28. Mai 2016

Mein Sohn ist Arbeiter. Betriebselektriker. Als dieses lange Wochenende anbrach, kam er gerade von Ungarn zurück, wo er für Siemens Komponenten eines Gaskraftwerkes verkabelt hat. Er ein Hackler, ich ein Intellektueller. Wir müssen beide zu komplexem Denken in der Lage sein, um unsere Arbeit gut zu machen. Er leidet gleich wie ich, wenn eine Tätigkeit zu eintönig ausfällt.

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Mein Sohn ist im ersten Drittel seines Lebens, ich im letzten. Wenn er mein heutiges Alter erreicht, wird er in einer Welt leben, die ich nicht kenne. Dann wird sich die Vierte Industrielle Revolution weitgehend vollzogen haben, was unsere derzeitige Arbeitswelt weitgehend ins Museum rückt.

Massenbeschäftigung wird sehr wahrscheinlich Vergangenheit sein, weil automatisierte Systeme in Fabriken und in vielen Dienstleistungsbereichen den Menschen Arbeit abnehmen. Es wird vermutlich auf einen ähnlichen Schock hinauslaufen, wie ihn einst die schlesischen Weber erfuhren, als ihnen Maschinen die Jobs nahmen.

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Wir wissen seit damals, daß Maschinenstürmerei solche Prozesse weder stoppt, noch bremst. Es sollten also längst ganze Gesellschaften miteinander erörtern, wie wir dieser neuen technischen Revolution, die schon läuft, begegnen möchten, um sozialen Frieden sichern zu können.

Aber das geschieht nicht. Es wird aller Voraussicht nach maximal 30 Jahre dauern, um in diesen nächsten Verhältnissen zu sein, doch die "Altparteien" lassen sich von vaterländischen Kräften vor sich hertreiben. Das Hauptthema des jüngsten Wahlkampfes um das Amt des Bundespräsidenten Österreichs war... Flüchtlinge und Muslime.

Ich hatte jüngst einige Debatten zu führen. In einer davon tat sich mein Gegenüber mit einer atemberaubenden Demokratie-Deutung hervor: "Nicht VDB ist der Präsident, denn die eigentliche Präsidentenwahl wurde im 1. Wahlgang ausgefochten."

Der Mann, ein Arbeiter wie mein Sohn, ist von folgernder Überzeugung ausgegangen: "Ob manipuliert wurde oder nicht, die Heimat wurde verkauft. Ich sehe keinen Ausweg mehr, als aufzustehen und zu kämpfen! Aber gegen wen?! Gegen das eigene Volk?"

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Ich weiß natürlich, daß das hauptsächlich POSE ist. Sie dürfen mir sofort einen Finger meiner Wahl abhacken, wenn dieser Mann aufsteht, um -- wie einst der Arbeiter Kolo Wallisch --  auch nur für irgendwas zu kämpfen, was ihn sein Leben kosten könnte.

Der warnende Rufer hat mir im Laufe unserer Erörterung gezeigt, aus welchen Quellen er sein Wissen schöpft, denn einer seiner Weckrufe lautet: "Haus und Hof allerdings muss verteidigt werden, genau darum muss sich jeder rüsten. Die Glocken der Warnung erklangen all zu oft."

Wovor war denn zu warnen? Er schrieb: "Fürchtet euch, aber bleibt stark, denn nur so werden eure Enkel und deren Kinder eines Tages friedlich bei einem Schweineschnitzel zusammensitzen können."

Also ein "Schnitzelkrieg". Ein Kulturkampf, den er mit der Waffe in der Hand führen möche? Das glaube, wer will, ich halte es für pure Sprücheklopferei. Solche Sprücheklopferei hat allerdings das Zeug, unter manchen Bedingungen Waffenträger zu Verbechen zu ermutigen. So viel wissen wir aus dem 20. Jahrhundert verläßlich.

Seinen Befund leitete der Mann hauptsächlich aus der Lektüre eines Reclam-Heftes ab. Ich fragte ihn nach den Quellen seiner Einschätzungen und Sorgen: "Die quelle ist wie bereits gesagt, der Koran. Daher würde ich ihnen wirklich raten, diesen zu lesen."

