30. März 2018

Wieso sollte ein Kulturminister über ästhetische Erfahrungen verfügen, die über das Triviale ein paar Zentimeter hinausreichen? Ich habe ein leises Gefühl, daß ich mein ab und zu proklamiertes Recht auf billige Unterhaltung nun einer Novelle unterziehen muß, um unsere derzeitige Spitzenpolitik hineinreklamieren zu können.

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Val Kilmer in "Heat"

Ich habe aus gegebenem Anlaß auf der Facebook-Seite von Vizekanzler Hace Strache nachgesehen. Unter seinen sechs Lieblingsfilmen sind zwei romantische Schmonzetten ("Notting Hill" und "Wie ein einziger Tag"), zwei Unterhaltungsprodukte aus Deutschland ("Kleinohrhasen" und "Berlin Calling"), der proto-faschischtische Kracher "300" und die Haudrauf-Operette "Braveheart". Mit dieser Filmliste braucht man sich nicht weiter zu befassen.

Kleiner Einschub: Den Soundtrack zu "300" hat Tyler Bates erarbeitet. Darunter gibt es das Stück "Message for the Queen", das auf Youtube auch in einer "Full Version" mit Gesang angeboten wird. Spätestens darin erkennt man die Quelle. Es ist eines der schönsten Stücke aus dem "Balkan Songbook", wie ich es nennen möchte: "Zajdi, Zajdi, jasno sonce", das dem mazedonischen Sänger Aleksandar Sarievski zugeschrieben wird.

Dieses eher jüngere Stück basiert seinerseits -- laut Sarievski -- auf einem Volkslied und ist ein interessantes Beispiel, wie Momente aus der Volkskultur in die Popkultur übergehen. Ich hab übrigens "300" nicht gemocht, denn es ist eine gar zu platte und zu weit überzogene, waffenstarrende, blut-pritschelnde Kerl-Nummer, bei der ganz einfach die europäische Mythenwelt für einen Actionfilm geplündert wurde. Womöglich ein Propagandastreifen, der für militärische Rekrutierung rausgehauen wurde. Oder auch bloß ein Werbefilmchen der vorherrschenden Männerkultur ist.

Bemerkenswert, daß genau dieses Lied -- "Zajdi, Zajdi" -- auch im Computerspiel "Battlefield 1" vorkommt. (Ein Ego-Shooter, der inzwischen bei Spiel #4 angelangt ist.) All das ist mir aktuell durch den Kopf gegangen, weil ich ein Interview mit Gernot Blümel gelesen hab. Der ist im Moment Bundesminister im Bundeskanzleramt für EU, Kunst, Kultur und Medien, also quasi mein Kulturminister.

Dieses Interview steht unter der Headline "Es kann nie genug Geld für die Kunst sein" und hat eine Besonderheit. Es wird mit einer kuriosen Frage eröffnet: "Dem Magazin 'News' haben Sie anvertraut, dass Mel Gibsons 'Braveheart' Ihr Lieblingsfilm ist. Was fasziniert Sie daran?" Blümel: "Er ist einfach unterhaltsam, ein mitreißender Hollywoodschinken." STANDARD: "Und der Inhalt? Heroischer Freiheitskampf?" Blümel: "Also wenn es um Freiheit geht, dann würde ich wahrscheinlich eher Kant lesen."

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Quelle: Der Standard

Er würde (Konjunktiv!) wahrscheinlich eher Kant lesen. Hat er demnach nicht, was ich gut verstehen kann. Kant zu lesen fiele mir nämlich nicht ein, obwohl ich ein langjährig geübter Leser bin. Ein Bonmot besagt: Kant liest man nicht, den übersetzt man ins Deutsche. Kurz gesagt, ich traue meinem Kulturminister in der Sache und bei solchem Gerede nicht, wenn er da bloß Andeutungen macht, statt eine verständliche Aussage zu liefern.

Ich meine, erstens ist "Braveheart" wirklich weit unter den Möglichkeiten eines vorzüglichen Action-Krachers. Zweitens sollte ein Spitzenpolitiker nach meine Geschmack Kant nicht im Konjunktiv vorführen, eigentlich am besten überhaupt nicht, denn das ist keine Quelle, die man beiläufig daherzitieren kann. (Unter uns: Mir ist Kant viel zu anstrengend.)

Es lohnt die Lektüre des Blümel-Interviews, um einen Eindruck zu bekommen, womit wir es heute in der Politik zu tun haben. Ich zitiere eine der Passagen ausführlicher, weil darin offenkundig wird, daß der Mann in so einem Ernstfall leider nur Allgemeinplätze liefert:

STANDARD: "Sie sind ja auch Europaminister. Wie definieren Sie europäische Kultur und Identität?" Blümel: "Das ist eine extrem weit zu fassende Frage. Europäische Kultur hat viel mit Geschichte und Religion zu tun, vor allem mit der Geistesgeschichte. Die beginnt in der Antike mit der griechischen Philosophie, dann folgt das Christentum: Es gibt ja die These, dass die Auseinandersetzung mit dem Christentum und das Problem der Menschwerdung Gottes in einer Person erst dazu geführt hat, dass die Neuzeit überhaupt darauf kommen konnte, dass das Ich und die Identität der Person das Allerwichtigste überhaupt im Kosmos sein kann. Und dass es dadurch erst zu einer Idee wie der allgemein gültigen Demokratie kommen kann. Das ist das Europäische, das in dieser Art sicherlich einzigartig ist, auch in der geografischen Konzentration." [Quelle]

Der gleiche Aussagegehalt läßt sich mit der Mitteilung eines von Blümels Vorgängern genauso aufschlußreich zusammenfassen: "Ich weiß schon, meine Damen und Herren, das alles ist sehr kompliziert so wie diese Welt, in der wir leben und handeln, und die Gesellschaft, in der wir uns entfalten wollen." So Fred Sinowaz laut Seite 29 des Nationalratsprotokkolls vom 31. Mai 1983 . Mehr war da nicht zu erfahren? Mit derlei Geschwafel hab ich mich einst bei Schularbeiten zu retten versucht, wenn ich grade blank war. Aber nicht einmal in der Berufsschule ist mir dabei jemand auf den Leim gegangen.

