6. Mai 2017 Bei der gestern erwähnten kulturpolitischen Session in
Gleisdorf fragte mich Kulturreferent Alois Reisenhofer an einer Stelle: "Was
würdest Du denn als nächsten Schritt tun?" Ich werde eine genauere Antwort
nicht schuldig bleiben. Als erstes würde ich den Kulturausschuß um eine kleine Erhebung
bitten, die überschaubar macht, welcher Prozentsatz des Gleisdorfer Kulturbudgets durch
fixe Verpflichtungen gebunden ist und welcher Anteil frei zur Disposition steht.
Kulturreferent Alois Reisenhofer
Davon ausgehend müßte die Politik eine neue, eher
grundsätzliche Entscheidung bezüglich der Verwendung des freien Budgetanteils treffen.
Motto: Weg von der Gießkanne! Das Beliebige sollte nicht als förderungswürdig
gelten, für das Besondere möge man aufmerksam bleiben.
Daher die Frage: Wie viel Prozent des frei verfügbaren
Kulturbudgets sollten auch weiterhin unbedingt zur Disposition stehen, um quer durchs Jahr
ankommenden Ansuchen zu bedienen? (Für das Besondere.) Andrerseits, welchen Anteil davon
könnte man für "Neue Schritte" reservieren, binden, der Beliebigkeit
entziehen?
Es wäre Sache des Kulturreferenten, so eine Entscheidung
herbeizuführen, denn das ist ein kulturpolitischer Akt. Nun also einen konkreten
Budgetteil für den "Experimentalbereich Innovation"
reservieren, um Richtung Zukunftsfähigkeit nächste Prozesse einzuleiten. (Gut
denkbar, daß man dazu auch jemanden aus der regionalen Wirtschaft gewinnen kann, um
mitzuziehen.)
Das bedeutet: Weder ist die Kultur da, um
Wirtschaftsvorhaben zu dekorieren, noch ist die Wirtschaft da, um für die Kultur bloß
Geld rüberzurücken. Man könnte gemeinsame Themen, Fragen und Aufgabenstellungen finden.
Das ist Politik, sowas zu initiieren und möglichst uneigennützig zu begleiten.
Cover zur Präsentation des Abends
Mir scheint wichtig zu betonen: Innovation kann nicht
verschrieben oder bloß behauptet, sondern nur gefunden werden; falls die Arbeit
auf dem Weg dahin gelungen ist. Achtung Risiko! Ohne die Bereitschaft zu derlei Risiko
wird aber Innovatives nicht gelingen. Innovation entsteht nicht aus
Sicherheitsbedürfnissen.
Eine Voraussetzung für so ein Experiment läge darin, bei
der Politik erst einmal Konsens darüber sucht, daß nicht alle Vorhaben, die aus
öffentlichen Geldern kofinanziert werden,
a) schnelle Ergebnisse erbringen müssen, welche
b) per Stadtmarketing in der PR-Arbeit verwertbar sind.
Zeitdruck auf dieser Ebene verlockt zu Verfälschung und
Simulation, was augenblicklich verpufft, wenn der Geldfluß abreißt. Sowas bringt immer
nur kurzfristge Effekte. Es braucht vermutlich Mumm, sowas politisch zu vertreten.
Im Ringen um Zunkunftsfähigkeit, zumal um neue
Arbeitsansätze im Kulturbetrieb, sind beispielsweise zwölf bis 18 Monate noch keine
erhebliche Arbeitszeit. (Ein "supa Ergebnis" nach einem halben Jahr ist
extrem unwahrscheinlich.)
Wer nicht daran glauben möchte, daß sich eine seriöse
Arbeit unter solchen Bedingungen politisch vertreten läßt, möge die Finger davon lassen
und sich damit begnügen, das gegenwärtige Dilemma umzudekorieren. (Wer hätte
einst gedacht, daß Hanns Koren gut getan hatte, die Gründung des Forum Stadtpark
zu unterstützen?)
Welches gegenwärtige Dilemma wäre also zu
überwinden? Na jenes, wie gestern beschrieben:
Es braucht immer mehr Einsatz an Ressourcen, um immer weniger Publikum in Gang zu setzen
und darunter am allerwenigsten die Gleisdorfer Bevölkerung, obwohl es rund ums Jahr eh
schon so viel Programmangebot gibt. (Dieses Faktum wurde im Kulturkeller von den
ranghöchsten Politkern der Stadt selbst vorgetragen.)
Dilemma: Wollen immer alle ins Bild,
sieht man nichts mehr
Darüber hinwegzukommen wäre ein Schritt an die Schwelle
einer konsequenten regionalen Wissens- und Kulturarbeit, die von der Kommune
begleitet, aber nicht allein geleistet werden kann. Es müßten also Kulturschaffende
informiert und eingebunden werden. Daß sie derlei freiwillig und aus eigenen Stücken
nicht tun, wissen wir schon.
