Ansicht, ich werde dir nicht zustimmen, aber mir sind leider die
Argumente ausgegangen." Stattdessen: "Gacker, gacker."
Das erinnert an ein Bonmot: Intelligenz ist die
Fähigkeit, über zwei einander widersprechenden Ansichten nicht den Verstand zu
verlieren.
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