16. Jänner 2016 Sagt Ihnen Pachinko etwas? Das ist ein Spiel, in dem Stahkugeln, der
Schwerkraft folgend, durch ein Labyrinth von Stiften und Löchern rollen, an den Stiften
da hin und dort hin ihre Bahn ändern, teilweise in den Löchern verschwinden, teilweise
besondere Positionen erreichen.
Die Ginza, ein Vergnügungsviertel in
Tokyo, ist voll von Pachinko-Hallen. Ich halte solche Maschinchen für eine
nützliche Metapher, wenn man verstehen möchte, was Hypertext im Kern ist. Die
Kugeln sind dabei die Blicke.
PACHINKO-KUGELN (Foto: Michael
Maggs, Creative Commons)
Diese Anordnung unzähliger absehbaren
Verzweigungen (das Labyrinth von Stiften), dazu die Löcher, die zu nicht sichtbaren
Momenten führen, wo man in manchen verlorengeht, in anderen zu erfreulichen
Überraschungen findet, das sind grundlegende Optionen von Hypertext.
Wie schan angedeutet, Hypertext ist
ein Docuverse digitalisierter Inhalte, wo ich in Texten und Bildern Links
setzen kann, die zu anderen Dokumenten verzweigen. Daß ich im Eintrag von vorgestern dieses Thema Hypertext angeschnitten
habe, hängt ein wenig mit aktuellen Weichenstellungen in unserer Kultur- und
Wissensarbeit zusammen.
Ich habe erzählt, daß mir im vergangenen
Jahr von Kulturschaffenden vorgehalten wurde, man könne meinem Publizieren im Web nicht
folgen, zu viel Text, zu viele Links, zu hohe Komplexität.
Ich hab solche Vorhaltungen auch schriftlich
zugestellt bekommen, was mich immer noch erstaunt. Wie können ausgerechnet
Kulturschaffende auf die Art Evidenz darüber herstellen, daß sie der medialen Gegenwart
nicht einmal annähernd gewachsen sind und das Geschehen gerne auf die Zeit vor dem WWW
zurückstellen würden?
Manchen muß ich auch heute noch WWW
erläutern. Das World Wide Web ist einer von mehreren Diensten im Internet, im Netz
der Netze. Wir hatten das Kürzel einst mit WeltWeites Warten übersetzt,
weil Netzzugänge via Modems und Telefonanschlüsse mitunter sehr zeitraubend waren.
PACHINKO-HALLE (Foto: Michael Maggs,
Creative Commons)
Es gab seit der Jahrtausendwende viele
hübsche Spekulationen über die Demokratisierung der Kommunikation innerhalb einer
Gesellschaft, über das Erblühen kreativer Potentiale und die Phantasie, daß wir nun
alle selbst Autorinnen und Autoren werden würden, quasi eine kulturelle
Selbstermächtigung vollzögen wie nie zuvor.
So kam es ja nicht und wenigstens Facebook
zeigt uns, daß wie ersten eine weltweite Geschwätzigkeit kennenlernen durften, zweitens
weltweite Abschätzigkeit. Wir stecken in einem Ozean dümmlicher Memes, die uns
entweder ein echtes Paulo Coelho-Zitat oder eine falschen Kafka andienen, mindestens aber
so völlig leere Bedeutungs-Simulationen aufdrängen wie: "Verändere Dich nicht
um anderen Menschen zu gefallen. Sei lieber Du selbst und die richtigen Menschen werden
Dich lieben wie Du bist."
Derlei Empfehlungen zu völlig unsozialen
Konzepten plus tatenlosem Gottvertrauen, in denen dann sowas wie Selbstverantwortung gar
keine Funktion mehr findet, sind derzeit offenbar ein Hauptereignis webgestützter
Kommunikation.
In unserem alten Literaturprojekt findet man
eine bemerkenswerte Feststellung des Literaturwissenschafters Klaus Zeyringer vom
11.1.2000, die als Anregung sehr gut zu aktuellen Fragestellungen paßt:
"Und
auch das Setzen auf kollektivere, fragementarische Diskursformen halt ich für einen
Schmäh unseres Diskurses (in dem, über die Avantgarde-Schule, aus der wir kommen, das
Fragementarische automatisch als das Gute firmiert) und unserer Sozialisation, die uns das
Demokratische versprechen möchte...
Und, das wäre weiterzudenken, gerade das Demokratische, das ja in der großen Erzählung
Kapitalismus dauernd vorgezeigt, aber nicht zugelassen werden darf, wurde auf die
ungefährliche Ebene der Intellektualität und der Kunst verschoben." [Quelle]
Meine Replik lautet übrigens tags darauf: "was
ich hier im web mache, könnte man eigentlich auch mit insektensammeln vergleichen. ich
schnapp mir, was mir gefällt." Das scheint mir mit der Pachinko-Metapher
rcht kompatibel.
Ich hab vorgestern in diesen Zusammenhängen
das Festival steirischer herbst erwähnt. Wir haben 1997 im Rahmen von
"Inter-City-Text" solche Zusammenhänge debattiert. Das liegt also fast
zwei Jahrzehnte zurück. Zwei
Jahrzehnte.
Diesen Zeitraum nennen viele sachkundige Leute in der
Diskussion über unsere Wege in die Vierte Industrielle Revolution als jene
Zeitspanne, nach der wir eine nächste Schwelle erreicht haben werden, hinter der
Automatisierung und umfassende Vernetzung unsere Arbeitswelt so radikal verändern wird,
daß wir die meisten Bereiche davon nicht wiedererkennen werden.
Um uns als gesamte Gesellschaft mit dem Umbruch zu Industrie
4.0 vertraut zu machen, bleibt uns womöglich gerade so viel Zeit, wie wir hatten, um
uns mit Hypertext vertraut zu machen. Das sieht jetzt leider etwas schlecht aus. |
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Ich finde derzeit auch nicht,
wie und wo die Kulturpolitik wenigstens eine Nische für solche Themen aufmachen würde.
Ich sehe erfahrene Kunst- und Kulturschaffende, die derzeit vor allem mit der
Selbstmusealisierung befaßt sind. Und dann?
Meine Zunge kann längst -- ohne den Verstand
wecken zu müssen -- sagen, was mir in letzter Zeit so oft über die Lippen kommt: Es
ist eben, wie es ist. Bleibt einem ja stets die Freiheit, andere Schritte zu setzen.
Wir haben uns in der Verknüpfung von Kunst,
Wirtschaft und Wissenschaft um einen Brückenschlag bemüht, der uns die
verschiedenen Genres in einer Zusammenschau betrachten läßt: Die Ehre des Handwerks,
das Gewicht der Kunst, der Geist in der Maschine.
Dabei mag einem dämmern, daß Abstraktion und
die menschliche Fähigkeit dazu in jedem Segment wichtig Rollen spielt. Das gilt
weitgehend nicht bloß für die letzten zweihundert Jahre, die wir uns in einer
permanenten technischen Revolution befinden.
Auf regionaler Ebene bringe ich das derzeit
mit Das KulturGeviert auf die Ebene unserer Tatsachen: [link] Es wird zu klären sein, in
welchem Maß hier eine disziplin- und milieu-übergreifende Arbeit längerfristig möglich
ist.
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