7. Mai 2018

Was für hinreißend lebhafte Tage! Es zeigt sich derzeit ein turbulentes geistiges Leben, ohne das der Lauf der Dinge in Österreich inzwischen kaum erträglich wäre. Aber so sehe ich, daß sich vaterländische Kräfte in eine öffentliche Ausseinandersetzung mit Intellektuellen des Landes begeben. Wir dürfen also nun vor allem exponierte Polemiker für Momentchen jenseits von Message Control erleben, um anschaulich Eindrücke zu erlangen, was ihr Reflexionsvermögen taugt.

Es ist ja eine hohe Zeit der Heuchler und Kreidefresser, der honigsüßen Beteuerungen, die in Summe verbergen sollen, daß in Österreich zweierlei nicht mehr zugedeckt werden kann.

1. Die noch rasanter aufgehende Schere zwischen wenigen sehr gut situierten Leuten und dem Rest sowie 2. eine nächste Kultur der Niedertracht, in der Menschenwürde zur Disposition steht.

In dieser Situation hat es gerade zwei sehr interessante Kollisionen gegeben. Erst knallte die FPÖ in Klagenfurt gegen den Schriftsteller Josef Winkler. ("Kärntner FPÖ zeigt Literat Josef Winkler an")

Dann lief sie beim Gedenkakt des Parlaments gegen Gewalt und Rassismus frontal gegen Schriftsteller Michael Köhlmeier. Und da die ÖVP gleich hinterher. (Das Statement von Köhlmeier) Die Kärntner FPÖ meinte nun, Josef Winkler wegen Verhetzung vor Gericht bringen zu müssen. Verhetzung? Staunenswert!

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Michael Köhlmeier
(Foto: Amrei-Marie, Creative Commons)

Die Bundes-FPÖ, die ÖVP und selbst SPÖ-Exponent Michael Häupl meinten, Köhlmeier hätte sich einen anrüchigen Querverweis auf die Shoa erlaubt. Beispiel: "ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer warf dem Schriftsteller vor, einen Vergleich der Schließung der Balkanroute mit der Judenverfolgung gezogen zu haben. Dieser sei 'entschieden zurückzuweisen'". [Quelle]

Viele Ansatzpunkte haben sie nicht gefunden, um sich nun aus dem Fenster lehnen zu können. Ich halte das für strategische Einwände, kann sie sachlich nicht nachvollziehen. Aber ich kann verstehen, daß man bei FPÖ und ÖVP alles an den Haaren herbeizuziehen bereit wäre, um Köhlmeiers sehr persönlich gehaltenes Statement zu relativieren, wo immer möglich auch ihn selbst zu denunzieren, damit sich die Schärfe aus seinen Äußerungen ziehen ließe.

Es ist schon kurios. Köhlmeier relativiert den Holocaust? Das sollte er nicht bemerkt haben? Dafür aber etliche vaterländische Funktionäre von der hellhörigen Sorte, deren aktuelles Reflexionsvermögen und deren Präzision beim Formulieren ich gerne im Wettstreit mit Köhlmeiers Kompetenzen sehen würde?

Da wären also erregte Gojim gerade überaus heftig und öffentlichkeitswirksam mit einer Schoah-Exegese beschäftigt, um uns allen an der Person Köhlmeier deutlich zu machen, daß man in Österreich dem Antisemitismus entgegentreten solle? Das muß sich Helmut Qualtinger irgendwann einmal ausgedacht haben, um Georg Kreisler zu ärgern.

Hat Köhlmeier nun oder hat er nicht den Holocaust relativiert? Solche Fragen lasse ich mir lieber zuerst einmal von jüdischen Intellektuellen erläutern, an denen ich mich orientiere, wenn es um Nuancen geht, die mir selbst entgangen sein könnten. Ich nenne zwei Beispiele. Julya Rabinowich nahm Köhlmeiers Rede mit unübersehbarer Freude auf. Doron Rabinovici schrieb auf Twitter:

"Es war eine wunderbare Rede! Der Vergleich war nicht zwischen Shoa und der Flucht 2015. Niemand konnte aus Auschwitz fliehen! Die Ablehnung der Flüchtlinge aus Deutschland 33-40 ist aber mit der Ablehnung von fliehenden Jesiden durchaus vergleichbar."

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Patterer in der Kleinen Zeitung

Hubert Patterer, Grazer Chefredakteur der Kleinen Zeitung, weiß es allerdings besser. Und wenn man als kultivierter Herr jemanden vermöbeln möchte, stellt man sich diese Person erst einmal gut zurecht, demaskiert die ganz persönlich gehaltene Aussage mithilfe von Komplimenten als rhetorisches Spiel ("Auch der Vortrag war großartig, sprachlich, rhetorisch, durchsetzt mit allen Kniffen Ciceros:..."), unterstellt sicherheitshalber unredliche Motive ("Wie Köhlmeier sich von den Jungen und den Toten das Mandat zum Generalangriff holte („ich höre sie fragen“), auch das: hohe Kunst.") und haut dann nicht etwa einer Randfigur was um die Ohren, sondern einem "Poeta doctus".

Wunderbar! Da prügeln sich Gentlemen, möchte man meinen. Mumpitz! Da zeigt sich ein ideologisch begründetes Scharmützel. Und was "hohe Kunst" sei, möge sich Herr Patterer von versierten Kräften im eigenen Haus erläutern lassen. Köhlmeiers Auftritt kann man vielfältig deuten, wie wir sehen. Die Deuterinnen und Deuter möchte ich gerne fragen: "Haben Sie gute Absichten?" Was ich gehört habe, war übrigens keine Rede, erschien mir auch nicht sonderlich komponiert, sondern als eine persönliche Stellungnahme, in der Köhlmeier von sich, seinen Empfindungen und Wünschen sprach.

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