7. Juni 2017 Es ist bei
uns nicht üblich, von Kunstwerken zu sprechen, wenn ein Artefakt ungefähr dem
entspricht, was der Baumarkt an Dekorationsgegenständen anbietet. Es gibt einerseits
keinen Grund, die persönlichen Bemühungen von Menschen zu kritisieren, wo sie
künstlerische Techniken nutzen, um ihr Leben aufzuwerten. Derlei Zeitvertreib ist so klug
wie legitim. Es gibt andrerseits ein paar diskussionswürdige Probleme, wenn Politik,
Verwaltung, Medien und andere Instanzen einer Gesellschaft übereinstimme, ein Dekorationsgeschäft
als Kunstpraxis auszuweisen. Worin besteht das Problem?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wenn die industrielle
Landwirtschaft ihre Produkte vermarktet, indem sie dazu Bilder und Begriffe der bäuerlichen
Landwirtschaft verwendet, ist die bäuerliche Landwirtschaft weitgehend der
Möglichkeit beraubt, öffentlich benannt und dargestellt zu werden.
Wenn Sie die Gegenwartskunst als einen Sinnzusammenhang
begreifen, der uns zum Beispiel eine Schule der Wahrnehmung bietet und Diskursräume
aufmacht, die noch nicht völlig von Werbeagenturen und Politikberatern überschrieben
wurden, dann dämmert Ihnen vielleicht, warum es in einem Gemeinwesen solchen
Klärungsbedarf gibt.
Erhalten wir uns noch kulturelle Räume, in denen der
Menschen Wahrnehmung nicht von PR-Profis nach Schema F nachjustiert wird?
Erhalten wir uns ein raffiniertes Erzählen und die Irritation als bedeutende Mittel, um
unsere Horizonte auszuweiten?
Oder mag ein zeitgemäßes Kunstgeschehen, das von
bewegenden Reflexions- und Denkakten kündet, von irritierender Intuition, von
stellenweise radikalen Zugriffen handelt, ruhig simuliert werden, indem
Dekorationsgegenstände in geselliger Inszenierung zu Kunst von Weltrang
stilisiert werden? (Wenn wir keine Begriffe haben, wissen wir nicht, worüber wir reden!)
Natürlich ist im Gemeinwesen tabu, was ich hier tue;
solche Dinge offen anzusprechen. Ich könnte Ihnen zwar anhand von verfügbaren Quellen
belegen, daß etwa eine Kulturabteilung "Querdenker" ausdrücklich
einlädt, sich hervorzutun, was daran liegen dürfte, daß man einen lokalen Kunstbetrieb
mit unkonventionellem Denken assoziieren will. Aber das hat dann bloß die Qualität einer
Duftmarke, die angebracht wird. In der Praxis ist öffentlicher Widerspruch unerwünscht.
Ich hab im vorigen
Eintrag "Kunst im öffentlichen Raum" erwähnt und dazu notiert: "Ein
interessantes Thema, wo einerseits elaborierte Werke der Gegenwartskunst in Stellung
gebracht werden, andererseits oft erschreckend unbedarfte Bastelarbeiten, die nichts
anderes leisten, als bloß ihre Schöpfer zu repräsentieren."
Natürlich bringt mir das Fragen ein, wie ich derlei
behaupten könne. Ich habe in der Schreibtischlade so manche Zuschrift, die mir "Abgehobenheit"
oder "elitäres Verhalten" unterstellt. Der Witz dabei: Wer würde
wagen, einem versierten Automechaniker solche Vorhaltungen zu machen, weil er seine
Sachkenntnis in eine Debatte einbringt?
Im lokalen Kulturbereich ist derlei aber Standard. Die
Motive solcher Abwehrhaltung sind durchsichtig. Wer die Mühen des Wissenserwerbs scheut,
wird kritische Einwände ächten müssen, um seine Position halten zu können. Ich habe in
"Volkskultur und Gegenwartskunst" weitere Überlegungen dazu
angestellt: [link] Dabei ist die Kategorie Kitsch erwähnt.
Wie komme ich zu solchen Behauptungen? Wir nennen den Tisch
nicht Bank. Wir nennen die Blume nicht Baum. Wir nennen das Haus nicht Straße. Kunstpraxis
ist vor allem auch Symbolarbeit. Ich habe dabei die Freiheit, Stereotypen zu
bedienen oder das Vertraute durchbrechen zu wollen.
Wie schon angedeutet, wenn der öffentliche Raum mit
Exponaten ausgestattet wird, die in ihren visuellen Codes nicht von Gütern aus
dem nächsten Baumarkt zu unterscheiden sind, hat zwar fraglos jemand eine Leistung
erbracht, das gestalterisch und handwerklich zu bewältigen, aber was wir in den Fragen
der Kunst verhandeln, kann sich nicht in Stereotypen erschöpfen.
Muß eine Glaskugel in prächtiger Farbe auf einem
Rosenstock mehr können als einfach schön sein? Nein. Sie darf außerdem als "perfekter
Körper" gelten. Faßt aber traditionelles Handwerk in komplexere Formen, sollte
jene ästhetische Erfahrung zum Zug kommen können, zu der sich Handwerker über tausend
Jahre immer wieder aufgerafft haben. Im Anlaßfall: Leider nein!
Ich darf Ihnen versichern, eine bewährte Kraft aus dem
Bereich der Schaufenstergestaltung hätte hier zu völlig anderen Ergebnisse gefunden.
Spricht nun etwas gegen solche Ausstellungen? Aber nein! Der öffentliche Raum ist ein
prädestinierter Ort für solche Aktivitäten. Es geht mir hier um die Deklaration.
Um einen simplen Referenzpunkt zu bieten: Diese
Bohrmaschine im Freilichtmuseum von Vorau zeigt mehr ästhetische Qualität als so manche
Bastelarbeit, die mir neuerdings als "Kunstwerk" angedient wird. Wie
das kommt? Da folgt nicht bloß die Form der Funktion. Die langjährige Handwerkspraxis
fördert mit der Bewältigung des Materials auch das Gestaltungsvermögen.
In diesen Kompetenzen würde sich dann die Möglichkeit zur
Abstraktion auftun, zum Überschreiten des Vertrauten, des Üblichen, des Althergebrachten.
Wer aber diesen ersten Teil des Kompetenzgewinns ausschlägt und sich gleich Richtung
Abstraktion bewegt, produziert dann eben leicht unbedarfte Arbeiten, denen man ansieht,
daß da etwa keine Ahnung von Anatomie und Proportionen herrscht.
Gut, das könnte bei ausreichendem Talent immer noch zu
bemerkenswerten Arbeiten führen. Oder es ergibt ein Pandämonium unbewältigter Figuren,
denen man eben ansieht, daß sie ganz ohne fruchtbare Stunden in einem Aktzeichenkurs und
überhaupt ganz ohne zeichnerische Übung auskamen.
Da müßte die Empfehlung lauten, man hätte sich besser um
die Unbefangenheit kleiner Kinder bemüht, denen nichts daran liegt, möglichst präzise
abzubilden, was sie sehen. Wir können es ja alle von hausaus, dieses emotionale,
kraftvolle Zeichnen. Man verliert es bloß so leicht. Und dann? Dann begänne die Arbeit,
um sich eine nächste Ausdrucksform zu erschließen...
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