17. Oktober 2017

Tage der Offenbarungen und des Gezeters. Es heißt, Österreich sei nach rechts gerutscht. Wirklich? Österreich ist nach der Wahl, wo es vor der Wahl war. Mit Österreichs Politik sieht das anders aus. So viel Genauigkeit in der Betrachtung und in der Verwendung von Begriffen darf noch sein.

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Wir bekommen frische Lektionen, was Propaganda kann. Um die Menschenwürde dürfen wir uns einige Sorgen machen. Nun feiern also selbst Leute rechts von Dchingis Khan Feste. Dafür werden links der Lampenputzer-Gewerkschaft Taschentücher herumgereicht. Selbst aus so mancher Hängematte hinter dem Ofen oder hinter dem Mond quellen dieser Tage kühne Faschismus-Warnungen hervor, teils von Menschen, die kaum sagen könnten, was denn Faschismus eigentlich sei.

Es ist derzeit so verlockend, a) über die Parteien und b) über die Andersdenkenden herzuziehen, anstatt etwa ernst zu nehmen, daß wir sehr anschaulich erleben, was Demokratie bedeutet. Das zeigt sich, gerade weil wir die letzten Monate sehen konnten, was Propaganda kann.

Daß man in überschaubar wenigen Wochen den Menschen die ÖVP als politische Kraft andienen konnte, welche nun plötzlich neue Wege schafft und an den letzten Jahrzehnten ihrer Politikpraxis nicht gemessen werden muß, ist eine Glanzleistung kurioser Verstrickungen.

Wer darüber zur Zeit am lautesten zetert, hat vielleicht die meisten Gründe, sich selbst und die eigene politische Abwesenheit in dieser Demokratie zu bemänteln. Eines der anregendsten Statements zum Stand der Dinge kam auf meiner Facebook-Leiste kürzlich von Richard Hubmann, einem oststeirischen Bauern.

"Mich beschäftigt: Wie gelingt es mehr, sich selbst organisierende politische Öffentlichkeit zu schaffen, in der die Lebensrealitäten der einzelnen BürgerInnen einen Bezug zum politischen Diskurs finden."

Das korrespondiert mit einer Ansicht, die der Pädagoge Franz Wolfmayr über Jahre immer wieder geäußert hat, daß wir nämlich den großen Fehler begangen hätten, in der Politik nicht hinreichend vertreten zu sein. (Apropos Franz Wolfmayr, siehe dazu auch die Projekt-Notiz "Leben/Kunst/Geschwindigkeit"!)

Nun also, nach Jahren im Lehnstuhl oder in der Hängematte hinter dem Ofen, wahlweise hinter dem Mond, so vielen anderen zuzurufen, was sie für Deppen seien, da sie a) die falsche Politik gemacht haben, fallweise b) die falsche Partei gewählt haben, zeugt von keinem sehr ausgereiften Demokratieverständnis.

Der regionale Kulturbetrieb hat es mehr als deutlich gemacht. Statt Selbstermächtigung hauptsächlich Selbstinszenierung als dominantes Konzept der letzten Jahre. Dabei durfte die Kultur recht unwidersprochen zur Magd des Marketing werden und Kunstschaffenden haben inzwischen eine aktuelle Hauptaufgabe darin, den Anlaß für Pressefotos abzugeben, auf denen sich möglichst viele zusätzliche Personen aus Politik und Verwaltung ausgehen.

Das wurde spätestens ab 2015 durch die radikale Absage an die kulturpolitische Option "vom Subventionsempfänger zum Kooperationspartner" deutlich. Derlei ist freilich kein zwingendes Konzept und mein Lebensraum bietet natürlich auch Funktionstragende in der Politik, die andere Modi begrüßen.

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Das bedeutet, man muß schon selbst entscheiden und etwas beitragen, wo es im Gemeinwesen hingeht und ob es gelingt, "sich selbst organisierende politische Öffentlichkeit zu schaffen, in der die Lebensrealitäten der einzelnen BürgerInnen einen Bezug zum politischen Diskurs finden", wie es Hubmann sehr präzise ausgedrückt hat.

Das Beschimpfen anderer, um die eigene Position zu verhüllen, mißfällt mir ganz besonders. Da ist mir viel zu viel Verallgemeinerung im Spiel. Ich habe zwar keinen Zweifel, daß die angeblich "neue ÖVP" ein Propagandaprodukt ist, welches sich ohnehin erst in der politischen Realität bewähren muß, wobei ich mit nennenswerten demokratiepolitischen Schäden rechne, aber dem stehen etliche meiner Kooperationspartner gegenüber, die der ÖVP angehören. Und ich wäre nicht ihr Kooperationspartner, wenn ich sie nicht für redliche Menschen hielte.

Ich würde übrigens auch mit regionalen FPÖ-Mitgliedern stellenweise zusammenarbeiten, wenn ich in diesem Lager auch nur eine geistreiche Person gefunden hätte, die in kulturellen und kulturpoltischen Fragen eine erkennbare Meinung hätte, über die man sich auseinanersetzen könnte. Gut, in der Sache sind auch einige andere Fraktionen mir ein ausgeschlafenes Gegenüber schuldig geblieben.

Nun ist aber gerade in so radikalen Umbrüchen, wie sie Europa derzeit erlebt, die Anforderung besonders groß, gesellschaftliche Prozesse voranzubringen, die es den Menschen erleichtern, die wachsende Komplexität zu bewältigen und sich den rasenden Entwicklungen nicht vor allem hilflos ausgeliefert zu fühlen. Aber was wären denn das für Prozesse, wenn nicht vor allem kulturelle Prozesse?

Ich kennen keine Erfahrungen, wonach sich solche Entwicklungen flächendeckend vom Zaun brechen ließen. Seit den 1970er Jahren waren das auf dem Kulturfeld immer punktuelle Phänomene, die von engagierten Personen getragen wurden. Manches davon ließ sich für einige Zeit instituationalisieren. Netzwerke sind dabei eher kurzlebig.

Zugleich sollten wir in der Lage sein, mit den Kräften aus Politik und Verwaltung zu verhandeln, welche kulturpolitschen Maßnahmen für die nahe Zukunft adäquat erscheinen, um in der gesamtgesellschaftlichen Bewältigung eben dieser Zukunft ein paar relevante Schritte. voranzukommen.

Dazu sollten sich die Akzente deutlich von der Konsumation zur Partizipation verschieden lassen, also zum Beleben geistiger Räume, in denen erörtert werden kann, was denn nun überhaupt erst einmal Fragen von Belang seien.

P.S.:
Was es mit der Lampenputzer-Gewerkschaft auf sich hat? Die leite ich aus einem Chanson von Erich Mühsam ab. In "Der Revoluzzer" heißt es unter anderem: "Und er schrie: „Ich revolüzze!“ / Und die Revoluzzermütze / Schob er auf das linke Ohr, / Kam sich höchst gefährlich vor" [Quelle]

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