22. September 2017 Auf dem Weg zu unserem heurigen Kunstsymposion bleibt es
unverzichtbar, auch nach unseren Rahmenbedingungen zu sehen und ergo kulturpolitische
Fragen zu erörtern. Im Laufe des heurigen Jahres konnte man der Tagespresse
entnehmen, daß für die Entwicklung der Regionen nun ein "Masterplan"
bestehe. Dem solle in absehbarer Zeit sogar eine neue gesetzliche Regelung gewidmet sein.
Michaela Zingerle, erfahrene Kulturarbeiterin und
Vorstandsmitglied der IG Kultur Steiermark, nahm das zum Anlaß, eine Serie von
Arbeitstreffen in der Provinz auszurufen. Der Auftakt fand nun in Gleisdorf statt. Daran
war bemerkenswert, daß diese Session Hand in Hand mit Politik und Verwaltung der Stadt
über die Bühne ging.
Christoph Stark und Michaela
Zingerle
Die "Einladung zum 1. Arbeitstreffen 'Kultur am
Land' am Donnerstag 21.9.2017 in Gleisdorf!" beginnt mit dem erstaunlichen Satz:
"Beim 1.Arbeitstreffen 'Kultur am Land' sind wir in Gleisdorf zu Gast, das ein
sehr reges Kulturleben hat. Bürgermeister Christoph Stark und sein Team wird die
Kulturarbeit der Gemeinde vorstellen." [Quelle]
Das bedeutet unter anderem, die Rolle einer
Quasi-Gewerkschaft der IG Kultur zugunsten der Initiativen-Szene
gegenüber der Politik und der Verwaltung ist in diesem Setting nicht mehr erkennbar. Nun
darf ich zwar Bürgermeister Christoph Stark aus eigener Erfahrung konzedieren, daß er
sein persönliches Interesse an den Arbeitsbedingungen und Themen von Kulturschaffenden
immer wieder gezeigt hat, aber auf symbolischer Ebene ist das gestrige Lineup sehr
problematisch.
Was soll daran problematsich sein? Lassen wir beiseite,
daß ich es für einen fundamentalen Fehler halte, wenn eine Interessensgemeinschaft der
kulturellen Basis-Szene genau diese Reihe von Arbeitstreffen genau mitten im
Nationalrats-Wahlkampf beginnt, der heuer maßgeblich entscheiden wird, wie weit
Österreich offiziell nach rechts rückt. Aber selbst zu einem anderen Zeitpunkt hielte
ich es für mehr als diskussionswürdig, wenn die "Kulturgewerkschaft"
zu so einem Auftakt die Basis Kulturschaffender sozusagen Schulter an Schulter mit Politik
und Verwaltung begrüßt. Das wirkt ein wenig, als würden Generaldirektion und
Betriebsrat fusioniert haben.
2014 kam es zu keiner
Netzwerkbildung der regionalen Kulturinitiativen
Wir hatten zuletzt 2014 eine vergleichbare Situation, die
allerdings im Setting völlig klar kommuniziert wurde, da sie nicht bottom up,
sondern top down entstanden war: "Der Arbeitskreis 'Kulturtisch
Oststeiermark' ist vom Regionalmanagement Oststeiermark (RMO) einberufen worden":
[link] Von da her
hätte schon klar sein können, daß die viel gepriesene "Bürgerbeteiligung"
womöglich unter Bürgerinnen und Bürgern beginnen sollte, um dann zu klären, wo die
Gemeinde deren Vorhaben begleiten und verstärken könnte. So wird aber eine Augenhöhe
simuliert, die nicht nachweisbar ist.
Was war der Tenor des Abends? Es komme ein neues Gesetz,
wonach neue Gremien darüber entscheiden werden, wie und wofür Gelder vergeben werden,
die bisher der Landeshauptmann und sein Stellvertreter nach eigenem Gutdünken an
Bürgermeister vergeben konnten, was erfahrungsgemäß stark politisch gefärbt sei. Nun
waren sich IG-Vorstandsmitglied und Kulturamtsleiter einig, da müsse die Kultur
hineinreklamiert und jemand für uns in dieses Gremium delegiert werden.
Wäre nun ich Kulturamtsleiter, dann wüßte ich, daß
unter den Kunst- und Kulturschaffenden der Region sich vermutlich kaum wer aufraffen
werde, so eine Hackn zu machen, aber falls ja, das nicht lange durchstehen
dürfte, weshalb ich am besten gleich mich selbst delegieren ließe, vorzugsweise mit
erkennbaren Mandat von der Basis, von regionalen Kulturinitiativen, denn so würden sich
meine Möglichkeiten und die meiner Abteilung verbessern.
Gleisdorfer Akteurinnen und Akteure
haben in den letzten 20 Jahren an
den meisten relevanten Ansätzen zur kulturellen Netzwerkbildung teilgenommen
Hier offenbart sich nun langsam, warum es nötig wäre, die
Rollenfrage stets neu zu erörtern, dabei zu klären, wo wir grade stehen, zumal
an diesem Abend auch unterschiedliche Auffassungen zu finden waren, wer sich mit wem in Augenhöhe
befinde oder was denn überhaupt in diesen Verhältnissen Augenhöhe sei.
