22. Juli 2017

Wir befinden uns auf dem Weg zum heurigen Kunstsymposion. Dabei wird diese Themenleiste nicht unbedingt im Vordergrund stehen. Es ist in Österreich viel zu unpopulär, Dinge offen an- und auszusprechen. Wenn ich verstehen möchte, wie das kommt, lande ich immer wieder bei Sartre, der in den 1960er Jahren analysierte, wie sich Intellektuelle, Kleinbürgertum und Öffentlichkeit zueinander verhalten.

Sartre hat 1965 einige Vorträge zum Thema "Was ist ein Intellektueller?" gehalten. Dabei behandelte er unter anderem die Reibungspunkte und Einwände.

In seinem ersten Vortrag nannte er den "grundlegenden Vorwurf", welcher da lautet, "der Intellektuelle ist jemand, der sich um Dinge kümmert, die ihn nichts angehen".

Intellektuelle seien "von Natur aus schwach: sie produzieren nichts und zum Leben haben sie nur ihr Einkommen." Daher, so Sartre, müßten sie sich vorhalten lassen, sie seien "wirkungslos und schwankend; mangels einer ökonomischen oder gesellschaftlichen Macht halten sie sich für eine Elite, die sie nicht sind, berufen, über alles zu urteilen".

In solchen Zusammenhängen würde man Intellektuelle in Europa für ein "notwendiges Übel" halten.

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Simone de Beauvoir & Jean-Paul Sartre
(Foto: Liu Dong'ao, Public Domain)

Zur Begriffsbestimmung sagte Sartre: "Ursprünglich sind die Intellektuellen also Menschen, die einen gewissen Ruhm erworben haben aufgrund von Arbeiten, die auf Intelligenz beruhen." Sie würden, so die gängigen Vorhaltungen, "diesen Ruhm mißbrauchen, um ihre Domäne zu verlassen und die Gesellschaft und die bestehende Ordnung namens einer globalen, dogmatischen [...] Auffassung vom Menschen zu kritisieren".

Die Situation in Gleisdorf ist in all diesen Fragen ohne wesentliche Abweichungen, ohne Überraschungen. Man könnte inzwischen von einem Dritten Biedermeier sprechen. Das erste ist jene historische Epoche hin zum Vormärz. Eine Ära zwischen Wiener Kongress und 48er Revolutionen. Das zweite haben wir Ende der 1970er proklamiert, als Rückzug ins Private zu dominieren schien und öffentliche kritische Diskurse unerwünscht schienen.

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Es ist mir deshalb so gut erinnerlich, weil ich dazu seinerzeit in Hamburg ein Gespräch mit dem britischen Sänger Roger Chapman hatte, wovon dieses Foto erhalten blieb. Chappo, Jahrgang 1942, hatte diese Zeit mit einem etwas radiikaleren Blickwinkel erlebt. Nun scheint es, daß sich der Groove von 1980 wieder einstellt. Vielleicht sind das ja unausweichliche Konjunkturen.

Die Regionalpresse macht ein Stück dieser Öffentlichkeit aus, die immer verchwiegener wird, wobei da inzwischen die Hofberichterstattung dominiert. Regionalblätter sind ja primär Geldmaschinen. Sie haben eine wesentliche Funktion darin, für die Wirtschaft und die Politik Sichtbarkeit herzustellen, beziehungsweise offenkundige Partikularinteressen zu bedienen.

Vor Jahren hatte dabei journalistische Arbeit noch mehr Raum in diesen Blättern, es waren Reportagen möglich, auch kritische Diskursbeiträge. Das ist weitgehend vorbei und mehr denn je stehen redaktionelle Beiträge ungeschminkt neben den bezahlten Inseraten zum selben Thema.

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Das Web generell und seit einiger Zeit die Social Media hätten das Potential zum Ausgleich solcher Tendenzen. In der Praxis finde ich das aber kaum. Da boomen eher die "Regionauten" und "Bürgerreporter", was bedeutet, die Medienhäuser bemühen sich, vom Social Media-Völkchen abzuschöpfen, was sich kriegen läßt. Auch das ein Stück Aufgabe journalistsicher Möglichkeiten zugunsten des Boulevards.

Hier herrscht der Superismus. Egal, was jemand tut, es ist alles toll, die Menschen sind davon begeistert, was irgendjemand von sich behauptet, wird für bare Münze genommen, Kriterien und Kategorien verschwimmen völlig. Ich muß das so zur Kenntnis nehmen, denn Einwände sind nicht möglich und an der Faktenlage läßt sich nicht rütteln.

Das öffnete sich bestenfalls für Momente, wenn jemand so haltlos an der lokalen Politik rüttelt, wie es voriges Jahr ein junger Nationalist in Gleisdorf getan hat; wohl vor allem auch, weil so unverblümte Angriffe, die sachlicher Grundlagen entbehren, bei den etablierten Kräften nicht durchgehen. Das schafft kurze Zeit Spielraum für eine öffentliche Debatte; siehe dazu: "In der Ebene: Gleisdorf" [link]

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In meinem Metier, auf dem Feld der Kultur, geht das freilich nicht. Meine Erörterungen, was denn nun Kunst sei und was nicht, sind einerseits mit Interessen zugunsten einer geschmeidigen Öffentlichkeitsarbeit kollidiert. Andrerseits brachten sie Unruhe in einen Bereich, wo kreative Menschen sich ganz ungestört ihre Freizeit unter der Flagge der Kunst einrichten wollen. Die Betonung liegt auf ungestört. Siehe dazu: "Wegmarke 2017" [link]

Diese Art der Okkupation soll dann klarerweise auch nicht zur Debatte stehen. Eine der Strategien, derlei "Störung" zu brechen, habe ich im gestrigen Eintrag erwähnt: "Sie bemerken, was er macht? Er geht innerhalb der Antwort von einem Argument zur Sache in ein Argument zur Person über. Das ist ein alter Trick aus dem Handbuch der Niedertracht."

Eine andere Strategie-Variante war in der Kunst-Sache zu finden, nämlich die Unterstellung, man würde Argumente zur Person als Argumente zur Sache verkleiden. Damit ist jede kritische Erörterung ausgeschlossen und es herrscht Ruhe im Schuppen. Das ist heute definitiv der Status quo in Gleisdorf: Ruhe im Schuppen, illustriert von Headlines wie "Vier Tonnen Kunst in Gleisdorf". Ein Schuft, wer da nun denkt, neuerdings ginge Quantität vor Qualität.

Und Sartre? Der schrieb an einer Stelle: "Der Intellektuelle ist also ein Techniker des Allgemeinen, der in seinem eigenen Bereich sich bewußt wird, daß die Allgemeinheit nicht schon geschaffen, sondern stets neu zu schaffen ist." Es lohnt sich, darüber nachzudenken, was er damit gemeint haben könnte.

-- [Kunstsymposion 2017: Koexistenz] --

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