Es dominieren die Selbstoptimierer, denen das
eigene Vorankommen ein Hauptanliegen bleibt, was die letzten 30 Jahre belegen. Es
gibt in der Region kein einziges Kulturkollektiv, das in diesen Jahren kulturpolitisch
relevante Positionen erarbeitet und wenigstens abschnittsweise mit anderen
Kulturinitiativen fruchtbar kooperiert hätte. Aber es gibt eine Legion Kreativer, denen
das Gießkannenprinzip sehr zupaß kommt.
Dabei wird beiderseits, bei Kunstschaffenden, aber auch bei
Politik wie Verwaltung, das völlig irrelevante Klischee gepflegt, Künstler seien "eben
solche Individualisten", die können dies nicht und das nicht, als wäre da eine
"Sekte der gnadenlos Guten" am Werk, denen diese Gesellschaft
Sonderkonditionen schuldet.
Der Angelpunkt einer kulturpolitischen Neuorientierung
wäre ein klares Bekenntnis gegen die Beliebigkeit. Das meint, die
Kulturförderung der Stadt würde nicht mehr bei beliebig daherkommenden kreativen Werken
aus der Bevölkerung ansetzen. (Dafür müßte die Zivilgesellschaft selbst viel mehr
Verantwortung und Eigenleistung übernehmen.)
Die Politik sollte nach meiner Überzeugung für einige
Bereiche des regionalen Kulturgeschehens relevante Themen anbieten, die nicht alibihaft
abgeschludert werden mögen. Es ist sehr populär, in einer eher mißbräuchlichen
Berufung auf eine "Freiheit der Kunst" Themenstellungen
zurückzuweisen. (Die Kunstgeschichte erzählt da was ganz anderes.)
Zugleich zeigen Politik und Verwaltung oft, daß sie
Themenstellungen nur für die Überschriften in der PR-Arbeit brauchen, leider dahinter
alles und jedes einzubauen bereit sind, was sich thematisch nur irgendwie
hinbiegen läßt. Hauptsache das Programm kommt prall daher... eine mitunter völlig
beliebige und konzeptlose Nummernrevue. (Das schadet übrigens der Kunst am
allermeisten, weil es ihr jeden Boden entzieht.)
Rituale haben sozialen Wert; so
lange sie nicht zu starren Formeln werden
Natürlich kann man sowas machen. Es ist legitim, derlei
Beliebigkeit zu vertreten. Aber es heißt in der Frage der Zukunftsfähigkeit:
alles bloß rausgeschmissenes Geld, weil auf die Art nichts Interessantes entsteht. Es
bewirkt auch kaum Positives am gegenwärtige Dilemma, sondern garantiert bloß:
So lange die Politik genug Geld hinterherschmeißen kann, läuft dieses Programm.
Wer hat gesagt, Politik hieße gestalten? Den
Zufall zu verwalten ist auf jeden Fall kein Ausdruck von Gestaltung. Und ein
Kulturreferent hat eher nicht die Aufgabe, es allen recht zu machen. Ich halte es auch
für eine Illusion, "alle erreichen" zu wollen. Das gelingt dem
Boulevard-Business ganz gut, den folkloristischen Verwertungsanstalten und den Agenturen
der Unterhaltungsindustrie.
Regionale Wissens- und Kulturarbeit kann und soll
damit nicht konkurrieren. Ich meine, sie soll nicht GEGEN die Popularkultur
angehen, sondern ihr etwas von Relevanz und Tiefe GEGENÜBERSTELLEN.
Aber wie kann all das in einem gemeinsamen Arbeitsvorhaben
gebündelt werden? Noch dazu in einer Kleinstadt, womöglich in Dörfern? Themenstellung
und Modus entscheiden!
Das Kulturreferat sollte daher einen Bereich zur
KOLLEKTIVEN KULTURARBEIT einrichten, in dem Ressourcen nur dann verfügbar sind, wenn
dieses Kollektive erprobt und auf konkreten Themenstellungen angewandt wird.
Der Verzicht auf so ein Experiment hieße, nun weiterhin
a) ein Abarbeiten der fixen Bindungen (Forum Kloster, Haus der Musik, Kuturkeller
etc.)
b) plus die Gießkanne in der Beliebigkeit, welche
c) relevante Themen bloß der Simulation zuführt, aber
d) zumindest darstellbar macht, daß man im laufenden Jahr sehr emsig war.
Kleiner Einschub:
Ein Bauer aus Laßnitztal erklärte mir einst den Unterschied zwischen fleißig
und tüchtig. Fleißig ist, wer viel arbeitet. Tüchtig ist der, bei dem auch was
herausschaut.
Welche Themenbindung wäre also für neue Schritte
geeignet? Energie? (Schnarch!) Europa? (Bitte einen Notarzt zur Wiederbelebung.)
Unsere Heimat? (Wo bleibt die nächste Jugendrevolte?) Eine passende Themenstellung
müßte erarbeitet werden, um auf der Höhe der Zeit ein interessantes Zeichen zu setzen.
Das möchte ich hier für niemanden ungefragt erledigen.
Aber seien Sie versichert, ich habe sehr klare Vorstellungen, was es dazu braucht.
Darüber können wir gegebenenfalls ins Gespräch kommen.
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