4. November 2012

Die Launen meines Schicksals weiten sich auch. Es könnte aber auch umgekehrt sein. Meine Deutungsambitionen bauen Details von Ereignissen zum (mir) passenden Bild. Gestern war ich bei einer Vernissage mit Arbeiten des verstorbenen Fotografen Michael Begsteiger.

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Begsteiger, auch "Begerl" gerufen, war fixes "Ensemble-Mitglied" jener Gleisdorfer "Szene", der Andrea Wolfmayr nun etwas gewidmet hat, was wohl als "Schlüsselroman" verstanden werden will und was -- so betrachtet -- eine derart kühne Fälschung ist, daß es eine nähere Betrachtung lohnt.

Aber erst noch ein paar Takte anderer Zusammenhänge. Wenn ich hier in den letzten Tagen von "präfaschistischen Herolden" geschrieben habe, dann meine ich damit Menschen, die Ansichten und eine Weltsicht zeigen, wie sie auf dem Weg zum historischen Faschismus zum Fundus der gesellschaftlichen Realitätserzeugung gehört haben.

Diese Realitätserzeugung ist ganz wesentlich über Medienanwendungen betrieben worden. Ich hab in den vergangenen Jahren hier schon öfter behauptet, da liege eine spezielle Verantwortung bei meinem Metier, bei den Schreibenden. Speziell Ende des 19. Jahrhunderts, genauer, im letzten Jahrzehnt der 1800er-Jahre, nahm die Flut an Zeitungsartikeln, Heftchen und Büchern enorm zu, worin der Rassismus verbreitet und die "Kerl-Nummer" zelebriert wurde.

Das Heer als "Schule der Gesellschaft", der "soldatische Mann" als bevorzugter Männertyp, der "Patriot" als Mindestanforderung des Staatsbürgers, die "Vaterländischen" als "Kulturschützer" und die Deutschtümelnden als "Kulturbringer", denen die slawischen "Untermenschen" alles zu danken hätten.

Das sind, polemisch verkürzt, einige wesentliche Motive dieser Zeit, in welcher der historische Faschismus heraufdämmerte. Ein Großunternehmen der Menschenverachtung, das auf dem Boulevard und mit den Mitteln des Boulevards enorme Breite erlangte; also ganz wesentliche in Druckschriften.

Darin liegt einer der Gründe, warum ich gelegentlich Arbeiten anfechte, die entweder im Geister solcher Stereotypen verfaßt sind oder diesen Stil der Simplifizierung hochhalten, in welcher die Menschenverachtung ihre Chance kriegt.

Es ist genau dieser Kontext und eben jene Denktradition, in der ich dann auch Teile des öffentlichen Handelns der hier schon erwähnten Spießer und Mittelschicht-Trutschen sehe. Weil ich diese Kontinuitäten feststelle, greife ich derzeit etwa Texte von Wogrolly oder Wolfmayr an; siehe den Eintrag vom 28.10.12!

Wogrollys verblüffender Kniefall vor einem Patriarchen, der noch dazu im Text unübersehbar erotisch aufgeladen wird, erledigt sich fast von selbst, weil diese Jubelnummer im Kielwasser der Ära Berlusconi kaum Fragen aufwirft, was die Funktion des Textes angeht.

Beim Wolfmayr ist es etwas komplizierter. Es macht sich unter anderem daran fest, daß meine ohnehin moderat gehaltene kleine Rezension in der "WOCHE" ohne Rücksprache mit mir durch eine flachen PR-Text ersetzt wurde. Siehe: [link]

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Der Roman darf unter anderem an seinem Anspruch gemessen werden, den nicht nur der Klappentext mitteilt. Für den Radiosender Ö1 war das am 1. Oktober 2012 wie oben formuliert. Prototypisch? Aha! Naja, insofern, als der Text so gut wie alles unter den Teppich kehrt, was wir in dieser Stadt wissen können und konstituiert haben.

Ich darf das mit solcher Bestimmtheit feststellen, weil ich Teil dieses Geschehens war und weil Wolfmayr selbst eine Schlüsselperson der Ereignisse gewesen ist; der Ereignisse, die in diesem Roman versenkt, zum Verschwinden gebracht wurden.

