21. Juni 2017

Was ich gerne und häufig wiederhole: Provinz muß nicht provinziell bedeuten. Nun also erneut die Frage "Was ist Kunst?", die explizit gestellt werden soll. Dabei ist diesmal das KulturBüro Stainz federführend, die Erörterung wird aber im Raum Gleisdorf stattfinden: [link] Es ist in meiner Liste die 46. Session der Talking Communities, seit wir 2010 in Novi Sad damit begonnen haben, die reale soziale Begegnung und die Debatte in das Zentrum von Treffen zu stellen: [link]

log339a.jpg (23709 Byte)

2010: Die erste Station in einem Haus,
das der Autor Aleksandar Tisma bewohnt hat

Das Auftakt-Statement lautete: "Nennen Sie Ihre Gründe!" [link] Damals war noch nicht von Fake News die Rede. Aber ich finde nun in jenem Text folgende Passage:

>>Journalistin Jovanka Zlatkovic erinnerte sich auf jeden Fall an das Einbrechen demokratischer Strukturen: „Ich konnte die Veränderungen nicht akzeptieren", sagte sie über ihr Metier. „Es gibt keine freien Medien in Serbien." Es ist freilich ein europaweiter Trend, sich von Journalismus, der diese Bezeichnung verdient, zu verabschieden.<<

Das ist in der Region besonders auffallend im Kleinen geschehen. Diverse Bezirksblätter, die gerne etwas abschätzig als "Inseratenblätter" bezeichnet werden, waren über viele Jahre wesentliche Mittel, um hier "gesellschaftliche Realität" zu generieren. Da hatten teilweise noch Reportagen ihren Platz. Davon ist kaum etwas übriggeblieben.

Die Hofberichterstattung boomt, journalistische Standards sind hier mehr denn je das, was aus den Büros der Agenturen kommt. Public Relations im Kostüm von Journalismus. Derlei kommt natürlich im Kulturbereich besonders zum Tragen. Es zeigt stellenweise Effekte wie das Spiel "Stille Post". Schon der Input ist kurios. Was dann weitergeflüstert wird, kommt an anderen Enden als ziemlich skurrile Auffassung von Kunst heraus.

Ich lebe das eben schon viel zu selbstverständlich: Zentrum und Provinz frei von einem Gefälle. Natürlich hat sich am Grundlegenden nichts geändert, daß nämlich Strukturen und Ressourcen im Landeszentrum vegleichsweise reichlich angeordnet sind.

Genau dieser Kontrast wird übrigens in der Provinz stellenweise reproduziert. Es wollen sich nächste Zentren bilden, indem sie ihre Peripherie zur Provinz machen. Dieser Prozeß zeigt seine Konsequenzen in einer zunehmenden Provinzialisierung des Kulturbetriebes. Das hat keine monokausalen Ursachen. Einer der Gründe liegt in der Budget- und Arbeitsersparnis, die sich generieren läßt, wenn man einen relevanten Kunstbetrieb bloß simuliert.

Das bedeutet auch, die verfügbaren Mittel sind für die Marketing-Arbeit verfügbar, was auf Kosten eines relevanten geistigen Klimas geht. Das bedeutet ferner, es findet in manchen Bevölkerungskreisen deutlichen Zuspruch, wo etwa Menschen mit "kreativen Bastelarbeiten" in das Licht der Öffentlichkeit drängen und dabei gerne bereit sind, ihre ganze Familie als Publikum mitzubringen. Siehe dazu etwa den Eintrag vom 7. Juni 2017: [link]

log2373a.jpg (31097 Byte)

Das läßt sich übrigens ganz vorzüglich mit diversen Simulationen von "Volkskultur" verknüpfen, wobei die Erörterung, was denn der Begriff heute eigentlich bezeichnet, großzügig entfällt. Die Duftmarke Volkskultur ist auf jeden Fall publikumsträchtig. So rundet sich der Bogen. Auf diese Art läßt sich auch gleich das große Thema Europa abhandeln.

Eine Option in dieser Sache wäre: Wir haben das Jahr 2018 vor uns, was an 1918 denken ließe, da Österreich im Abgrund stand und als Ausweg im Nazi-Faschismus landete. Was möchte Europa heute und in naher Zukunft sein? Welche Rolle sollte Österreich dabei spielen?

Und so geschieht es: Ein Portiönchen Trachten plus Volkstanz, garniert mit etwas Kulinarik und Fremdenverkehrswerbung, darauf das Etikett "Völkerverständigung". Dazu vorzugsweise ein Kunstprogramm, welches Familien, auch Schulklassen in Bewegung setzt, was etwa für gut besuchte Vernissagen sorgt. (Arbeiten vergleichbarer Qualität aus Leibnitz oder Bruck könnten diesen Effekt natürlich nicht generieren.)

Es gibt demnach allerhand gute Gründe, um "Was ist Kunst?" zu fragen. Mir fällt auf, daß die Landeshauptstadt während der etwa letzten zehn Jahre in diesen Dingen merklich zugelegt hat. "Künstlergespräche" und vergleichbare Themenangebote sind Standard im Veranstaltungsleben von Graz.

In der Provinz haben sich leider vielerorts engagierte Kräfte dafür entschieden, es wieder provinzieller werden zu lassen. Das geschieht vor dem Hintergrund zunehmender Wahlerfolge verschiedener Formationen, die sich auf kulturelle Themen berufen, ohne diese nachvollziehbar einzulösen: Heimat, Volk, Kultur, Identität, die Wurzeln des Abendlandes...

Wie vorhin erwähnt, ich lebe das schon viel zu selbstverständlich: Zentrum und Provinz frei von einem Gefälle. (Ein Nischen-Phänomen!) Denn was an gewachsenem Gefälle der Strukturen nicht abänderbar ist, kann auf der anderen Seite über inhaltliche Kompetenz, angemessenes Kommunikationsverhalten und adäquate Projekte ausgeglichen werden. (Kann!)

Das spricht nicht gegen eine kreative Hobby-Liga, die sich dem Gemeinwesen präsentieren möchte, um so Selbstbestätigung und Sozialprestige zu gewinnen. Genau das sind ja wichtige soziale Optionen.

Das fordert bloß von der Kulturpolitik die Aneignung von Vergabekriterien und einen diskutierbaren Plan, wofür die knappen öffentlichen Mittel im Kulturbereich eingesetzt werden sollen. (Themen?)

Erst die Transparenz in diesen Fragen macht es auch leichter, mit Absagen umzugehen. Eben weil die Mittel begrenzt sind, können manche Vorhaben nicht kofinanziert werden, wo andere solche Unterstützung erhalten. Wenn ich aber Kriterien und Konzepte der Kommune kenne, kann ich mich orientieren.

-- [Walking Conference: Was ist Kunst?] [Wegmarke 2017] --

[kontakt] [reset] [krusche]