Log #628: Die Quest III Leben/Kunst/Geschwindigkeit
Ich hatte eben eine sehr anregende
Debatte mit Inge und Franz Wolfmayr, die beide viel Erfahrung haben, was Menschen mit
Handicaps angeht und wie sich diese Gesellschaft nun seit vielen Jahren nur sehr zäh
aufrafft, beeinträchtigte Menschen als bloß eine anderer Seite ihrer selbst zu
begreifen.
Damit meine ich: Uns alle trennt nur ein
Herzschlag, eine kleine Schwankung im Temperaturfenster des Körpers, ein springlebendiges
Virus oder ein knapp vorbeihuschendes Automobil, was auch immer, von jenem Schlag, der
einem die stabile Gesundheit und die Verläßlichkeit aller gewohnten physischen oder
psychischen Fähigkeiten nehmen kann.
Ich habe selbst diese radikale Erfahrung
gemacht, daß mir im Straßenverkehr der unbedachte Augenblick eines Mannes, den ich nicht
kenne, meinen körperlichen Originalzustand irreversibel genommen hat, was
selbstverständlich auch seelische Konsequenzen hat.
Wir alle sind also immer auch schon davon
gezeichnet, daß die Unversehrtheit nicht garantiert wurde. Sobald die Normalität für
einen Moment Pause macht, lernt man andere Seiten des Daseins und dieser Gesellschaft
kennen.
Ich hatte in den Wolfmayrs gerade höchst
sachkundige Gegenüber, um einige anstehende Fragen zu erörtern. Dabei hat mich am
meisten beschäftigt, daß sie mir beide bestätigten, es gebe in unserer Gesellschaft
eine auffallende Zunahme von psychischen Störungen und Zusammenbrüchen.
Das ist einerseits mehr denn je eine Ursache
von Krankenständen und darf wohl auch mit dem epidemischen Ausmaß von Mobbing
in heimischen Betrieben zusammengedacht werden. Auch Vandalenakte mögen
teilweise in solchen Irritationen begründet sein. Das handelt aber andrerseits von der
steigenden Zahlen scheiternder Menschen, die etwa über bipolare Störungen und
andere Probleme unsere gemeinsame Realität völlig verlassen.
Einst sprachen wir in der Kultur- und
Wissensarbeit davon, daß uns Beschleunigungsopfer um die Ohren fliegen würden.
Damals gab es allerdings in der Psychiatrie schon den Begriff Zeitstörungen.
Ich habe bewußt nachgefragt, ob wir annehmen
müssen, das seien Folgen zunehmender Probleme von Menschen, mit dieser Welt
zurechtzukommen, in der massiven Umbrüche seit nun rund zweihundert Jahren eine
permanente Progression des Tempos zeigen, was innerhalb unserer Biographien ein Maß
erreicht hat, das permanente Irritationen erzeugt.
Wenn Menschen sich im aktuellen Zustand der
Welt, der Gesellschaft, ihrer Lebenssituation nicht mehr auskennen, zurechtfinden, nehmen
offenbar solche seelischen Erkrankungen zu. Außerdem sehen wir, daß Gesellschaften dann
zügig nach rechts rücken. Dabei entsteht ganz auffallend den Eindruck, als wollten die
Rädelsführer rechtspopulistischer Formationen die Zeiger zurückdrehen, um die
Gesellschaft in eine verständlichere Welt zurückzuführen, was freilich vollkommen
aussichtslos ist.
Man könnte sagen, wenn ich es nicht mehr
schaffe, über ausreichend weite Strecken der Herr meines Lebens zu sein, meine Existenz
in eigener Verantwortung zu gestalten, bin ich in der Gefahr, vom Leben aus der Bahn
geworfen, ver-rückt zu werden. Eine mögliche und derzeit wieder sehr populäre
Reaktion darauf ist der Versuch, in einer rückwärtsgewandten Deutung der Welt eigene
Verantwortung abzugeben, an diverse Führungskreise weiterzureichen.
Heute ist Sonntag, der 15. Oktober, morgens.
Während ich diese Zeilen schreibe, wählt Österreich seinen Nationalrat neu, weshalb wir
in diesen Wochen mit brutaler Deutlichkeit erlebt haben, wie hart die Gesellschaft derzeit
rechte Positionen als zulässig behauptet und mit welcher Brutalität die Wahlkämpfe
hinter den Kulissen geführt werden. Dabei durfte die Menschenwürde mehr als
reichlich geduckt, bedrückt werden, obwohl wir uns zu ihrer Unantastbarkeit per Verfassungsrang
verpflichtet haben.
Wenn ich nun mit dem Thema "Vom Pferd
zum Sattelschlepper" befaßt bin, also mit einem maßgeblichen Brocken unserer
Mobilitäts- und Sozialgeschichte, dann ist das natürlich auch eng mit solchen Fragen
verknüpft. Beschleunigung und die gesellschaftlichen Konsequenzen. Das Pferd war über
Jahrtausende des Menschen bedeutendste Tempo-Maschine. Dieser Kentraurische
Pakt erlosch erst im Zweiten Weltkrieg.
Aber auch für unsere "Quest"
sind diese Themenzusammenhänge wichtig, liefern derzeit wichtiger Fragen. Im Jahr 2007
war ich Teil eines Teams, das damals zusammenfand, um ein Projekt zu entwickeln, das wir
einreichen wollten, auf daß in einem regionalen Orts-Dreieck die erste "Regionale"
der Steiermark stattfinden möge. Das war jener Veranstaltungstyp, mit dem die Landesausstellungen
abgelöst werden sollten und womit überdies speziell die Gegenwartskunst hervorgehoben
werden mochte.
Damals war das Labor Kunst Ost noch
in einer anderen Schreibweise notiert. Wir hatten mit dem Themenpaket zu Leben, Kunst und
Geschwindigkeit keinen Zuschlag erreicht. Aber die Arbeit daran sagte mir sehr zu, weil ja
solche inhaltlichen Bemühungen nie vergebens sind.
Die Stadt Gleisdorf, in dessen Kulturbüro
damals noch konsequent inhaltlich gearbeitet wurde, setzte in der Sache auf den
Themenbogen "Materie - Energie - Information“. Damit hatte ich ein
Arbeitsfeld aufgemacht, das eine längerfristige Themen- und Projektentwicklung zuließ,
in der damals aktuelle Fragestellungen mit Bedacht und einiger Ausdauer bearbeitet werden
konnten. Die Projekt-Website: [link]
Heute, zehn Jahre später, kann man gut sehen,
wie wir in der längst losgebrochenen Vierten Industriellen Revolution bei der
Arbeit an diesen Zusammenhängen etwas in Verzug geraten sind. Die Bewerbung von 2007: [link]
Ich hab nun aus diesem Arbeitsansatz vor einem
Jahrzehnt das Thementrio "Materie - Energie - Information“, zu dem hier
das aktuelle Paket aus dem 2017er Kunstsymposion [link] paßt: "Volkskultur,
Popkultur, Gegenwartskunst".
Das sind thematische Bezugspunkte und
Zusammenhänge, mit denen die kollektive Kultur- und Wissensarbeit, um die einige Leute
mit mir bemüht sind, sehr zeitgemäß zur Entfaltung kommen kann.
-- [Vom Pferd zum Sattelschlepper]
[Die Quest] --
core | reset | home
42•17 |