Ich gebe eine knappe Skizze, was Literatur hätte behandeln können, wenn über eine kleine Provinzstadt Aufschluß gegeben werden wollte. Ich nenne einige Beispiele, die Wolfmay verschweigt, zudeckt, so auch aus der möglichen Debatte heraushält.

Hier in der Provinz ist, soweit ich sehe, niemand derart beinander, daß er einen Maler „Maestro" nenne würde. So redet niemand, so schreibt man in der "Krone" über Ernst Fuchs. Das reale Roman-Vorbild des "Maestros" war ein zur Zügellosigkeit neigender Erotomane.

Da wäre ein Mann, Vater dreier Kinder, dem es gefällt, ein Verhältnis mit der besten Freundin seiner Frau zu beginnen. Sie darf während seiner weiteren Beutezüge mit den Kindern zuhause hocken, den Großteil der nötigen Versorgungsarbeit leisten. Er wird das Festival seiner Begehrlichkeiten etwa damit krönen, daß er eine Gefährtin seines ältesten Sohnes in sein Bett bekommt.

Das sind Realitäten, deren psychologische Dimension auszuleuchten sich gelohnt hätte, wahlweise deren praktische Wirkung zur ironischen Brechung einladen würde.

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Da wäre ein Mann, dessen Ehefrau bekommt von ihm ihr Kind im gleichen schmalen Zeitfenster wie seine Geliebte.

Da wäre ein Mann, der fährt mit Frau, Kind und Geliebter in einem Auto in einen gemeinsamen Urlaub. Dabei kommt es zu einem schweren Verkehrsunfall mit physischen und psychischen Konsequenzen von Rang.

Da wäre ein Mann, der darf als aktiver und engagierter Christ gelten. Was seine Frau von ihm ab und zu an Prügeln einstecken muß, spricht sich zwar herum, ändert aber nichts am Zustand.

Da wäre die Tochter einer exponierten Bürgerin der Stadt, die ist mit 17 schwanger und der etwa gleichaltrige Kindsvater wird nicht gerade als standesgemäß empfunden. Eine honorige Dame entfacht ein Kräftespiel in der Sache, das den beiden jugendlichen Eltern und ihrem Kind noch auf viele Jahre hinaus verstörende Effekte anheften wird.

Soll ich weitermachen? Nicht nötig! Das reale Gleisdorf ist natürlich voll von solchen Geschichten, wie viele andere Orte auch. Das ist Standard. Das meiste davon durfte in den letzten Jahrzehnten keinesfalls Gegenstand öffentlicher Debatten sein. Sowas rennt bestenfalls auf der Ebene von Buschtrommeln und Raunen im Wald.

Das Ausmaß der Wolfmayr'schen Fälschung ist auch darin fatal, den Kulturbetrieb der Region in genau jenen Bildern und Klischees zu beschreiben, wie sie für Leserbriefseiten des Boulevards typisch sind und wesentliche Munition liefern, um den Kulturbereich zu desavouieren, letztlich budgetär zu demontieren. Das müßte ihr ja noch freistehen. Aber dieses Werk dann als "prototypische Schilderung" zu promoten, darin liegt ein Akt, den ich anfechte.

So gesehen ist dieser Roman seit langem der härteste Angriff auf ein nun Jahrzehnte währendes Bemühen, den Machtpromotoren der Region einen nachvollziehbaren Eindruck zu verschaffen, worin Gegenwartskunst und kulturelles Engagement seriöse Arbeit und ein unverzichtbarer Beitrag zum Gemeinwesen sind.

Wenn dieses Buch wenigstens bestehende Verhaltensoriginalität von Menschen aufgegriffen hätte. Statt dessen wendet es das real Geschehene zur stereotypen Groteske und diskreditiert damit alles, was an respektabler Arbeit in diesem Metier erbracht wurde. Es liefert Kunst- und Kulturschaffende den alten Klischees aus, anstatt eine zeitgemäße Deutung des Status quo und seiner Vorgeschichte zu bieten.

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