14. April 2018

In meiner Schulzeit galten Zahlenspiele als anrüchig. Wir waren uns flott einig, daß ein Geschichtsunterricht nichts taugt, wenn er uns bloß das Abspulen von Jahreszahlen und historischen Ereignissen abverlangt.

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Pessler'sche Skizze (Foto: Büro für Pessi.mismus)

Watum so ein faktenstarrendes Unterrichts-Karaoke? Ich konnte erst im Rückblick herausfinden, daß wir praktisch ausnahmslos einem pädagogischen Personal ausgeliefert waren, welches a) um sozialen Aufstieg rang und b) Kriegstraumata in sich trug. Das handelte etwa vom stolzen Helden von Monte Cassino, der sich leicht vom Unterricht abbringen ließ, indem man ihn anregte, seine Haudegen-Geschichten von jener entsetzliche Schlacht in Italien zu erzählen.

Das handelten vom schweigsamen Mathematik-Professor, der sich leicht aus der Fassung bringen ließ, ohne daß wir je erfuhren, was ihm geschehen war. Das zeigte uns einen Panzerkommandanten mit Erfahrung im Afrika-Feldzug, ein Mann, so zart gebaut wie ein Jockey, dessen Stimme nie laut wurde. Das setzte uns aber auch reizbaren Menschen aus, die hart zuschlagen konnten.

Und Frauen? Über Frauenleben erfuhren wir gar nichts. Da gab es keine interessanten Geschichten, sondern nur das, was wir an unseren Müttern sahen. Das Rennen um die Teilhabe am wachsenden Wohlstand, der ab den 1960er Jahren unübersehbar wurde, überdeckte alles an Bitterkeit, vor allem aber die Gewalttätigkeit, von der aus den "vier Wänden" nichts nach draußen dringen sollte.

Damit meine ich, daß der Krieg in den privaten Haushalten weiterging, in Kindergärten, Schulen, Heimen. Und das ist bis heute so, da die innerfamiliäre Gewalt in Österreich nach wie vor epidemische Ausmaße hat. Sie ist in erdrückend hohem Ausmaß auch sexualisierte Gewalt, handelt also von Übergriffen auf die Leiber und Seelen von Schutzlosen.

Wie kann das aufgehoben werden, ohne sich in oberflächlicher Kosmetik zu erschöpfen? Wir haben leider so viel zu tun. Wir leben seit 200 Jahren in einer permanenten technischen Revolution, deren Innovationsschübe laufend an Tempo zulegen. Das enthält uns nötige und ausreichende Adaptionsphasen vor. Daraus entstehen Defizite, die uns von der Politik mit Propaganda zugedeckt werden. Damit bin ich bei dem gestern erwähnten Zeitfenster 1814-1914-2014.

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Pessler: "Blut, Boden, Pietá" (Foto: Büro für Pessi.mismus)

Der Wiener Kongreß, der Beginn des Großen Krieges, die Erschütterungen der EU (Exemplarisch: Krim-Referendum und Ukraine-Krise etc.), also lauter Daten, die davon handeln, daß Europa neu geordnet werden mochte, wie auch unser aller Selbstverständnis einiger Revisionen bedurfte und bedarf.

Währenddessen haben sich verschiedene Kreise "Den Islam" und "Die Muslime" als Feindbilder zurechtgestellt, um wirksame Themen zu finden, die es einem ersparen, eigene, hausgemachte Problemlagen zu überprüfen. Spätestens mit dem Hochgehen der Inkompetenzen mancher Regierungen -- so Österreich und Deutschland --, jene anbrandenden Flüchtlingswellen angemessen zu bearbeiten, deren Kommen schon über Jahre abzusehen war, machte sich ein verblüffender Konsens breit, daß wir Europas historischen Anteil an diesen Entwicklungen nicht mehr beachten müssen.

Dieser Anteil läßt sich sehr gut an der Entwicklung der Karavellen festmachen, ein Schiffstyp, durch den Portugal im Zeitraum des 14. bis 16. Jahrhunderts kurz zur Weltmacht werden konnte; im Ausplündern jener Welt, Hand in Hand mit Spanien. Ein Geschäft, in das sich dann England mit seiner Handels- und Kriegsmarine zügig einbrachte, andere Kontinentalmächte folgten. Das reichte bis zu den Schüssen von Sarajevo im Jahr 1914, die einen Akzent setzten, als Österreich darangegangen war, sich den Balkan als Kolonie zu entschließen. (Ein gern verschwiegener Zusammenhang.)

