28. November 2013Gelegentlich höre ich Einwände; etwa daß es ermüdend sei, mich immer
wieder über diese historische Dinge reden zu hören, diese Kriege, ihre Vorbedingungen,
ihre Konsequenzen. Ich kenne also private Varianten des Wunsches, es möge einmal Schluß
damit sein, all das herzuholen, anzusprechen, zum Thema zu machen. Wer frei von jenen Verstrickungen ist, die ich empfinde, wird all
das erledigt, abgeschlossen haben können; auf diese oder jene Art. Mir war das bisher
nicht möglich.
Die erwähnten Verstrickungen sind ebenso banal, wie ein
Großteil der Taten, von deren Ursachen zu reden ist. Eines der maßgeblichen Probleme
läßt sich leicht nennen. Es ist die galoppierende Brutalisierung einer ganzen
Gesellschaft, wenn jene Konventionen fallen, über die wir Gewaltanwendung weitgehend
gebannt haben.
Wenn ich mich heute so ausufernd mit den jüngsten Kriegen
des versunkenen Jugoslawien befasse, ist einer der Gründe dafür, daß ich mir als
erwachsener Mann recht genau ansehen kann, was ich als Kind nicht verstehen durfte.
Damals waren es meine eigenen Leute, die über ihre
Traumata und die eigene Täterschaft hinwegkommen wollten. Heut sind es andere, denen ich
begegnen kann, wie auch Opfern solcher Täterschaft, was gelegentlich vorkommt. Dieses
Begegnen ereignet sich direkt und auch indirekt. Ich nenne ein Beispiel.
Muhidin Saric stammt aus Prijedor. Diese bosnische Stadt
ist Angelpunkt einer Region, in der serbische Kräfte Todeslager wie Keraterm, Kosarac und
Omarska betrieben haben. Solche Einrichtungen des organisierten Völkermordes hat Saric
von innen kennengelernt, überlebt.
In der Steirischen Verlagsgesellschaft erschien
2000 ein schlankes Bändchen "Gedichte und Texte" mit dem Titel "Heimat|los".
Dort findet man auf Seite 83 eine Satz über die Ärztin Ella Lingens: "Sie
versuchte, Selektionen unter den Schwächsten ihrer Patientinnen zu vereiteln und sah mit
an, wie Frauen ihre Säuglinge erwürgten, damit sie nicht mit ins Gas mussten."
Was wäre denn mehr nötig, um die Brutalisierung jener
Gesellschaft zu beschreiben und zu charakterisieren? Nichts! Damit ist alles gesagt, ist
umfassend ausgedrückt, was es im Kern gewesen ist. Wäre bloß noch zu unterstreichen,
daß diese Grausamkeit nicht einzelnen Personen zufiel, sondern einem ganzen Volk, einer
Kultur gewidmet war.
Meine eigene Verstrickung handelt nun davon, daß ich
immer, wenn ich auf solche Details stoße, denken muß: Das waren meine Leute. Und
zwar in zweifachem Sinn. Einerseits das Volk, in das ich geboren wurde, andrerseits meine
Familie, in der mehr als bloß Einer über Mitläufertum weit hinausgegangen war.
Täterschaft, die in den letzten Jahrzehnten weitgehend ausgeblendet, geleugnet,
schöngeredet wurde.
Eine der letzten Begegnungen mit jemandem aus dem Kreis
jener, die sich unter meinen Leuten ihre Eltern zurechtgeredet haben, fand vor wenigen
Jahren im Café eines Gleisdorfer Baumarktes statt. Dieser mein Cousin hatte die Stirn,
mir gegenüber zu betonen, wir, also er und ich, könnten aus heutiger Sicht ja gar
nicht beurteilen, wie das damals gewesen sei.
Das trennt uns. Wir haben selbstverständlich Kriterien, um
das beurteilen zu können. Aber es ist in der Folge nicht meine Angelegenheit zu verurteilen,
mich für Tribunale zu engagieren. Es ist meine Sache, dem etwas gegenüberzustellen und
diese beiden Bereiche zueinander in Beziehung zu setzen.
Das führt übrigens in einer kleinen, langjährigen
Kausalkette direkt in mein Teilprojekt "The Track: Axiom | 2014". Das
eingangs erwähnte Büchlein von Muhidin Saric hat mit dessen Aufenthalt in der Steiermark
zu tun, im Buch ist das Projekt genannt: Graz -- "Stadt der Zuflucht".
Auf der nächsten Seite ist unter anderem der Autor Walter
Grond angefüht. Er war damals, 2000, mit diesem Projekt befaßt. Das ist auch im
Archivbereich meiner Website vermerkt; siehe Gronds: "20) Städte der
Zuflucht" [link]
Im Jahr davor hatte ich Grond in Gleisdorf zu Gast gehabt,
wo wir "Identität: Das Ich in Postkolonialismus, Pop und Netzkultur" zur
Debatte stellten: [link] Im
Kielwasser unserer damaligen Beschäftigung mit solchen Fragen entstand dann das
Netzkunstprojekt "House: Über das Fremde und die Peripherie", das von
Gronds Roman "Old Danube House" ausging, dessen Handlung sich zwischen
Wien, Moskau und Sarajevo entspann: [link]
Dieses Netzkunst-Projekt ist nur noch bruchstückhaft
erhalten geblieben. Es handelt von einer kollektiven Praxis, in die später auch der
Literaturwissenschafter Klaus Zeyringer einstieg. Mein Grundannahme sah so aus:
Grond habe reale Menschen getroffen, um für seinen Roman
zu recherchieren. Konkretes Leben mündete in Text. Diesen Text führe ich in den
"Cyberspace" über (mein kühles Extrazimmer), um dort eine neue
Ereigniskette zu triggern, die zurück in das reale Leben im analogen Raum und zu realen
Personen führt:
-- [House: Über das Fremde und die Peripherie] --
Ich weiß heute nicht mehr, wann sich meine Wege von jenen
trennte, die Grond und Zeyringer weitergingen. Aber es steht fest, daß ich nach einigen
Jahren mit dem Online-Projekt "House: Über das Fremde und die Peripherie"
immer tiefer in diese Themen und das damit verbundene reale Leben hineingegangen bin.
Das ist im Langzeitprojekt "The Long Distance
Howl" evident, dessen aktuelle Abschnitte mich gerade von "The Track:
Axiom | Südost" zu "The Track: Axiom | 2014" geführt haben.
Es war also 1999/2000 durchaus schon angelegt, wurde 2003 auf eine Art manifest, in der
ich meine Netzkultur-Erfahrungen konsequent in einer neuen Praxis auszubauen begann. Hier
sind wir nun...
[The Track: Axiom | 2014]
[Generaldikumentation] |