17. Mai 2014

Körperbilder, Frauenrollen, Männlichkeitskonzepte, Popkultur und Auto-Fetischismus; da war ich gestern angelangt, angeregt von einer kleinen, wechselweise hitzigen Debatte, die sich im Web Zwo entfacht hatte.

Ausgangspunkt war ein funkelnder Dissens rund um den ESC-Beitrag "My Slowianie" [link] von Donatan & Cleo. Die visuell provokante Inszenierung, fröhlich und ungeschminkt in einem sexistischen Code umgesetzt, ist eindeutig ambivalent geschnitzt. (Hehe! Eindeutig ambivalent sollte ja eigentlich nicht gehen!)

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Donatan & Cleo (Foto: Albin Olsson, Creative Commons)

Auf WiwiBloggs.com erfahren wir die offizielle Begründung der polnischen Instanzen. Diese ("Television Poland has made this choice based on the verdict of a specially appointed committee...") seien zu einem denkwürdigen Schluß gekommen: "According to most experts and fans, the Polish representative should present a song that is modern and fresh, and which refers to the nation and its musical roots." [Quelle]

Das ist natürlich üblicher Agentur-Schwampf und berührt nicht einmal, was wir zu sehen bekommen.

Der Song paraphrasiert das, was wir von amerikanischen Gangstas und Bitches längst kennen. Zugleich transportiert er einige Ironie, wenn man einrechnet, wie viele Frauen aus dem Südosten und Osten Europas in den Bordellen wohlhabender Länder landen; teils vielleicht aus freien Stücken, vielfach unter Gewaltanwendung, so oder so unter dem enormen ökonomischen Druck von allen nur denkbaren Seiten.

Ein anderer WiwiBloggs.com-Beitrag dient uns den Text des Songs als "brillante Parodie" an, das Lied sei ein Rüffel für Xenophobe: "Donatan and Cleo are master satirists, and their song is a clever rebuke to xenophobes who want to keep Poland in a box."

[...]
Slavic girls are wicked and also smart
Look at this if you search for the one
‘Cause beautiful ladies look as a cake
You better try them before it’s too late
Bring out a bottle to make her feel good
If you don’t believe us we can give you sweet proof
Our beauty will always take your breathe away
We show you bake and you understand
[...] [Quelle]

Ambivalenz. Mit eben diesem Textchen könnte man Huren vermarkten. Das kann auch als ironische, sogar selbstironische Betrachtung slawischer Frauen gelesen werden. Wir erfuhren schon in Millöckers "Der Bettelstudent" in geschraubter Formulierung: "Der Polin Reiz ist unerreicht". Das kann ebenso eine Geste gegen den politisch gewichtigen Katholizismus Polens mit seinem eigentümlichen Marienkult bedeuten.

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Sänger Tose Proeskis Lob der (süd-) slawischen Frauen ("Zena Balkanska")
wird stellenweise mit historischen Filmausschnitten durchsetzt

Über einen Stapel von Berichten hinweg darauf geblickt, wird das alles zu einem merkwürdigen Vexierbild. Berichte, die davon handeln, daß allein im deutschsprachigen Raum in Flatrate- Bordellen für mäßige Eintrittspreise nach dem Motto "All you can eat" gevögelt wird und auf dem Straßenstrich die Preise total im Keller sind, was bedeutet, daß die Frauen sich krankschuften müssen, um die erzwungenen Umsätze zu bringen. Dabei dominieren slawische Frauen, begleitet von rumänischen und ungarischen.

Was nun das Musikgeschäft angeht, bietet der 2007 tödlich verunglückte Sänger Tose Proeski interessante Referenzpunkte. Seine Hymne auf südslawische Frauen ("Zena Balkanska") wird von Fans mit sehr unterschiedlichen Bildern unterlegt, die ihrerseits klischeehafte Konvolute ergeben, aber vor allem deutlich machen, was der "Nuttenstil" im "Turbofolk" anschließend karikiert. Ein Beispiel: [link]

Der Prototyp solcher Bilder ist weit älter. Damit meine ich zum Beispiel das "Kosovka Devojka" ("Kosovo Mädchen"), welches einem Gedicht entnommen ist, das noch der oralen Kultur Serbiens entstammt, in der Sänger (Guslar) ein Stück des kollektiven Gedächtnisses verkörperten.

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"Kosovka Devojka", 1919, von Uros Predic

Dieses Bild ist so beliebt, daß ich es sogar als Tätowierung auf der Haut von Kriminellen gesehen hab. Es lohnt sich, den Bilderbogen anzusehen; den visuellen Verlauf von der malerisch idealisierten Balkan-Frau über trivialisiert überhöhte Frauengestalt zur Frauenkarikatur im "Turbofolk".

Ich werde später noch zeigen, welche Realität dahinter steht, denn wir haben zum Beispiel mit einer Installlation der Künstlerin Jelena Juresa in unserer Region einmal zeigen können, was die Balkan Boys mit "gefickten Weibern" meinen; siehe: [link]

Auftauchende Fragen nach den Usancen des Musikmarktes ("Ich finde einfach, dass so ein 'nuttiges' Verhalten auf einer Eurovision-Songcontest-Bühne nix verloren hat.") lassen sich schnell abhaken:
a: Ich glaub, das ist nicht die Entscheidung der Musiker, sondern die der Produzenten.
b: DAS ist allerdings leicht möglich! Nur bei Madonna glaub´ ich´s nicht: die ist selber schon mächtig genug.

