12. Juni 2016

Die volkstümliche Saurauslasserei hat sich wohlig warm breitgemacht. Sich entrüsten und sich brüsten, das verspricht endlich ein Wonnegefühl ohne Arbeitsaufwand. Da im 20. Jahrhundert noch jedes Massaker mit einem Krieg der Worte begonnen hat, gibt es keinerlei Zweifel am Zustand einer Politik, die es breiten Bevölkerungskreisen vorhüpft, wie man diffamiert, herabwürdigt, Andersdenkende für den nächsten Abschuß zurechtstellt, ohne seine Gründe darlegen zu müssen; einfach nur behaupten.

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Einfach nur behaupten: "Wir sind die Guten"

Ich hab im vorgestrigen Eintrag die Rettung des schweinernen Kulturschnitzels als besonderes Kulturprojekt der Nation hervorgehoben. Weite Kreise, deren regionales Personal ich in den letzten dreißig Jahren bei keiner Kulturveranstaltung gesehen hab, dessen Ansichten und dessen Engagement im Kulturgeschehen dieser Region nicht auffindbar sind, sorgen sich mit Inbrunst um die abendländische Kultur, die Volkskultur und die kulturellen Wurzeln Europas. Ich bin gerührt!

Einschlägig erregte Herzchen nutzen inzwischen ganz gerne die Massenmedien, um ihre Privatmythologie als "Wahrheit" auszuposaunen. Hätten sie Mumm, sie würden zu ihrer "Wahrheit" stehen. Überprüft man ihre Kundmachungen, zeigt sich zuweilen: Nichts dahinter!

Die Erregten äußern sich auffallend oft mit ungebremsten Saurauslassen. Ich hab gestern vor allem auch die wachsende Großmäuligkeit der vaterländischen Kräfte betont. Schwupps, bescherte mir die mittägliche Zeitungslektüre ein anschauliches Beispiel.

Madame hielte es mit dem Schießen. Sie war ja schon Opfer. (Gelogen!) Das mit der Knarre hatte außerdem erst kürzlich ein Politiker beworben: "Lugar besorgt sich wegen Asylkrise eine Glock" [Quelle]

Wer vom Waffengebrauch eine fundierte Ahnung hat, wird uns jederzeit abraten, denn wenn eine ungeübte Person etwa einen Profi-Einbrecher stellt und eine Waffe zieht, steigt das Risiko einer tödlichen Eskalation ins Unermeßliche; und zwar zu Lasten des wehrwilligen Laien. Dieses dümmliche Gefuchtel von Lugar verschweigt ein Faktum, für das sie aus vermutlich allen

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Kleine Zeitung, 11.6.16

Polizeikreisen Europas Bestätigung erhalten werden. Gerade der Einbruch ist in hohem Maße das Geschäft von Profiverbrechern. Rüsten die Privatpersonen auf, dann rüsten auch die Verbecher auf. "Eine Luger für Lugar!" taugt praktisch nichts, um die anstehenden Probleme zu lösen, hebt aber dafür das Todesrisiko für brave Bürger erheblich an. Wie ich einen Profi sagen hörte: "Kaufst du dir eine Schrotflinte, komme ich mit einer Maschinenpistole."

Was nun die Dame vor Richter Lichtenberg angeht, sie reiht sich in das Theater der Blödheit ein, lügt eine persönliche Gefährdung daher (zwei mal eingebrochen), propagiert eine Kur, an der sie selbst sterben könnte (Faustfeuerwaffe kaufen), behauptet Quick Draw-Kompetenzen plus Treffsicheheit (diesmal fackle ich nicht lange) und macht sich mit angeblicher Courage wichtig ("die Strafe nehme ich gerne in Kauf"), während ihr Mumm nicht einmal reicht, um vor dem Richter zu ihren Ansichten zu stehen: "Das heißt nicht, dass ich etwas gegen Flüchtlinge habe."

Das ist vor allem Wichtigtuerei, die sich Opinion Leaders andient, von denen wir bestätigt erhalten, daß solche Kerl-Nummern, dieses Gehen und Reden mit geschwollenen Eiern, einen Nutzen hätte, wo wir vor allem von unermeßlichem Schaden wissen. (Lassen wir hier die Tatsache beiseite, daß selbst legitimierte Schützen von Todesschüssen nachhaltig traumatisiert werden.)

