2. Februar 2014

Für mich besteht kein Zweifel, das Schießen beschädigt auch jene, die abdrücken. So bleibt eine Grausakeit in der Welt, die mir den Opfern nicht beerdigt werden kann. Ich bin Teil jener unmittelbaren Folgegenerationen, die am eigenen Leib erfahren durften, daß die Traumata der Gewalttäter Bestand haben.

Ob im fernen Amerika, ob in den nahen Nachfolgestaaten Jugoslawiens, ob aus anderen Winkeln der Erde, es stapeln sich die Berichte über Veteranen, die von den Regierungen keine angemessene Unterstützung erhalten, um ihre Albträume zu ertragen und ihre Traumata zu mildern..

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Was bringt Männer dazu, völlig distanzlos auf wehrlose
Frauen und Kinder zu schießen? (Quelle: profil)

Was das zur Folge hat, wird auf die Familien abgewälzt. Dieser Kniff ist schon lange populär. Strukturelle beziehungsweise gesamtgesellschaftliche Probleme werden zu einem "individuellen Versagen" umgekupfert. In der realen Begegnung wird meist das Anstreifen an Betroffene vermieden. Wir sehen zu, wie jene untergehen, die es nicht schaffen, diese Bürde abzutragen.

Das ist bei uns auch eine Frucht des Faschismus: Gewalttätigkeit ist der Wind, den man sät, zugleich der Sturm, den man erntet. Einmal auf fernen Schlachtfeldern ausgelöst oder in entlegenen Folterkellern, kehrt diese Saat mit den Tätern heim. Malen Sie sich ruhig aus, was das an kleinen Kindern zu bewirken vermag. Dann haben wir ein wenig Klarheit, worüber zu reden ist.

Das sind auf jeden Fall einige der Zusammenhänge, warum mich die aktuelle Kontroverse um den Wiener „Akademikerball“ nicht nur beschäftigt, sondern berührt. Im Kern gibt es keinen Unterschied der Katastrophen, wenn Autonome in einen Polizeiverband hineinrennen. Auf beiden Seiten wird etwas ausgelöst oder vertieft, das uns noch lange beschäftigen wird.

Ich habe in den letzten Einträgen Teile der österreichischen „Anifa“ dafür kritisiert, was sie mir über programmatische Publikationen inhaltlich gezeigt haben. Über die Praxis ihres Straßenkampfes will ich gar nicht weiter reden, das disqualifiziert sich von selbst. Dem gegenüber haben wir außerdem noch Klärungsbedarf, was bei diesem groß dimensionierten Polizeieinsatz allenfalls merkwürdig gelaufen ist.

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Was für ein Hohn und Zynismus, heute immer noch
von "Helden" zu sprechen und sie als "Unsere Helden" zu markieren

Es wird für mich also Zeit, meine eigene Auffassung von Faschismus zur Debatte zu stellen, da ich schon notiert habe, daß ich schlampige Zuschreibungen wie „Alltagsfaschismus“ und „faschistoid“ strikt ablehne. Einer meiner Gründe dafür: Ich denke, das Ganze des Faschismus läßt sich nicht angemessen vrstehen, wenn man schon teile davon für das Ganze hält.

Das Ganze des Faschismus ergibt sich unter anderem aus der raffinierten Gemengelage und den Wechselspielen zwischen diesen Teilen. Darin liegt aber auch eine gute Nachricht. Ich denke, Faschismus läßt sich schon sehr gut anfechten, wenn es gelingt, Teile verläßlich zu blockieren.

Am wenigstens läßt sich erreichen, wenn man sich seiner Mittel bedient. Genau darin zeigen mir die paar Schnösel aus dem Lager der „Autonomen“, daß sie an der Geschichte militanter Bewegungen des 20. Jahrhunderts überhaupt nichts gelernt haben.

Die Basis des historischen Faschismus waren Männerbünde. Forsches und streitbares Gehabe, hierarchische Struktur, der „soldatische Mann“ als vorrangiges Rollenmodell, Frauenverachtung, das Heer als „Schule der Gesellschaft“. Grundlagen und Vorgaben aus dem 19. Jahrhundert. Sie sind bis heute nicht aus der Mode gekommen.

Ihre innenpolitischen Möglichkeiten haben die italienischen „Fascisten“ in Kampfverbänden verfolgt, also in kleinen Einheiten innerhalb einer Pyramide der wachsensen Machtmaschinerie von Benito Mussolini. Diese Kampfverbände, italienisch „Fasci di Combattimento“, hatten in Mussolinis Standarte auch das passende Leitsymbol.

Das Liktiorenbündel der römischen Antike, ein steifes Ensemble von Stäben, an eine herausragende Axt gebunden, ist eine sehr beredte Darstellung der Verhältnisse.

Hierarchie, die Unterordnung des Individuums, Gehorsam und Gefolgschaft dem Kollektiv gegenüber, im Fürhrerprinzip geordnet, Wehrhaftigkeit und Ästhetisierung von Gewalt sind einige der Zutaten solcher Männergemeinschaften.

Für die Schwarzhemden Mussolinis war, wie auch für die Braunhemden Hitlers, Gewalttätigkeit ein akzeptiertes, ein bevorzugtes Mittel politischer Arbeit. Für mich ergibt sich aber aus einer Partei (NSDAP) und ihrem Schlägertrupp (SA) noch längst kein Faschismus.

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Römisches Liktorenbündel
("Fascis", Quelle: Public Domain by Flanker)

Darum nenne ich auch heute Menschen, die auf solche Arten in Erscheinung treten, nicht „faschistoid“, sondern präfaschistisch. Wir haben genug Wissen darüber, welche Verhaltensweisen Richtung Faschismus zielen, doch die Neue Rechte Europas hat uns längst gezeigt, daß sie weder auf den Dress Code, noch die Emblematik, noch auf den Sprachstil des historischen Faschismus angewiesen ist, um es als Retrogarde der Menschenverachtung in Rathäuser und Parlamente zu schaffen.

Wir werden es also möglicherweise mit etwas ganz anderem als Faschismus zu tun bekommen, denn was da in einer Befürwortung der Demokratie (Nazi haben sie abgelehnt) in einem weltweit wirksamen Kapitalismus entsteht oder schon entstanden ist, hat die Massen nicht mehr mit dem Ohr am Volksempfänger (ein Radioapparat), sondern Abend für Abend auf der Couch vor dem TV-Gerät oder am vernetzten PC.

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"Eichmann in Jerusalem": Die Unfähigkeit, selbst zu denken

Der Nazifaschismus hat weit mehr Bedingungen gehabt als einige Korporationen und Schlägertrupps im Kielwasser einiger Sekretäre und Kommissare. Mit einem „Primat der Tat“ wurde Aktion vor Reflexion gesetzt. Die daraus resultierende Intellektuellenfeindlichkeit erleben wir bis heute.

Hannah Arendt hat es exemplarisch an Eichmann festgestellt: Er kann nicht selbstständig denken, sagte sie, er sei außerstande, sein eigenes Tun zu reflektieren.

Für den Verzicht auf kitisches Denken wurde man dem Führerprinzip anvertraut, das Sicherheit versprach und die Verantwortung übernahm. Die mußte, genau betrachtet, nicht einmal Hitler sich aufbürden, denn da gab es ja noch die „Vorsehung“ als höhere, verantwortliche Instanz. Damit mag das Sektenhafte des Faschismus erahnbar werden..

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