Ich fragte: "sehr gut! und diese quelle belegt zur gegenwart genau... WAS?"

Die Antwort: "Dass fromme Muslime in unser Lamd schleichen und den Befehl erwarten. Also wie gesagt, wer ihn gelesen hat, ist klar im Vorteil. Ich fand den Koran äußerst aufschlussreich und interessant. Klar ist es ein uraltes Buch. Aber wenn diese Menschen ihr Leben danach aufbauen, ist es immer noch aktuell."

So einfach geht das. Ein gelbes Heftchen von der Größe einer Postkarte bedeckt die Themen, denen sich ein Arbeiter stellen sollte. Ich traf kürzlich einen engen Freund meines Sohnes beim Einkaufen und wir sprachen über den Lauf der Dinge.

Franzi sagt, was Gabriel kennt, was die jungen Hackler alle erleben: "Ich bin jetzt Anfang zwanzig, soll zehn Jahre Arbeitserfahrung mitbringen und ich soll nichts kosten." Das überdies für eine Verleihfirma, denn kaum eine Fabrik stellt junge Leute direkt an.

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Davon redet mir der Koran-Exeget nichts, auch nicht von der Vierten Industriellen Revolution, die innerhalb seiner Lebenszeit vermutlich ein Drittel aller Jobs fressen wird, womöglich noch mehr.

Er redet mir ferner nichts von der Bildungsreform, die nun wie lange im Gespräch ist, aber nicht kommt? Und wo bleibt die Verwaltungsreform, wo die Pensionsreform, denn hier wie dort wird Volksvermögen abgefackelt.

Wollte jemand nach der Koran-Lektüre vielleicht auch den Internationalen Korruptionsindex durchsehen? Österreich ist nämlich nicht bloß ein Steuerparadies, wo wohlhabende Menschen das Gemeinwesen beklauen, indem sie Abgaben hinterziehen, Geld waschen etc., wir sehen einem weiteren Verbrennen von Volksvermögen hilflos zu, weil bei uns die Korruption blüht, die Politik dazu nicht in die Gänge kommt; siehe: [link]

Wollte also der Arbeiter, mit dem ich diese Debatte führte, wirklich aufstehen und kämpfen, wären all das lohnende Themen, während Muslime eine vergleichsweise unerhebliche Problemquelle ausmachen, wenn wir alle diese Probleme in einen Korb tun, um unsere Aufgaben zu klären.

Aber so machen wir das nicht. Gestern erst bekam ich Post von einer sehr gebildeten Dame, die Strache schätzt und Marine Le Pen offenbar verehrt: "Ich hoere gerade, dass der Staat Das Objekt 'Hitlers Geburtshaus' enteignen will. Tja. Soweit ich weiß ist das Haus in privaten Haenden seit Generationen. Wenn da mal nicht das Arschloch von Van der Bellen seine Dreckshaende drinne hat."

Das sind völlig irrationale Ausritte, die keinem Reality Check standhalten. Ich werde Ihnen meine Mutmaßung darlegen, warum sich sowas ereignet, egal auf welchem Bildungsniveau.

Diese irrationalen Modi, Autor Josef Haslinger nannte das "Politik der Gefühle", sind Ersatzhandlungen von Menschen, die handeln möchten, sich aber unseren realen Problemen von Rang nicht gewachsen sehen.

Ich betone: Reale Probleme von Rang. Es geht da zur Zeit ja sehr um die Frage nach Prioritäten. Der raffinierte und der simple Verstand bevorzugen eventuell gleichermaßen eine Konzentration auf "Die Muslime", anstatt sich den Mühen zu unterziehen, die sich aus den oben skizzierten Problemlagen ableiten, von denen etliche der großen Problemlagenhausgemacht sind, also mit Flüchtlingen und mit Muslimen absolut nichts zu tun haben.

Wer also kämpfen möchte, um unseren Enkeln ein gutes Leben zu sichern, muß wohl kaum um das sonntägliche Schweinsschnitzel ringen. Aber Courage kann man eben nicht kaufen.

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