18. September 2017 Vor einigen Tagen rief mich Sir Oliver Mally an. Dem Musiker war in
meinem Tonfall etwas aufgefallen, wonach er fragen wollte. Daraus wurde eine kleine
Plauderei über den Zustand der Welt und wie wir damit umzugehen gedenken.
Ich war bisher ohne jeden Zweifel gewesen, daß
Kitikwürdiges zu kritisieren sei. Das ist nie angenehm und nie besonders willkommen, was
ich gut weiß, weil es ja gelegentlich auch mich selbst trifft. Aber es gibt mindestens
für mein Metier gute Gründe, dennoch an solchen Prinzipien festzuhalten.
Gleisdorfer Bekenntnis zu einer
Berliner Neonazi-Band
Der Grund ist nicht moralischer Natur, sondern hat ganz
pragmatische Zusammenhänge. Es geht um Folgerichtigkeit. Ein Künstler arbeitet
primär mit immateriellen Gütern, von denen sich gelegentlich ein greifbares
Werk ableiten läßt. Alles, womit ich beruflich meine Zeit verbringe und worauf sich
daher auch mein Broterwerb stützt, beruht auf Folgerichtigkeit.
Das ist, wie erwähnt, nicht der Moral geschuldet, sondern
der Funktionalität. Sobald ich diese Arbeitsgrundlage aus den Augen verliere und
dieses Prinzip verletzte, womöglich über Bord werfe, gebe ich die Substanz meiner Arbeit
auf, was bedeutet, ich verliere den Boden unter meinen Füßen.
Ein Ausweg wäre, daß sich meine künstlerische Arbeit in
ein Dekorationsgeschäft wandeln müßte. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn es
mein Selbstverständnis wäre, ein Dekorateur zu sein. Doch ein Dekorateur, der sich als
Künstler ausgäbe, würde in dieser Art von Verstellung einige Probleme aufwerfen, die
ich als Bürde empfände.
Daß ich es hiermit genau nehme, hat -- wie angedeutet --
nicht mit Moral zu tun, sondern mit Ethos. Das heißt, ich habe ein
seelisches Konzept gewählt, mit dem ich mir über die Jahre und Jahrzehnten in der
Orientierung behelfe. (Es ist letztlich auch eine Frage von Professionalität.)
In etwas polemischer Verkürzung: Die Moral empfiehlt man
den Anderen zur Orientierung, Ethos sich selbst. Worüber ich nun mit
dem Sir gesprochen hab? Unter anderem darüber, daß wir zwar die Maskerade einer
zeitgemäßen Demokratie schätzen, aber wenn etwas im Argen liegt, ist einigermaßen
streng und hierarchisch geregelt, wer dazu überhaupt das Maul aufmachen darf.
Anders ausgedrückt, eine Kritik außerhalb der Hierarchie
ist bei uns ebenso erwünscht wie in Nordkorea. Das hat inzwischen natürlich auch mein
Milieu erreicht. Das hat sich heuer auf denkwürdige Art verdichtet.
Meine kurioseste Erfahrung war dabei eine Erörterung von
Fragen der Kunst im öffentlichen Raum, wobei mir beispielsweise ein gebildeter Mensch
ausrichtete: Deine Kritik ist zwar stichhaltig, aber du hast unlautere Motive, weshalb
sie hinfällig ist.
Das ist nicht bloß der Ausdruck einer völligen Aufgabe
von intellektueller Selbstachtung, sondern auch ein niederträchtiger Appell zur Ruhe im
Laden. Ich hab das letzten Juli unser Drittes Biedermeier genannt. [Quelle] Der Vormärz, die 1970er und
heute...
Das verträgt sich gut mit jenem deutlichen Rechtsruck,
nicht des Landes, sondern der öffentlichen Diskurse. Ich denke, die Neigung zu rechten
Positionen ist hier nicht neu, nichts Jüngstes, sondern etwas Beständiges über
Generationen. Aber daß es sich öffentlich so hervortut, inzwischen via Massenmedien
solche Präsenz hat, ist für mich noch sehr gewöhnungsbedürftig.
Passend dazu hat der Kulturbetrieb in meinem Lebensraum, in
meiner Region, keinerlei erkennbare Tendenz, sich solchen oder anderen Themen unserer
Gegenwart und nahen Zukunft nennenswert zu widmen. Dabei sind die protofaschistischen
Usancen besonders weich gebettet, wo sich Spießer und Mittelschicht-Trutschen breit
machen, die bei Politik, und Verwaltung sehr willkommen erscheinen, weil sich ja so dieses
große Konzert von "Kultur und Kulinarik" ohne störende Zwischentöne
ereignen kann.
Jenes Konzert der fadenscheinigen Klänge, die sich auch
für die Marketingarbeit recht gut eignen, besser fügen, ohne daß ich
genau wüßte, was denn da nun auf solche Weise promotet werden möchte.
Aber vielleicht ist es auch etwas eitel, sich in solchen
Fragen einsam zu fühlen. Und es verhält sich ohnehin anders. Das wurde dieser Tage
deutlich, als der Komponist Georg Friedrich Haas seine Rede zum Festakt 50.
steirischer herbst hielt: [Quelle]
Man mag sich erinnern, zum 40. Festival
waren wir mit von der Partie, später habe ich da die Spur verloren, weil es für eine
kleine Kulturpartie nicht zu schaffen ist, Jahr für Jahr eine relevante Einreichung zu
erarbeiten. Ich brauche mehr Zeit, um ein Ereignis aufzuarbeiten und neue Vorhaben zu
entwickeln. Das 2007er Projekt "Next Code: Love" [link]
Nun also Haas mit seiner klaren Rede, die, wie ich merke,
erhebliche Reaktionen hervorgerufen hat. Darin die Passage: "Ich persönlich
glaube, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen diesen in signifikanter Stärke
aufblühendem Kunstschaffen und den ebenfalls in signifikanter Stärke immer noch
lebendigen Resten von Nazismus in der Steiermark: Der Schmerz und die Wut und die Trauer
stacheln uns an." Darüber werden wir noch zu reden haben...
-- [Das 2017er Kunstsyposion] --
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