7. August 2014 Ich hab
im gestrigen Eintrag von meiner ersten Ausfahrt mit dem Austro-Daimler
erzählt und von meinem Faible für dichtes Durcheinander auf der symbolischen Ebene.
Alles hat eine Bedeutung, nichts ist egal. Ständig schwimme, treibe und wühle ich in
dieser Fülle.
Menschen, die sich daran stoßen, sind mir oft ein
Ärgernis. Es gehen mir diese Zurufe zur Mäßigung auf die Nerven, diese Appelle zur
Komplexitätsreduktion. Ich will es so, so überbordend, endlos, einen Gedanken an das
nächste Bild knüpfend, woraus wieder Bilder und Gedanken entstehen.
Meine heutige Runde ließ mir das Gestrampel noch nicht
leichter werden, bescherte mir dafür ein brüllendes Beispiel für ästhetisches Karaoke.
Es gibt keinen einzigen guten Grund, sich heutzutage eine Hausfassade mit einem so
schlecht gemalten Bild, mit so einem unerheblichen Motiv dekorieren zu lassen.
Aber es gibt ein paar schlechte Gründe. Der reüssierte
Kleinbürger weiß natürlich, oder ahnt wenigstens, daß Besitz, zumal ein stattlicher
Hausbesitz, nach Repräsentation verlangte. Der Fürst mußte sich genug Mehrwert
anschaffen, mußte entweder selbst erlesenen Geschmack entwickeln oder Leute mit erlesenem
Geschmack engagieren können, um relevante Werke einzukaufen.
Das ist ganz einleuchtend, mindestens, weil du jemanden,
der schon einen Ferrari und einen Bentley hat, nicht mit zwei Ferraris beeindrucken
kannst. Man muß also... genau! Auf die symbolische Ebene wechseln, um sein Gewicht
anderen gegenüber betonen zu können. Demonstratives Verbrennen von Geld, indem man
Luxusgüter anhäuft, genügt alleine nicht.
Der Spießer der Gegenwart kürzt jedoch leider ab.
Stattliches Haus, ja. Markantes Werk, ja. Inhalt? Formale Qualitäten? Haben wir nicht.
Kriegen wir nicht. Kann also nicht so wichtig sein.
Damit wir uns recht verstehen: Hätten "einfache
Leute" a priori schlechten Geschmack, wäre die einstige Volkskultur, also das, was
abseits höfischer, später bürgerlicher Kultur erblühte, ein einziges Meer
ästhetischer Grausamkeiten.
So war es aber nicht. Ganz im Gegenteil! Geschmacksbildung
kommt aus ästhetischer Erfahrung, das ist Wahrnehmungserfahrung. Die war Leuten ohne
"höhere Bildung" natürlich ebenso verfügbar und entsprechend interessant sind
die Arbeiten der Kreativen unter ihnen.
Das offensichtliche Malheur sind Leute, die solche
Ergebnisse imitieren, ohne irgendeinen nennenswerten Erfahrungsprozeß zu haben, aus dem
ihnen dieser oder jener Geschmack erwachsen wäre. Selbst der "billige
Geschmack", wenn er sich etwa in Kitsch, in Trash ausdrückt, kann erhebliche
Qualitäten haben oder auch gar keine.
Apropos Volkskultur! "Busenwunder" Pamela
Anderson als Imagefaktor in der Werbung für Trachtenmode, die sich aller ursprünglichen
Bindungen entledigt hat, das ist ja auch ein kurioser Aspekt. Es führt uns die Ambivalenz
dieses Genres vor Augen.
Wieso soll "echte Volkskultur" sein, was genau
nicht mehr aus der breiten Bevölkerung kommt, sondern von einer formell gebildeten
Minorität als "Volkskultur" ausgewiesen und mit aller verfügbaren
Definitionshoheit gegen andere Phänomene abgegrenzt wird?
Das ist natürlich Mumpitz, über dessen Merkwürdigkeit
sich altgediente "Kulturschützer" selbst leider keine brauchbare Rechenschaft
ablegen. Was also ist nun was?
Man darf mich beneiden. Gestern war nicht nur der Tag der
ersten Ausfahrt mit dem Austro-Daimler Alpina, das genau genommen ein Puch
Mistral im "Rebadging" für die USA ist. Abends traf ich Friedrich
Spekner, den Mann, der dieses Rad gestaltet hat.
Das kündet überdies von einem meiner Lieblingsmotive. Der
Handwerker, der aus sich etwas anderes macht. Spekner war erst Wekzeugmacher. Aus privater
Passion belegte er Fernkurse in exotischen Disziplinen wie "Pressezeichnen". Das
brachte ihn schließlich an Bord der "Katalogabteilung" in der Steyr-Daimler-Puch
AG, die bei uns in der Steiermark immer eher Puchwerk hieß.
Schließlich reüssierte Spekner als Designer, wurde Leiter
der ersten Designabteilung des Betriebs. Unmittelbarer Anlaß dazu war das Moped Puch
Monza. Hört man Spekner erzählen, scheinen aber die Fahrräder sein Lieblingsgebiet
gewesen zu sein.
Deshalb konnte er mir auch erläutern, wie es zu meinem
Modell gekommen war, das übrigens 1985 auf den Markt geschickt wurde, also fast 30 Jahre
drauf hat. Somit fällt es noch in die Kategorie "Youngtimer", hat aber das Zeug
zum Klassiker.
Das Highlight dieser Fahrradserie wäre das Mistral
Ultima mit schwarzem Heck, wie Spekner selbst noch eines besitzt. Eine reinrassige
Rennmaschine. Das abenteuerlichste sind eigentlich die Umstände, wie so manches Fahrzeug
entstand. Ein kurioser, multilateraler Dialog ganz verschiedener Kräfte; bis hin zum Chef
der Lackiererei, dem es überaus mißfiel, daß neuerdings einzelne Räder in drei
verschiedenen Farben zugleich lackiert sein sollten.
Das ständige Ringen um moderate Produktionskosten bei
technologischen Neuerungen, keinesfalls ohne die Händlerwünsche zu ignorieren, da diese
Leute dem Publikum am nächsten standen. Siehe dazu auch den Beitrag bei "Mythos Puch"!
Sie ahnen schon, das sind Zusammenhänge, die ich überdies
in unser heuriges Kunstsymposion trage, denn daraus ergeben sich einige
interessante Fragen, die wir auch auf dem anderen Feld zu bearbeiten hätten.
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