Warum sollte daher zwischen einer Kulturinitiative
und dem Kulturreferat einer Kommune sowie deren Kulturabteilung
kategorial unterschieden werden? Weil wir sonst überhaupt nicht wissen, wovon wir bei so
einem Treffen reden!
Der Begriff Kulturinitiative ergibt
ausschließlich dann Sinn, wenn man ihn auf eine Kategorie der Zivilgesellschaft
anwendet. Das Kulturreferat ist eine Einrichtung der Politik, die Kulturabteilung
eine der Verwaltung. Diese beiden Institutionen können keine Kulturinitiative sein, sie
repräsentieren eine andere Instanz. (Das hat ja auffallend auch etwas vom Prinzip der
Gewaltentrennung in einer zeitgemäßen Demokratie.)
Die
idealtypische Rollenverteilung ließe sich etwa so skizzieren: Personen der
Zivilgesellschaft verhandeln mit Funktionstragenden der Politik, welche Themen, Aufgaben
und Prozesse temporär Vorrang haben. Die Verwaltung begleitet und verstärkt dann die
Umsetzung in einer Praxis regionaler Wissens- und Kulturarbeit.
Haben wir gestern ein paar dieser grundlegenden Fragen
geklärt? Nein. Warum wäre das wichtig? Allein schon der Nutzen zusätzliche
"Budgets von außen", zum Beispiel EU-Gelder, die in unsere Region gebracht
werden könnten, haben mehrheitlich eine klare Grundbedingung. Sie müssen nach dem "Bottom
up-Prinzip" eingesetzt werden. EU-Programme wie LEADER oder Lokale
Agenda 21, einst auch Regionext, haben eigentlich bedeutet, daß Politik und
Verwaltung über Gelder verfügen, die es in der Region nicht gäbe, wäre das Bottom
up-Prinzip mißachtet worden.
Wird diese Art der Basisbindung im Land ausreichend ernst
genommen? Ich kann das nicht bestätigen. Wie kommt das? Na zum Beispiel so, daß eine
Kulturabteilung auch Eigeninteressen entwickelt, die keinerlei kulturpolitische Relevanz
haben. Was meint das?
So ein Problem finden sie in keiner kleinen Gemeinde. Aber
wo eine Stadtregierung wirkt, die zur Bearbeitung von Sachfragen eigene
Abteilungen hat, welche den politischen Ausschüssen zuarbeiten, entsteht meist eine
interne Konkurrenz zwischen diesen Abteilungen. Wer hat mehr Personal, mehr Budget, mehr
Außenwirkung, mehr Medienecho? Und wofür werden dann diese materiellen wie immateriellen
Ressourcen genau eingesetzt?
Da seit den Krisen im Kielwasser des Lehman Brothers-Crash
die Steiermark schon wiederholt ein sehr knappes Doppelbudget pflegt, also bezüglich der
verfügbaren Mittel Legionen von Menschen durch ein Tal der Tränen schickt, herrscht
unter diversen Deckmänteln ein harter Verteilungskampf, der Stellenweise auch zum
Verdrängungswettbewerb wurde. (Es ist tabu, das offen anzusprechen.)
Oswald Schechter (links) und Ewald
Ulrich
In diesem Kräftespiel ist die Initiativenszene
selbstverständlich keine Ausnahme. Dabei ist auch die IG Kultur Steiermark bloß
eine unter vielen steirischen Kulturinitiativen, die ja selbst keine Gelder
erwirtschaftet, daher auf die Kofinanzierung aus öffentlichen Mitteln dringend angewiesen
bleibt.
Ahnen Sie nun, warum es wo wichtig wäre, die Rollen zu
klären, wenn es zu kulturpolitischen Schritten kommt, die explizit neue
Zusammenschlüsse ergeben sollen? Wäre dann auch hinreichend klar, daß Vernetzung
kein Inhalt, sondern ein Werkzeug ist? Hätten wir dabei ausreichende
Orientierungspunkte, wo sich die drei Sektoren Staat, Markt und Zivilgesellschaft
berühren, aber auch zueinander abgrenzen, um erkennbar zu sein?
Und was sind denn derzeit überhaupt relevante Fragen in
der Kulturpolitik? Sind wir in Sachen Zukunftsfähigkeit interessant aufgestellt,
wenn ich an diesem Abend keine einzige Frage gehört habe, die wir nicht schon vor
dreißig Jahren gestellt haben? Wo ist diese steirische Initiativenszene angekommen und wo
möchte sie hin? Anders gefragt: Was tun wir denn da?
P.S.:
Siehe zur unmittelbaren Gleisdorfer Vorgeschichte auch: "Das (Kultur-)
Politische" [link]
P.P.S.:
Kleines oststeirirsches Vernetzungsprotokoll [link]
-- [Kulturpolitik] --
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