28. Oktober 2012 Ja, schon klar. Das ging gestern
per Frontalkurs. Daß sich augenblicklich gerade zwei Frauen in das Zeitfenster meines
Unmuts geschrieben haben und da momentan kein Kerl herum steht, bleibt ganz unerheblich.
Kürzlich hatte sich der "Stadtflaneur" Günther
Eichberger in diese Richtung exponiert, aber er kann wenigstens literarisch außer Streit
gestellt bleiben. Siehe dazu die Beiträge "Ich glaub, mich tritt die Goaß!" und "Und notfalls leiden wir an uns selbst".
Warum muß ich mich überhaupt an solcher Verschnöselung
des steirischen Kulturbetriebes stoßen, wo doch einer Vielfalt der Lebenskonzepte und Arbeitsweise
das Wort geredet werden muß?
Andrea Wolfmayr
Ich kann nur einen guten Grund vorbringen. Das
Falschmünzergeschäft des Boulevards handelt davon, daß Deutungseliten teils völlig
groteske Realitätskonstruktionen vornehmen. Das hat ganz erhebliche Konsequenzen,
nachteilige Auswirkungen auf das Gemeinwesen.
Wenn ich also Leuten im Mediengeschäft zu widersprechen
habe, dann heißt das, wir ringen um unterschiedliche Auffassungen von dem, was wir für
Realität halten.
Zu meinen Lieblingsmantras gehört folgende Behauptung: Gesellschaftliche
Realität wird nicht ausschließlich, aber überwiegend durch Medienanwendung erzeugt.
Und da wären wir. Kunst- und Kulturschschaffende als eine
von mehreren Deutungseliten. Publikation und Rezeption als ein Teil des kulturellen
Realitätserzeugungsgeschäftes.
Keine Wahrheiten, die es zu verkünden gäbe, aber die
möglichst öffentliche Debatte von Auffassungen und Auffassungsunterschieden.
Monika Wogrolly
In solchen Zusammenhängen agiere ich natürlich pro domo.
Als Autor, als Kulturschaffender, habe ich permanent am Hals, was die nun schon
langjährige Abwertung der Wissensarbeit bewirkt, plus das strukturelle Gefälle zwischen
Zentrum und Provinz.
Ist das jetzt klar? Gewinnt der Boulevard an Boden,
verlieren wir hier an Terrain. Das hat materielle und immaterielle Folgen.
Was hab ich nun mit Autorin Andrea Wolfmayr zu klären und
was mit der Kollegin Monika Wogrolly? Mir fehlt nämlich ein prinzipieller Einwand gegen
Groschenromane, weil ich
a) für ein Recht auf billige Unterhaltung bin und
b) annehmen darf, die Literarität breiter Bevölkerungskreise kam nicht über die Werke
Goethes zustande, sondern über die Lektüre von Trivialliteratur, von Heftchen und
Fortsetzungsromanen.
Mein Unmut entzündet sich, wie meine Einwände, an der
Inszenierung und am Kontext. Wolfmayrs Roman "Weiße Mischung" hätte
nicht als "Ein Roman aus der Provinz" daherkommen müssen, der sich
unmißverständlich auf Gleisdorf bezieht, um so den Anschein eines "Schlüsseromans"
zu erwecken.
Wogrollys quasierotische Stronach-Exegese muß ihr in all
der triefenden Billigerotik freistehen. Das fügt sich eigentlich konsequent an die
vormalige "Arsch- und Titten-Parade", von deren kultureller Konnotation
wir schon lesen und hören durften. ("Kulturelle Konnotation"? Na servas! Das
wird jetzt gleich ein Fall für die Germanistik ;-)))
Zwischenbemerkung:
Gibt es einen Kodex für Autorinnen und Autoren? Nein, mir ist nichts derartiges bekannt.
Womit ist nun das Zeitfenster meines Unmuts gerahmt?
Zwei Momentchen, September und Oktober, da erhielt ich
jeweils Post mit kuriosen Empfehlungen. Beide Male aus dem Bereich eines
Bildungsbügertums, dem offensichtlich das Nachdenken inzwischen zu anstrengend geworden
ist.
Was unterscheidet eine kohärente
Aussage von
leeren Phrasen? (Quelle: Living Culture)
Zitat a) war eine Absage an einen Kunstdiskurs, zu dem der
Absender nicht gedrängt worden war und auf den Kulturschaffende der Region offenbar
lieber verzichten möchten:
"schön auf dem boden bleiben, auf die menschen zugehen, mit ihnen in der sprache
reden, die sie noch verstehen, ihnen zeigen, was für sie noch erreichbar ist, ihnen zu
hören geben, was sie noch aushalten, sich darüber freuen, wenn ein impuls ankommt, der
bisher nicht da war, das ist eine schöne aufgabe für ein regionales kulturprojekt."
Zitat b) kam in eine Online-Debatte, die ich der Frage
gewidmet hatte, worin sich denn nun bäuerliche von industrieller Landwirtschaft
unterscheiden. Der Anlaßfall ist hier dokumentiert: [link] Das Zitat aus
einem Thread von rund 90 Beiträgen lautet:
"Also, ich habe jetzt eure Diskussion nicht in die
Tiefe mitverfolgt: sie war mir ehrlich gesagt zu kompliziert und ich konnte ihr nicht
folgen (was ich schon interessant finde immer wieder, ist, dass diese Art von Diskurs
hauptsächlich von Männern geführt wird?)"
Das heißt, hier stoßt sich jemand an einer komplexen
Debatte zu einem komplexen Thema, hat die Sache zwar ohnehin nicht näher angesehen, ruft
uns aber zu, wir mögen die Sache vereinfachen, quasi in die Abteilung "Readers
Digest" hieven.
Das heißt, zur inzwischen schon notorischen Abwertung der
Wissensarbeit in unserer Gesellschaft kommt auch verstärkt eine neue Spielart der
Intellektuellenfeindlichkeit. Ich kann nicht mehr unbehelligt mit anderen die Anstrengung
konsequenten Nachdenkens pflegen.
Der Boulevard macht sich kraftvoll breiter. Alles soll
einfach gehalten und in leicht verdaubaren Happen schnell rezipierbar sein. Die Mühe,
sich in ein komplexes Thema länger zu vertiefen und dafür einige intellektuelle
Anstrengung in Kauf zu nehmen, gilt anscheinend mehr und mehr als verpönt.
Die längerfristige Denkarbeit provoziert offenbar. "Zu
kompliziert". Und: "mit ihnen in der sprache reden, die sie noch verstehen".
Falls das überhaupt die Forderung der Stunde ist, was ist dann eigentlich die Sprache,
die jemand "noch versteht"? (Womöglich haben uns dazu Wolfmayr und Wogrolly
gerade ein paar Antworten geliefert.)
Sie sehen schon, da zeigt sich Klärungsbedarf. Ich habe
oben ein Stronach-Zitat appliziert, um hier auch die Frage aufzuwerfen, was eine
kohärente Aussage von jenen Phrasen und Slogans unterscheiden mag, die bloß Dekor von
PR-Arbeit sind.
In Summe habe ich den beiden Autorinnen zu danken, daß sie
für nötige kulturpolitische Debatten derart anregend sind. |