27. Mai 2014

Da fällt nun wieder meine kleine Zahlenmystik an. Hinter diesem Blatt sind es noch drei weitere, um den zweitausendsten Eintrag in diesem Logbuch zu haben. Schreiben ist für mich ein Ordnen meiner Gedanken. Markante Zahlen sind Wegmarken.

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Wegstrecken gehören auch dazu. Gestern etwa eine mit Michael Toson, der mit seinem Bertone-Keil angekommen war; siehe dazu: "Killer-Selfie im X1/9"! Das hat seinen Bezug zu meinen Erörterungen der letzten Tage. Vom Detroit Baroque über New Line zu Wedge Line, also zur Keilform.

Als der Begriff "Postmoderne" zur Generalfloskel verkommen war, sind die laufenden Diskurse ins Stammeln gekommen und führten unter anderem zur Kategorie Postpostmoderne. Das ließe sich ja nun ganz pragmatisch so fortführen: Postpostpostmoderne und so weiter, bis wir Begriffe hätten, die sich auf keine ungarische Ortstafel mehr packen ließen.

Ich muß keine große Erzählung bewältigen, also ordne ich mir die Dinge etwas einfacher. Meine Biographie hat sich in einer Phase eingelöst, die ich nicht als Postpostmoderne erlebe, sondern als... POP. Das führt in meiner Arbeit momentan zu einem Abschnitt, entworfen, um daran einige Punkte zu klären. Also: The Track: Pop.

Daß sich inzwischen schon etwas ganz anderes eingestellt hat, scheint mir klar, auch wenn mir nicht klar ist, was es bedeutet. Wenn ich Kommunikationsverhalten, Lebensstil und Musikgeschmack unserer Kinder beachte, empfinde ich irritierende Distanz zu dem, was ihre Sache ist.

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Als ich kürzlich in einem Lokal die Kaffeetasse hob, wurde mir einmal mehr klar, was es geschlagen hat. Der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King wurde für diese Position erschossen: "I have a dream." Dieser markante Satz, der von ihm blieb, zur Botschaft für Produktwerbung umgekupfert, offenbart die Chuzpe der Branche und bestätigt zugleich Andy Warhol.

Ich hab im gestrigen Eintrag den Maler Mel Ramos erwähnt, jenen Westcoast-Popisten, der die visuellen Codes von Comics und Werbegraphik in die Kunstwelt gewuchtet hat. An solchen Pin Ups hatten sich die Männer schon zu Kriegszeiten erfreut.

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Ausschnitt aus einem Foto von Manassehkatz, Creative Commons

Die Stromlinien-Schönheiten waren etliche Jahre umfassend präsent. Manche, wie die "Memphis Belle", schafften es sogar von den Schlachtfeldern Europas nach Hollywood: [link] Die Verknüpfung von weiblicher Leiblichkeit und waffenstarrender Feuerkraft wäre übrigens ein interessantes Thema, das momentan aber außerhalb meines Fokus' liegt.

Der Historiker Karl Stocker, gründlich vertraut mit Belangen der Popkultur und der visuellen Welten, hat mir kürzlich ein sehr anschauliches Beispiel geboten, was die Distanz zwischen dem Betrachten und dem Berühren ausmacht.

Dabei war ich ja gestern auch angelangt: "Welcher Mann findet einen hypertroph ausgeformten Leib tatsächlich anziehend und träumt, ihn in den Arm nehmen zu können?" Es geht mir also nicht um Differenz, sondern um eine Lücke, also Distanz. Es geht aber auch, wie Stocker betonte, um ein Verstädnnis, welcher Unterschied zwischen Gebrauchswert und Tauschwert liegt.

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Stocker holte zwei Zitronenpressen aus seiner Küche. Die eine kostet 1,50 Euro, sieht ganz unerheblich aus und leistet optimal, was sie leisten soll: Den Saft aus der Zitrone oder Orange in den Becher bringen; nur dort hin.

Die andere sieht sensationell aus, kostet zwischen 50,- und 60,- Euro und verlangt einige Nachbearbeitung der Arbeitsfläche, auf der sie benutzt wird, weil sie eine beachtliche Streuung hat. Es ist die Alessi “Juicy Salif” im Design von Philippe Starck.

Um es nun in polemischer Verkürzung zusammenzufassen, wir sind offenbar in Werbesprüchen und bewährten Posen durchrekrutiert worden. Ich hatte übrigens eben deshalb zur Eröffnung des vorjährigen Kunstsymposions [link] Kulturwissenschafter Matthias Marschik gebeten. Die Fragen nach "Der Mythos vom Ganzen und Einen" (Identitätskonstruktionen in der Spätmoderne) bleiben für uns ja vorerst akut.

Mich beschäftigen hier schon ein Weilchen jene Kommunikationsweisen und Selbstdarstellungen auf Facebook, die eben diesen Effekt belegen, daß nämlich auch ein Teil der "gebildeten Mittelschicht" offenbar Vorteile darin sieht, Werbesprüche und bewährte Posen als bevorzugte Kommunikationsweise zu nutzen.

Sollte ich das für einen akzeptablen Stand der Dinge halten? Im Eintrag vom 17.5.2014 war das vielleicht angedeutet, "Weil ich annehme, daß die Popkultur in aktueller Fassung, stets BEIDES in sich integriert:
+) Das Phänomen und die Kritik daran,
+) den Zustand und seine Persiflage."

-- [The Track: Pop] --

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