14. Jänner 2016 Dieses Logbuch hat so seine Konjunkturen in den Themenstellungen. In
vergangenen Tagen, als "Schreiben im Netz" zum Thema wurde, ist es in
meinem eigenen Umfeld meist bei linearem Text geblieben. Hypertext war als Thema
und Praxis nur bei den Nerds im Fokus.
Ich hab gerade die Suchmaschine angeworfen,
was mir sentimental gefärbte Beute aus dem Jahr 1999 lieferte: "Oberflächlichkeit
und Tiefenrausch" (Die Gegenwart in Hypertext und Hypermedia). So ernsthaft
konnte ich damals um Positionen ringen, um Standortbestimmungen. Da hieß es etwa:
"Das
heißt auch, daß die Rezeption den Zeitpfeil einer linearen Erzählung (von vorne nach
hinten, oder von hinten nach vorne, oder mit beliebigen Sprüngen auf dieser Linie)
jederzeit ignorieren kann. Es steht einem frei, über die vorhandenen Verknüpfungen
(Links) in einer Serie endloser Bifurkationen die verfügbare Erzählung tausendfach neu
zu lesen." [Quelle]
Autor Walter Grond hatte in unserer damaligen
Korrespondenz zum Projekt [house] notiert: "...der Hypertext ist demnach
ein Gebilde, das den Prozess einer Entscheidungsfindung schließt und zugleich wieder
öffnet." [Quelle]
VON LINKS: KRUSCHE, ZEYRINGER UND
GROND
Literaturwissenschafter Klaus Zeyringer meinte
anschließend unter anderem: "Die große Erzählung 'Aufklärung' schwimmt gerade
den langen Erzählfluß hinunter, während andere Erzählungen daherrudern, oder über
alles herfallen, oder uns was vorplätschern - und vielleicht kommt auch der Erzählfluß
der Aufklärung über den Wasserkreislauf wieder daher: " [Quelle]
Grond hatte sich auf diesem Weg zu einer
Textsammlung mit dem Titel "Der Erzähler und der Cyberspace"
aufgerafft. Darin fand ich eben einen bemerkenswertes Blatt: "18) Dzevad
Karahasan: Wer erzählt den Islam?" Darin heißt es an einer Stelle:
"Draußen
tobt der Krieg, über alle Zeiten, in Sarajewo, in Istanbul, in Uruk. Was die Liebenden,
die ausdrücklich die Zeugung von Nachkommenschaft verweigern, tun, ist dem Reich des
Verbotenen zuzuschreiben. Sie zeichnen Fluchtlinien, betreiben Selbsterkenntnis, die sich
der Logik der Kriegsmaschinerie verweigert, diese bezeugt, aber auf Distanz weist,
sozusagen nicht füttert." [Quelle]
Sechzehn Jahre danach bringt mich diese
Passage so sehr ins Grübeln, als wäre sie eben erst verfaßt worden. Ist das unsere
Arbeit als Kulturschaffende? Zum Beispiel Gedächtnis zu sein? Ist das den Menschen nicht
manchmal so verhaßt, daß es etwa Dzevad Karahasan damals auf eine Todesliste gebracht
hatte?
KLAUS ZEYRINGER (LINKS) UND DZEVAD
KARAHASAN
Serbische Kräfte hatten begonnen, die
bosniakische Intelligenz auszurotten. Im Jänner 2010 verwies ich hier auf diese ältere
Arbeit, 660 Blätter vor diesem hier, so wiederum meine kleine Zahlenmystik: [link] Es war gerade Schnee gefallen.
Dort auch die Hinweise auf Heiko Idensen, den
ich 1997 beim steirischen herbst kennengelernt hatte, und auf die Dissertation
von Andrea Ghoneim: "Literarische Publikationsformen im World Wide Web"
(Veränderungen in Produktion, Publikation und Vermittlung von Literatur) im Web als PDF
(ca. 6 MB) verfügbar: [link]
Von links: Heiko Idensen
("Hyperdis"), Ralf B. Korte ("perspektive", Berlin),
Martin Krusche, Gerhard Fuchs ("Nabl-Institut", Graz)
Also Hypertext. Dies hier ist
Hypertext, was vor allem bedeutet, ich kann an jeder Stelle im Text einen Verweis auf ein
anderes Dokument setzen, einen Link. Was digitalisierbar ist, eignet sich für solche
Verweise.
Damit möchte ich auch deponieren, daß wir
vor rund eineinhalb Jahrzehnten Erzähllweisen erprobt und eingeführt haben, die sich
nicht mit dem decken, was Bücher sind.
Ich habe in den letzten Jahren mehrfach
erlebt, wie sich Menschen (auch aus dem Kulturbereich) dagegen sträuben, es sogar
denunzieren. Man könne all das nicht lesen, den unzähligen Links nicht folgen, das sei
so unübersichtlich, nicht mehr nachvollziehbar etc. etc.
Man kann freilich den Uhren böse sein, daß
sie nicht stehengeblieben sind. Und meine verblichene Mutter hat schon in während meiner
Kindertage beklagt, man könne etwa "Die Russen" nicht lesen, das seien
so dicke Bücher und so viele Namen, die darin vorkämen...
-- [In der Ebene] -- |