Mel Gibson führte in "Barveheart" (1995) selbst Regie. Die 1990er Jahre sind -- wenn man es gerne heftig hat -- eine interessante Ära. Ich glaub mich zu erinnern, daß ich "Barveheart" damals im Grazer Schubertkino gesehen hab und von der Brutalität der Schlachtszenen plus einiger andere Sequenzen etwas betäubt war, denn Gibson setzte nicht gerade auf Subtilität. Das ist also eine ziemlich wilde Testosteron-Operette.

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Al Pacino  in "Heat"

Ich möchte annehmen, es ist nicht dieses Verschütten von Blut, an dem sich aktuell für einige unserer Spitzenpolitiker der Fan-Status entzunden hat. Allerdings wäre das ostentativ vorgeführte Männnerbild des zentralen Helden auch keine beruhigende Referenz. Gibson/Wallace zeigt uns einen politisch völlig untalentierter Rebell, der im Blut watet, um Zeugnis von sich abzulegen, dabei nur dem stolzen eigenen Herzen verpflichtet, ohne erkennbaren Nutzen für das Gemeinwesen.

Dazu kommt der Witz an dieser Geschichte: Dieser Charakter namens William Wallace wäre für jeden erfahrenen Politiker des herrschenden Systems etwas wie ein "nützlicher Idiot", der sich für innenpolitische Propaganda vorzüglich instrumentalisieren ließe. Und zwar genau weil er so ein herzlicher Haudrauf ist. ("I am William Wallace! And I see a whole army of my countrymen, here in defiance of tyranny. You've come to fight as free men... and free men you are.")

Schon ein geringerer und nach damals geltendem Recht völlig legitimer Anspruch konnte einen aufbegehrenden Krieger seinerzeit zügig ins Grab bringen.

Was der schottische Rebell William Wallace, eine historische belegte Person, wäre für Österreich vielleicht der imposante und kampferprobte Heerführer Andreas Baumkircher.

Der hatte Kaiser Friedrich III ordnungsgemäß einen Fehdebrief zustellen lassen, um einen ihm zustehenden Gedbetrag einzufordern. Der Kaiser konnte ihm militärisch nicht beikommen, beschloß daher, ihn zu betrügen.

Baumkircher wurde in Graz der Kopf abgeschlagen, nachdem man ihn mit der Zusicherung freien Geleits angelockt hatte. (Die Pflege christlicher Werte durch katholische Eliten kann einen gelegentlich erstaunen!)

Es ist daher wenig vertrauenserweckend, wenn ausgerechnet Regierungsmitglieder uns von solchen Heldenfiguren schwärmen. Außerdem hätten jene 1990er Jahre, in denen uns Mel Gibson den Haudrauf gab, im Action-Kino einige Streifen zu bieten, die definitiv in einer feineren Liga laufen.

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Andreas Baumkircher
(Relief in der Burg Stadtschlaining,
Foto: Anton-kurt,
Creative Commons)

Wenn schon ein Film, wo ordentlich Blut fließt, dann zum Beispiel "Heat" (1995) von Michael Mann, mit dem Kammerspiel zwischen Robert De Niro und Al Pacino, vor allem aber mit dem -- soweit mir bekannt -- härtesten Shootout nach einem Banküberfall, bei dem Val Kilmer die erste Knarre geigt. De Niro dann wahlweise auch in John Frankenheimers "Ronin" (1998), wo ihn Jean Reno begleitet, der 1994 in Luc Bessons "Leon - Der Profi" ordiniert hat, in dem Gary Oldman sein Gegenspieler war. (Ich gebe fünf Mel Gibsons für einen Gary Oldman!)

-- [Spurwechsel] --

PS:
Es beschäftigt mich im Momemt noch eine Frage: Warum kann ich heute keinen Kulturminister bekommen, der mir mit einigen geistreichen Sätzen zu denken gibt, statt mich in meinen Gewohnheiten gemäß dem Recht auf billige Unterhaltung zu unterbieten?

PPS:
Aus Anschauungsgründen hier noch ein Stück Politik-Karaoke aus dem nämlichen Interview, zu dem ich mir wünsche, es würde beizeiten durch gehaltvollere Aussagen ersetzt werden, denn solche inhaltlichen Nullnummern sind schwer zu ertragen. Blümel:

"Das Wichtigste bei europäischer Kulturpolitik ist, Bewusstsein über die Vielfalt des kulturellen Erbes zu schaffen und miteinander auszutauschen. Das hängt auch historisch stark miteinander zusammen. Wir wollen unseren Teil beitragen mit einem sehr breiten Kunst- und Kulturprogramm im Rahmen der Ratspräsidentschaft. Details dazu werden wir zu einem geeigneten Termin präsentieren. Einige Dinge sind schon klar, zum Beispiel wird es ein Philharmoniker-Konzert in Brüssel geben, und auch die Klimt-Ausstellung im Belvedere wird in Brüssel zu sehen sein."

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