Was mochte denn gemeint sein, wenn sich der Habsburger Karl V. im 16. Jahrhundert rühmte, ein Reich zu beherrschen, „in dem die Sonne nie unterging“? Das hatte man mir in der Schulzeit auf treuherzige Art erzählt, offenbar ein Grund für Nationalstolz. Aristokraten legitimierten Konquistadoren, um sich über Raubzüge Mittel zu sichern. Die Nachfahren der Beraubten stehen heute vor unseren Türen und müssen sich von vaterländischen Kräften zurufen lassen, sie seien "Wirtschaftsflüchtlinge", denen wir den Zutritt zu unserem Luxusreservat verwehren sollen.

Kleiner Einschub. Ich las eben die Headline "Brasilien: Frauen besetzen Nestlé-Hauptquartier, Protest gegen Wasserprivatisierung". Dieses Ausplündern der Welt durch weiße Europäer hat also neue Aufgaben auf Lager.

Das sind demnach verwirrende Zeiten, wo wir uns mit blumigen Erzählungen schönreden, was unsere eigene Situation ausmacht. Nun verzahnt sich die Betrachtung des erwähnten Zeitfensters 1814-1914-2014 mit jenem, das durch 1918-2018 markiert werden kann. Es wäre eigentlich mit 1918-1938-2018 zu beschriften.

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Formeller Start: 20 April 2018

Daß sich aufgeblähte Schnösel wie Adolf Hitler in der Emblematik am Imperium Romanum orientiert haben, im politischen Träumen am Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und uns in dieser Tradition von Bildern ein Drittes Reich empfahlen, will ja angemessen entschlüsselt werden.

Damit sollte nun etwas deutlicher werden: Es geht uns selbstverständlich nicht um das Abspulen von Jahreszahlen und von historischen Ereignissen. Ich kann mich übrigens auch mit dem Begriff "Gedenkjahr" nicht anfreunden. Das riecht mir zu sehr nach Werbeagentur. Wir haben eigentlich laufend an all dem zu arbeiten. (Ein Kunstminister, der "Braveheart" als seinen Lieblingsfilm nennt, ist uns dabei vermutlich wenig Hilfe; siehe den Eintrag vom 30. März 2018!)

Ich halte es für ebenso unspektakulär wie naheliegend, daß Kunstschaffende die Kultur und die Historie ihres Lebensraums wenigstens kursorisch kennen, besser aber noch in einigen grundlegenden Zusammenhängen. Wie sollten wir denn ohne derlei Kenntnisse uns selbst dechiffrieren? Und was möchten Kunstwerke werden, wenn sie ohne jeden Bezug zu solchen Chiffren wären?

Gut, das gilt nicht für alle Genres und Kunstpraktiken, aber für unser Feld hier auf jeden Fall. Darin liegt einer der Gründe meiner Zusammenarbeit mit Maler Nikolaus Pessler in Referenz zum "Flying Circus", den er und Petra Lex gerade starten. Kunstpraxis im Zusammenhang mit einer eigenwilligen Form der Wissens- und Kulturarbeit. Das bedeutet auch, der Maler beschränkt sich nicht bloß auf Malerei, der Autor nicht bloß aufs Schreiben.

Wir bringen solche Verfahrensweisen mit anderen Modi in Wechselwirkung. Nun also: Work in Progress. Ein Dialog, der vermutlich einige Komplexität entwickelt wird. Es gibt dabei diese eine Ebene zwischen Autor und Maler. Die ruht aber auf einer anderen Ebene jener schon erwähnten Wissens- und Kulturarbeit, die in diesem Bereich drei Positionen hat: Martin Krusche, Petra Lex, Nikolaus Pessler.

Das erlebt in genau zwei Wochen eine erste Manifestation im Rahmen von "Die Quest III", wobei "Die Beuyse des Pessler" eine markante Rolle spielen, also Arbeiten, die Pesslers Befassung mit Josef Beuys zeigen.

Das ist eines der gewichtigen Bezugssysteme im Denken des 20. Jahrhunderts: Marcel Duchamp, Josef Beuys, Andy Warhol und John Cage. In meinem Fall geht es außerdem nicht ohne Richard Buckminster Fuller.

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Aber jetzt erst einmal diese Session im Rahmen des Aprilfestivals: [link] Derweil arbeiten wir an den weiteren Optionen, die heuer zum 2018er Kunstsymposion führen. Und unabhängig davon zieht der "Flying Circus" los...

-- [Die Quest III] [Die Beuyse des Pessler] [Der Flyer] --

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