Was reale Schießwütige sind, das handelt von einem Gemütszustand, den die Amerikaner trigger-happy nennen. Man könnte es mit abzugs- oder schußgeil übersetzen. Wer das in sich walten läßt, taugt beispielsweise nicht zum professionellen Soldaten und würde auch als Polizist von der Behörde abgelehnt.

Im Eintrag vom 28. Mai hab ich jüngst den "Schnitzelkrieg" als einen Kulturkampf mit der Waffe in der Hand thematisiert. Aussagen wie " Ich sehe keinen Ausweg mehr, als aufzustehen und zu kämpfen!" halte ich zwar für pure Angeberi, doch man weiß ja nie, wozu sich ein nach Bedeutung verzehrender Mensch hinreißen läßt.

Europa hat als Heimat mehrerer Kolonialreiche die ganze Welt Jahrhunderte lang ausgeplündert und Menschen versklavt, ermordet, um sich zu bereichern. Nun bekommen wir dafür offenbar von der Welt eine Rechnung präsentiert.

Wie belustigend, daß nun vorwiegend verwöhnte Wohlstandskinder sich einreden, sie könnten diesem Problem mit Waffengängen begegnen.

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Gunnar Heinson in
Der Standard, 11.6.16

Während wir dringend gefordert sind, soziale, kulturelle und politische Lösungsansätze zu finden, die zu suchen wir wenigstens zwei Jahrzehnte auf fahrlässige Art versäumt haben, träumen unsere Imbißbuden- und Bierstuben-Guerilleros vom satten Klang gut geölter Gewehrverschlüsse.

Ich schätze Wissenschafter Gunnar Heinsohn seit Jahren für seine Arbeit und seine Anregungen. Er bietet im Wochenend-Standard einige Zahlen, die uns helfen sollten, dieses pausbäckig vorgebrachte Säbelrasseln zu überdenken.

Über Österreich und Deutschland schreibt Heinsohn:
"Auf 1000 rentennahe Männer zwischen 55 und 59 Jahren folgen also lediglich 800 bzw. 660 Jünglinge zwischen 15 und 19 Jahren, die etwas werden wollen. In Pakistan und Syrien aber sind es 3600, in Gaza 6200 und in Afghanistan 6400, die um nur 1000 Positionen kämpfen." [Quelle]

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Seit tausend Jahren kennen wir das Problem mit den überzähligen Zweit-, Dritt- und Viertgeborenen, die vor Ort nichts werden können. Von Heinsohn stammt übrigens die Behauptung: "Um Brot wird gebettelt, um Position aber geschossen."

Ich möchte es für die vaterländischen Waffenträger hier so herausstreichen, daß man es vielleicht versteht. Auf 1.000 "rentennahe Männer" kommen in Österreich 600 Jünglinge zwischen 15 und 19 Jahren, die etwas werden wollen, bleiben also 400 Position noch verfügbar.

Diese Youngster müssen um ihre Zukunft hier nicht schießen, außer die Politik versaut noch weiter die Bedingungen für Bildung und Ausbildung.

In Pakistan und Syrien kommen auf 1.000 rentennahe Männer 3.600 Jünglinge, die etwas werden wollen, in Gaza 6.200, in Afghanistan 6.400 Youngsters, die um nur 1.000 Positionen kämpfen; Afrika noch gar nicht eingerechnet. Zum Beispiel Uganda 6.900 und Sambia 7.000 Jünglinge auf 1.000 verfügbare Positionen.

Und die möchten unsere zu wenigen Mannsbilder a) mit Waffengewalt hinter Zäunen draußen halten, plus b) zuhause den laufenden Betrieb aufrecht erhalten? Wie stellt ihr vaterländischen Herzchen euch das in der Praxis vor? Wie soll denn das gehen? Kann mir das jemand nachvollziehbar darlegen? Da haben wir nicht über Waffengänge nachzudenken, sondern -- wie schon erwähnt -- über soziale, kulturelle und politische Lösungen.

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