3. Februar 2014 Ich
nehme an, die Nazi haben nicht die Abartigkeit, sondern die Normalität organisiert. Das
war eine der Säulen ihrer Effizienz. Vielleicht liegt darin auch ein entscheidender
Schwachpunkt der gegenwärtigen Antifa. Nach allem, was wir heute
über gewaltbereite Menschen wissen, gibt es keine Disposition für rechten oder linken
Extremismus, sondern für Extremismus.
Das bedeutet, aus den Grundzutaten des Faschismus läßt sich auch jede andere
weltanschauliche Schäbigkeit bauen. Aber der Faschismus ist in seiner Dimension,
Grausamkeit und Wirkung über alles, was bis dahin bekannt war, hinausgegangen. Ich denke,
seine Besonderheit liegt unter anderem gerade darin, daß eine Massenkumpanei ganz
normaler Leute so weit führen konnte.
Der anhaltende Schrecken liegt für mich in der Wucht, im
Tempo, welche unsere moralischen Schranken fallen lassen, sobald sich eine Reihe von
Bedingungen erfüllt; und daß dafür keineswegs eine pathologische Belegschaft nötig
ist.
Es reicht völlig, hinlänglich viele mittelmäßig skrupellose Menschen in einer Reihe
von gesellschaftlichen Instanzen zu etablieren. Dann läßt sich in sehr kurzer Zeit ein
hinreichend großer Teil der Bevölkerung rekrutieren, um ein Schreckensregime zu
errichten.
Deshalb denke ich, daß ich mich heute keiner Antifa anschließen kann, die
vor allem einen Teilbereich dieser Grundlagen und vorzugsweise neofaschistische Entwürfe
im Auge hat. Deren Kapitalismuskritik genügt mir auch nicht.
Mit dem, was uns der Faschismus gelehrt hat, kann ich ganz beliebig eine linke oder eine
rechte Junta aufbauen, auch jede ideologische Position dazwischen bedienen. Europas
Völker haben außerdem in den letzten 20 Jahren deutlich gemacht, daß sie in der Wahl
bevorzugter Feindbilder nicht zimperlich und nie in Verlegenheit sind.
Am Antisemitismus werden ganze Legionen festhalten, zwischenzeitlich sind auch Muslime als
Die Anderen verfügbar und die Zigeuner gehen ihnen
ebenfalls nicht aus. Das ist übrigens auch eine Frucht des Faschismus: Wie wenig breite
gesellschaftliche Ablehnung bei uns gegen Antisemitismus, Antiziganismus, eigentlich gegen
jede Art von Feindbildkonstruktion vorhanden ist.
Aber zurück zu den unscheinbaren Meistern des Grauens. Ich habe im vorigen Eintrag von Hannah Arendt erzählt, die Adolf Eichmann vor
Gericht beobachtete und zum Schluß kam, daß er zu einem eigenständigen Denken nicht in
der Lage sei. Das war bei ihm mit einem merkwürdigen Ehrgeiz gepaart. Eichmann ist
gewissermaßen eine Niete mit Ambitionen gewesen.
Arendt: Wichtigtuerei war das Laster, das Eichmann zugrunde richtete.
Sie zitiert dabei einen Satz Eichmanns, mit dem er sich für eine Darstellung
entschuldigte: Amtssprache ist meine einzige Sprache. So dienstbar
machte er sich also einer anderen Instanz, so wenig war er in der Lage bei sich zu
bleiben.
Aus: Hanna Arendt, "Eichmann in
Jerusalem"
Arendt präzisierte, die Amtssprache war eben
gerade deshalb seine Sprache geworden, weil er von Haus aus unfähig war, einen einzigen
Satz zu sagen, der kein Klischee war.
Liegt übrigens nicht genau in dieser kleinen Feststellung ein deutlicher Hinweis, wovon
zum Beispiel Kulturarbeit zu handeln hat? Sollte der Kulturbetrieb eines Gemeinwesen nicht
darauf gerichtet sein, daß Menschen Erfahrungen machen, die ihnen einen Ausdruck jenseits
von Klischees und Floskeln erleichtern, ermöglichen?
Eine Quelle des Unglücks ist mangelndes Reflexionsvermögen, untermauert von einer Scheu,
sich des Denkens ohne fremde Anleitung zu bedienen. (Ja, fast hätte ich Kant zitiert.)
Läßt sich das noch mit einer symbolisch gut inszenierten Entbindung von individueller
Verantwortung koppeln, ist fast nichts mehr unmöglich.
Welchen Effekt das entfalten konnte, läßt sich heute noch an Eichmann ablesen, wenn man
Filmdokumente vom Prozeß in Jerusalem durchsieht. Selbst wer so unbeschreibliche
Wirkmächtigkeit hatte wie er, konnte sich immer noch mit treuherzigem Blick auf eine
Verantwortung höheren Orts ausreden.
Faschismus, das heißt also, man bietet einem ganzen Volk
an, die Verantwortung jeweils nach oben weiterzureichen. Das funktionierte beklemmend gut
in einer völlig durchrekrutierten und durchorganisierten Gesellschaft, in der keine
Sphäre und kein Teilbereich sich selbst überlassen blieb.
Die Gleichschaltung der Medien ist bloß ein
Aspekt dieses Durchgreifens des Regimes auf alle Bereiche es Lebens und der
Vergesellschaftung. Im Rückblick erscheint es fast unbegreiflich, wie sich in so kurzer
Zeit etwa die Justiz den Machthabern ergab, die Medizin sich eingliederte, ein
Wissenschaftsbereich nach dem anderen sich dem fügte und auch die Philosophie ein
konsequentes Denken aufgab, Kunst und Kultur sich benutzen ließen etc.
Im Charme der Mörder sonnten sich
auch herausragende Kräfte wie Ferdinand Porsche
Der Faschismus brauchte außerdem effiziente Waffenträger
und eine Industrie, von der das nötige Gerät in entsprechend hoher Qualität und
Quantität geliefert werden konnte. Das ging einerseits nicht ohne Arbeitssklaven,
andrerseits nicht ohne exzellente Techniker, deren prominentester sicher Ferdinand Porsche
war.
Ein so herausragender Konstrukteur ohne jedes
Distanzproblem mi Hitler war ein Segen für dieses Regime; egal, ob er an Waffensystemen
arbeitete, an den repräsentativen Kompressor-Mercedes für die Nazi-Bonzen oder an den
prestigeträchtigen und extrem leistungsfähigen Rennwagen (Stichwort Silberpfeile),
mit denen Nazi-Deutschland seine Überlegenheit im zivilen Leben demonstrieren konnte.
-- [Imperium] -- |