Das lohnt keine weitere Erörterung. Aber ich finde es sehr interessant zu befragen, was denn unsere Youngsters bewegt, "Nuttenstil" zum Teil ihrer Jugendkultur zu machen. Mir fiel das vor allem bei Selbstportraits, bei Posen in ausladenden Fotoserien und in Dialogen der Teenies auf.

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Rascha (†), der mir eine Lektion im Töten mit bloßen Händen
anbot, und sein "Kosovka Devojka"

Die Antwort gerät bei mir aber simpel: Die Art, wie die Youngsters sich ihr Miteinander organsieren, wie sie kommunizieren, welche Codes sie bevorzugen, schert mich nicht. Da greife ich nicht hinein. Es ist deren Kram und sie würden es zurecht wie vorhersehbar zurückweisen, wenn ich daran rühren wollte.

Aber! Was wir ihnen vorhüpfen, was sie im Blick auf uns dazu bringen mag, sich über solche Codes von uns abzusetzen, das ist sehr wohl mein Kram und das interessiert mich entsprechend. Diese Praxis des Kontrastes läßt mir ja auch unsere eigenen Codes und Verhaltensweisen in einem interessanten Licht erscheinen.

Sollte ich die bevorzugten Männerbilder beziehungsweise Männlichkeitsbilder eines überschaubaren Zeitraums zusammenfassen, sieht das -- in polemischer Verkürzung -- bei mir so aus:

+) Die Ära meines Vaters: Der soldatische Mann/Der Landser
+) Meine Ära: Der verflixte Kerl im rasenden Auto/auf dem rasenden Motorrad
+) Die Ära meines Sohnes: Der Muschi-Checker

Das sind übrigens ausnahmslos Bilder, die ich in leicht verzerrter Form auch in den Augen von Spießern und Mittelschicht-Trutschen gespiegelt finden; je nach verfügbaren Mitteln sind Paraphrasen davon im Hochpreis- und im Niedrigpreis-Segment verfügbar.

Damit meine ich, auch Spießer und Mittelschicht-Trutschen bedienen sich dann solcher Codes. Die werden bloß ein wenig adaptiert. Wie lange müßte ich suchen, um die Pose der schwangeren, quietschsauberen Demoiselle deckungsgleich im Schlampen-Universum der Medien aufzuspüren, woher sie -- diese Pose -- ja bezogen wurde?

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Nirgends habe ich die Kultur der "Muschi-Checker", der Maulhelden
und der Frauenverachtung so anschaulich kennenlernen können,
wie in einigen Serien des Senders ATV

In meinen jüngsten Erörterungen komme ich stets wieder auf Andy Warhol. Er ist der Papst des Popismus. Warum ist das wichtig? Weil ich annehme, daß die Popkultur in aktueller Fassung, stets BEIDES in sich integriert:
+) Das Phänomen und die Kritik daran,
+) den Zustand und seine Persiflage.

Das schafft keinen Widerspruch, hebt sich nicht auf, sondern ist komplementär. Eine höchst dialektische Kulturform. Unter solchen Eindrücken verstehe ich dann auch jene unserer Youngsters besser, deren Wesen und Umgang miteinander ich als höchst liebenswürdig erlebe, deren Codes, Posen und Musikvorlieben dem aber laut und unflätig zu widersprechen scheinen.

Bloß das ist es eben nicht, ein Widerspruch.

Zugleich sind es die selben Show Acts, die mir von entsetzlichen Gegebenheiten in Ländern erzählen, wo das Grauen bloß wenige Stunden Fahrt mit dem Auto entfernt ist. Wir haben offenbar keine nützlichen Konventionen, um mit diesen Aspekten in ihrer Anbindung an unsere launige Unterhaltung angemessen umzugehen.

So quittierte mir die auch schon erwähnte Ratgeberin diesbezügliche Querverweise in unserer Erörterung mit folgendem Statement: "Im übrigen freue ich mich SEHR darüber, Martin, dass sich ein mitteleuropäischer Mann über diese humanitäre Katastrophe derart entsetzt und empört!"

Zynismus bleibt eben immer ein Ausweg. Eigentlich geht es vor allem darum, die eigene Kultur und somit das eigene Verhalten zu verstehen, um es reflektieren zu können. Das kann man natürlich auch versuchen, indem man sich über ungehöriges Auftreten mokiert. Was ist aber dann der nächste Schritt?

Damit meine ich:
+) Welche Schlußfolgerungen stehen anderntags zur Verfügung?
+) Welche Konsequenzen könnten die nach sich ziehen?

Genau DA wird dann die kritische Betrachtung der ANDEREN wirklich interessant: Was bewirken sie an MIR?

Auch wenn ich das jetzt aus dem Zusammenhang der "Parallel-Debatte" auf Facebook reiße, folgende Überlegung von Emina Saric bietet einen interessanten Ansatz, die Kiste mit den Bildern, den aktuellen und den abgelagerten, zu überprüfen:

"Es ist auch ein gesellschaftliches Monopol im Patriarchat an Männerbildern...d.h. die patriarchale Gesellschaft (& Co), an der noch immer Männer einen wichtigen Teil haben, liefert uns die "richtigen" Männerbilder und Frauenbilder....Diejenigen, die dieses Monopol durchbrechen möchten, werden als Nicht-Männer oder Nicht-Frauen abgestempelt, denn die tanzen aus der Reihe..."

-- [The Track: Pop] --

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