3. Dezember 2013

Ich bin manchmal ein wenig irritiert, wenn ich Vorworte zu Publikationen, die von erheblichen Grausamkeiten handeln, lese. Dabei empfinde ich eine starke Ambivalenz. Es ist doch begrüßenswert, wenn die Unversehrten sich den Erfahrungen jener zuwenden, welche Überwältigen, Demütigung, Qual, Todesangst nicht von sich weisen konnten. Doch unzureichende Floskeln zur Einleitung finde ich ärgerlich.

Ich hab ein erhebliches Interesse daran, wie nach solche Erfahrungen gelebt werden kann. Mich interessiert aber auch sehr, was die Gewalttätigkeit an den Tätern bewirkt. Ich muß genauer wissen, wie uns Menschen das von der Hand geht, andere völlig distanzlos auszulöschen.

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Die Mine von Omarska

Ich habe aus meinen eigenen Erfahrungen mit Gewalttätigkeit eine Metapher bezogen, die meine größtmögliche sprachliche Annäherung ausdrückt: Der lächelnde Dämon. Es scheint mir, daß die Gewalttätigkeit an Menschen beunruhigend schnell die Möglichkeiten der Sprache hinter sich läßt.

Meine diesbezüglichen Eindrücke sind ganz wesentlich durch meine Lektüre von Jean Amery, Frantz Fanon und Primo Levi geprägt. Ihnen verdanke ich die zeitige Überzeugung, daß niemand mehr freikommt, der sich zur lebensbedrohenden oder -vernichtenden Gewalttätigkeit hinreißen ließ, wie auch die Opfer nicht mehr freikommen.

Deshalb bin ich ohne Zweifel, daß solche Saat mehreren nachfolgenden Generationen ihre Ernte aufbürdet.

Manchmal gehe ich an Orte, wo solche Dinge geschehen sind; nicht als Tat einzelner Hemmungsloser, sondern als organisiertes Auslöschen von Menschen. Eben weil mir meine Sprache in der Annäherung an den Kern dieser Vorkommnisse oft versagt, weiche ich auf eine leibliche Annäherung aus.

Gelegentlich begegne ich Menschen, die entweder ein Schlachtfeld überlebt haben oder die aus einem Todes-Camp davongekommen sind. Der Bergwerksort Omarska ist ein Beispiel dafür, wie er mit seinem "Weißen Haus" in einigen wenigen Texte beschrieben ist.

Muhidin Saric, den ich hier [LINK] kürzlich erwähnt habe, weiß von diesen Orten aus der Innenansicht des Häftlings zu erzählen. Wenn ich in Büchern wie dem seinen die Vorworte bemühter Menschen lese, deren Anstrengungen beitragen, daß Saric und andere Überlebende ihre Erfahrungen publizieren können, wird mir unsere ganze Hilflosigkeit in der Annäherung deutlich.

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Satzteile wie jener, daß Saric "die Gräuel des Krieges in seiner Heimat am eigenen Leib erfahren musste", sind mir schwer erträglich und werden dann wohl kaum zufällig von einem anderen Vorwortautor paraphrasiert, der uns erklärt, daß Saric, "der die Grauen des Krieges, von denen er persönlich betroffen war, literarisch umgesetzt hatte". Er habe "grauenhafte Erlebnisse" zu verarbeiten etc.

So stammeln wir Randfiguren der grauenhaften Gräuel herum. Was statt dessen sein sollte? Davon habe ich durchaus eine klare Vorstellung. Wir sollten auf Betroffenheitsgymnastik verzichten und den verfügbaren Platz in Publikationen jenen überlassen, die über all das etwas zu sagen haben. Im Falle von Saric wäre das wohl am Besten Saric selbst, den man hätte zitieren können:

„Der Tod hat im Lager Wohnstatt genommen. Er lebt und schläft mit uns. Er sitzt, liegt und geht mit uns herum. Er steht mit uns in einer Reihe und wartet auf den Bissen Brot. Er trinkt mit uns das Wasser. Mit uns freut sich und weint der Tod. Wo wir sind, ist auch er.
Ich habe mich schon an seine Nähe gewöhnt.
Sein Erscheinen erschreckt mich nicht. Er ist nicht so, wie ich ihn mir früher vorstellt habe. Ich habe ihn angenommen, wie alles andere auch. Ich habe ihn angenommen wie die Luft, wie das Wasser.
Ich beneide den Tod um seine Besonnenheit und Ruhe. Er ist still und ausdrucklos. Mit seinem Auftreten ruft er Ehrfurcht hervor. Wir alle schätzen und achten ihn.
Oft ist er unvorhersehbar, und das macht ihn mystisch. Wenn er sich ein Opfer erwählt, kriecht er ihm in den Körper, er liebt es, dazuliegen und zu posieren. Die Menschen versammeln sich und tragen ihn zusammen mit dem Körper des Opfers weg. Und gerade noch denkst du, daß sie ihn weggebracht haben, daß er nicht mehr hier ist, da drehst du dich um und siehst, er ist wieder hier, mit uns. Er schweigt und sieht uns aus seinen tiefen Augenhöhlen an. Er bezeichnet und wählt den Nächsten.“

Muhidin Saric: „Keraterm“, 1994, Drava Verlag
Siehe zu Muhidin Saric auch das Interview in meinem Archiv: [link]

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