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Zuflucht
Autoren im Exil



 

Dolmetsch: Emina Osmancevic


Muhidin Saric
Im Gespräch...

...mit Walter Grond

WALTER GROND: Gibt es in Bosnien eine bestimme Höflichkeitsformel, die man befolgt, wenn man ein Gespräch beginnt?

MUHIDIN SARIC: Festgelegte Floskeln gibt es nicht. Wenn man das Gespräch in einem Studio führt, gibt es Lichtsignale. Wenn man ein Gespräch so führt, wie wir es jetzt tun, dann kann ein Zeichen für den Anfang sein, wenn man ein bißchen hüstelt (lacht).

GROND: Wir sitzen hier im Cerrinischlössel in Graz, in einer Wohnung des Netzwerks der Zufluchtsstädte. Sie leben jetzt seit einem halben Jahr in dieser Wohnung, aber schon seit sechs Jahren in Graz. Von der Caritas nach Ihrer Flucht aus Bosnien aufgenommen, waren Sie zuerst in einem Flüchtlingsheim, dann in einer Flüchtlingswohnung der Caritas. Könnten Sie heute in Ihre Heimat zurückkehren, gebe es da etwas, was Sie besonders an Ihre Grazer Zeit erinnerte?

SARIC: Es wäre vor allem sehr schön, in die Heimat zurückkehren zu können. Für mich ist es leider noch unmöglich. Meine Geburtsstadt befindet sich in der Republika Srpska /Serbische Republik/, wo es für Bosniaken noch immer keine Rückkehr gibt. Wenn es die Zeit zuläßt und ich eines Tages in die Heimat zurückkehre, wird die Stadt Graz für mich immer eine zweite Geburtsstadt bleiben. Hier habe ich ein neues Leben angefangen, das sich in vielerlei Hinsicht von dem Leben unterscheidet, auf welches ich, um mein Leben zu retten, verzichten mußte. Mein Aufenthalt hier in Graz ist mit einer Reihe von Erinnerungen verbunden, die ich bis ans Ende meines Lebens in mir tragen werde, wo auch immer ich sein mag. Hier muß ich auch an meine Freunde denken, die auch Schriftsteller sind: Milorad Goncin, Marino Zurl, Ibrahim Kajan und viele andere. Vielleicht bedeuten Ihnen diese Namen nicht viel. Diese Namen sind sowohl muslimisch als auch kroatisch und serbisch, also Menschen verschiedener Konfessionen, die mir geholfen haben, ein neues, normales geistiges Leben aufzubauen. Daran würde ich mich auch gern erinnern.

GROND: Ist Ihnen das gelungen?

SARIC: Ich glaube schon. Ich bin nicht mit Haß angesteckt und das ist eine gute Voraussetzung für ein normales Leben. Deswegen ist es wichtig, wie die Menschen miteinander umgehen. Mich hat damals sehr begeistert, wie ich in Österreich aufgenommen wurde, und zwar wie ein Mensch und nicht, weil ich ein Moslem oder kein Moslem bin. Ich hatte ja erleben müssen, wie man die Menschen nur wegen ihrer Namen umgebracht hatte, und hier war das plötzlich nicht mehr so.

GROND: Slavoj Zizek sprach von den vielfältigen Phantasmen, die westliche Intellekutelle von Jugoslawien hatten, vom Traum eines multikulturellen Mitteleuropas, von der mediterranen Seele, vom dritten sozialistischen Weg, alles Phantasmen, wie er schreibt, die den Krieg auf dem Balkan mitermöglicht haben. Hatten Sie auch Phantasmen von Westeuropa vor Ihrer Flucht aus Bosnien?

SARIC: Ich hatte keine besonderen Vorstellungen. Einige Städte des Westen lernte ich als Tourist kennen, aber damit verbinde ich keine bestimmte Vorstellung. Es war für mich einfach der reiche Westen, nichts mehr. Als ich dann auf der Flucht im Westen ankam, konnte ich mich zunächst nicht zurechtfinden. Ich fühlte mich, als ob man mich auf eine Bühne gesetzt hätte, von der ich nicht wußte, welche Rolle ich dort spielen sollte. Ich brauchte ein ganzes Jahr lang, um zur Kenntnis zu nehmen, wo ich überhaupt angekommen bin. Wo bin ich jetzt, was bin ich jetzt? fragte ich mich. Ich war ein Flüchtling. Und was ist das? Ich kämpfte lange mit dieser Erkenntnis und versuchte, mir bewußt zu machen, was das in Wirklichkeit bedeutet. Und da war kein Platz für irgendeine Vorstellung vom Westen. Meine Erfahrung war so, daß ich nicht mehr wußte, ob ich mir einmal irgendwelche Vorstellungen von anderen machen werden kann. Damals konnte ich mir nur noch sagen: Ich befinde mich in Österreich.

GROND: Sie leben seit fünf Jahren in Graz?

SARIC: Ja, und erst jetzt bin ich dazu in der Lage, mich damit auseinanderzusetzen, wie hier gelebt wird, welche Literatur es gibt, auf welcher Geschichte dieses Land basiert, wo ich hier überhaupt lebe?

GROND: In Ihrem Roman Keraterm haben Sie die unsagbare Brutalität und Kälte, zu der Menschen fähig sein können, beschrieben. Nun führen wir heute im Westen sehr medienvermittelte Existenzen, sind im Beobachten an alles gewöhnt, was Menschen anderen Menschen anzutun in der Lage sind. Ich habe ihr Gespräch mit Eva Lingens, einer Auschwitz-Überlebenden, in der Zeitschrift profil gelesen, wo Sie von Ihrem ungebrochenen Glauben an die Aufklärung sprechen. Während Sie selbst so etwas wie die menschliche Hölle überlebt haben, wird in Europa von Intellektuellen diskutiert, ob es sich dabei, was Ihnen widerfahren ist, um eine Medieninszenierung handelt. Ja viele stellen die Möglichkeit authentischen Erlebens überhaupt in Frage.

SARIC: Als Keraterm erschien, gratulierten mir viele; so sagte ich damals, was ich auch heute noch denke. Ich wünschte mir, ich hätte nie die Gelegenheit dazu bekommen, dieses Buch zu schreiben. Aber nach den Erfahrungen im Lager war es das einzige, was ich überhaupt in so einer Situation noch tun konnte. Als ich hier in den Lesungen in Österreich über meine schrecklichen Erfahrungen sprach, schien es mir, als hätten mich die Menschen hier nicht verstehen können. Besonders nicht die jungen Leute. Das einzige, was sie veranlaßte, mir zuzuhören, war Mitleid, und Mitleid möchte ich nicht. Was ich möchte, ist verstanden zu werden, und daher höre ich nicht auf, über Bosnien zu reden und zu schreiben. Ich möchte, daß mich vor allem die jungen Leute verstehen, damit sie verhindern können, daß in Zukunft so etwas noch einmal geschieht.

GROND: Sie leben heute in einer Art Niemandsland. Aus Ihren Gedichten lese ich Sehnsucht nach Rückkehr, geschrieben in einer Welt, in der sich kaum jemand für Fakten interessiert.

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