3. Dezember 2015

Unser 2015er Kunstsymposion, das heuer sehr prozeßhaft angelegt war und inzwischen geendet hat, ist in einer Reihe aktueller Fragestellungen aufgegangen. Dazu gehört im Hintergrund sehr wesentlich, wie wir aktuellen Umbrüchen begegnen. Die Stichworte Flüchtlinge und Asylanten sind inzwischen fixes Dekor des Alltags.

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Mich interessiert bei all dem vorerst: Wofür übernehmen wir denn selbst die Verantwortung? Wozu fühlen wir uns in der Lage? Was ist denn der Stand der Dinge? Können wir das klären?

Dazu gehört beispielsweise die Frage, ob wir in der Lage und auch willens sind, zwischen Zuwanderung und Menschen auf der Flucht zu unterscheiden? Ich meine damit den Unterschied zwischen jenen, die bloß durchgehen und jenen die bleiben wollen.

So oder so sollten wir über die Alltagsbewältigung in der Koexistenz nachdenken. Können wir dabei auch deutlich machen, welchen konkreten Bedarf an Zuwanderung wir haben, da Österreichs Gesellschaft recht zügig überaltert? Wo kann ich derzeit nachlesen, nach welchen Kriterien wir Zuwanderung wünschen?

Anders ausgedrückt: Wen brauchen wir? Und was meint "wir"?

Dieses Wir meint das österreichische Staatsvolk, also jene, die über eine Staatsbürgerschaft verfügen. Das deckt sich nicht ganz mit menschlicher Gemeinschaft, also dem Wir der Menschen, wie es zum Beispiel die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ausdrückt.

Ich betone: Koexistenz.

Da ist auch meine eigene Erfahrung mit den autochthonen Leuten, also den "Eingeborenen". Da ist nicht "eine Kultur", in die man "integriert" werden könnte. Unsere Kultur? Unsere Identität? All das handelt von einer Koexistenz höchst unterschiedlicher Weltanschauungen und Lebenskonzepte; eben diese, nicht einzelne Menschen, wollen in einer pluralistischen Gesellschaft integriert werden.

Im Klartext: Nicht das einzelne Individuum wird in eine bestimmte Kultur integriert, sondern Kultur im heutigen Sinn einer zeitgemäßen Demokratie integriert ganz verschiedene, auch einander widersprechende Weltanschauungen, Lebenskonzepte, Praxen der Alltagsbewältigung, um so eine pluralistische Gesellschaft zu ergeben.

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Wer demnach unter "Wir" ein "Alle, die so sind wie ich" versteht, hat unsere Republik nicht verstanden, meint die Familie, den Clan, den Stamm. Das sind soziale Konzepte der Vergangenheit, während wir eine Massengesellschaft leben, die gerade in ihre vierte industrielle Revolution geht und deren Ökonomie eine globale ist.

Da müssen mir die vaterländischen Schreihälse erst einmal genauer erklären, wovon sie eigentlich reden, wenn sie diese Themen anschneiden.

Ich hab kürzlich in der Reflexion der Arbeitsergebnisse unseres heurigen Kunstsymposions [link] zu erwähnen gehabt, daß Österreich es geschafft hat, in Fragen seiner Wettbewerbsfähigkeit durch "nachlassende Produktivität und Bürokratismus" seit 2010 von Platz 14 auf Platz 26 abzurutschen; so das jüngste Ranking des Schweizer Institutes IMD; siehe: [link]

Bei der Gelegenheit war auch anzumerken, daß Österreichs überaus teures Bildungssystem uns derzeit möglicherweise mit rund einer Million von Analphabeten leben läßt. 2013 hieß es im profil: "Analphabetismus: Eine Million kann kaum lesen und schreiben" [Quelle]

Zu den Gründen teilt das Forum Gesundheit mit: "Warum Menschen Analphabeten sind, hängt mit individuellen, familiären, schulischen und gesellschaftlichen Faktoren zusammen und hat nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun..." [Quelle]

Der Büchereiverband Österreichs präzisiert: "17,1 Prozent der 16- bis 65-Jährigen in Österreich, also fast eine Million Menschen, verfügen über nur niedrige Lesekompetenz und sind dadurch mit möglichen Benachteiligungen im Beruf und Alltag konfrontiert." [Quelle]

Und das in Zeiten, wo es kaum noch Blue Collar-Jobs gibt, in denen man mit so geringem Bildungslevel seinen Lebensunterhalt verdienen könnte, während in Fabrikshallen und an übrigens Arbeitsplätzen immer mehr Wissensarbeit gefordert ist.

Das heißt, wir haben als Gesellschaft eine Spaltung dieser Gesellschaft zugelassen. Bei einem Staatsvolk von rund 8,6 Millionen ist allein schon der Anteil nicht Lesekundiger horrend, eine bittere Schande; und zwar derer, die lesen und schreiben können. Einen so großen Teil dieser Gesellschaft in dieser zentralen Anforderungen hinter sich zu lassen, daß kann mir ja gar niemand plausibel erklären.

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Klar, daß dann andere schuld sein müssen. Klar, daß beispielsweise gegen die Elenden dieser Welt getrommelt und gepfiffen wird, wenn es ein paar wenige von ihnen bis zu uns geschafft haben. Was ihnen teilweise an Haß entgegenschlägt, ereignet sich jenseits aller Vernunft und hat auch kriminelle Dimensionen.

Im Eintrag vom 30.11.15 hab ich notiert, was der Verfassungsschutz feststellen mußte: "Die Zahl der rechtsextremen, fremdenfeindlich und rassistisch motivierten Straftaten hat sich in den ersten drei Quartalen des Jahres verfünffacht."

Dem steht gegenüber, was etwa Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, kürzlich mitteilte: "Was wir aber sehen, ist dass ein bestimmtes Feld von Kriminalität steigt. Das ist nicht die Kriminalität von Flüchtlingen, sondern die Kriminalität gegen Flüchtlinge." [Quelle]

Entgegen der Behauptungen rechter Kreise sagt er überdies "Wir haben insgesamt in Österreich eine sinkende Kriminalitätsrate. Wir sehen hier gerade auch jetzt, angesichts von steigenden Asylantragszahlen keinerlei Erhöhung der Kriminalitätsrate."

Hier etabliert sich eine Kultur der Schande, die sich mit der angeblichen Verteidigung "abendländischer Werte" bemäntelt. Aber vielleicht ist genau das eine unserer Wahrheiten; dieses heuchlerische Konzept, sich selbst zum Opfer zu stilisieren, wo man andere mißbraucht.

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